Grund zum Staunen

Wie verschiedene Religionsgemeinschaften die Aufnahme neuer Mitglieder gestalten
Im Islam ist es Praxis, einen muslimischen Namen anzunehmen. So nennt sich der Sänger Cat Stevens heute Yussuf Islam. Foto: dpa
Im Islam ist es Praxis, einen muslimischen Namen anzunehmen. So nennt sich der Sänger Cat Stevens heute Yussuf Islam. Foto: dpa
Auf der ganzen Welt wechseln Menschen ihre Religion. Die meisten bleiben zwar bei dem, was sie als Kinder übernommen haben, doch einige wenige ändern ihren Glauben. Die Greifswalder Religionswissenschaftlerin Anna-Konstanze Schröder beschreibt die Rituale, mit denen Konvertiten in eine neue Religion wechseln.

Im Laufe ihres Lebens ändern wenige Menschen Weltanschauung, Religionszugehörigkeit oder religiöse Praxis. Meist bleiben sie bei dem, was sie als Kinder übernommen haben. Und doch ändern auf der ganzen Welt manche Menschen ihre religiösen Ansichten. Das wird in der Religionswissenschaft als Konversion erforscht. Konversionen sind selten, und Konversionsrituale verleihen diesen Ausnahmen von der Regel eine Ordnung.

Konversionsrituale der verschiedenen Religionen haben trotz aller Unterschiede auch einige grundlegende Gemeinsamkeiten: Konvertiten zeigen öffentlich, dass sie etwas über die wesentlichen Inhalte der Religion wissen und sich dazu bekennen. Meist gehört auch dazu, dass sie versprechen, sich an bestimmte Praktiken zu halten. Durch den öffentlichen Charakter sind beim Konversionsritual auch Mitglieder der neuen Religionsgemeinschaft zugegen, um das neue Mitglied in die Gemeinschaft aufzunehmen und den Wandel zu bezeugen. Außerdem leitet ein religiöser Spezialist - ein Pfarrer, Imam, Rabbiner, Schamane oder allgemein ein Ritualexperte - die richtigen Abläufe im Ritual. Diese Person führt meist die religiösen Handlungen aus, die die Teilhabe des Konvertiten am Heilsversprechen der neuen Religionsgemeinschaft symbolisieren.

Bei genauerem Hinsehen sind Rituale für Konvertiten so verschieden, wie auch Religionen in ihren Inhalten und Praktiken verschieden sind. Aber auch innerhalb der jeweiligen Religionen gibt es Uneinigkeit und große Unterschiede zwischen den Ritualen zur Konversion.

Um Jude zu werden, wendet ein Konvertit sich an ein Rabbinergericht (Beit Din). Um die Ersthaftigkeit des Gesuchs zu prüfen, wird es gewöhnlich mehrmals abgelehnt. Im nächsten Schritt lernt der Konvertit ausgewählte Gebote (Mitzwot) sowie die Konsequenzen aus deren Einhaltung oder Übertretung. Verspricht der Konvertit, sie einzuhalten, wird der Konversionsprozess durch das Eintauchen im rituellen Bad (Mikwe) abgeschlossen. Männer müssen sich zusätzlich beschneiden lassen.

Übergangsritual Taufe

Über alle diese Elemente des Konversionsrituals herrscht aber zwischen und innerhalb der jüdischen Traditionen Uneinigkeit, wie zum Beispiel über die Zusammensetzung des Beit Din, über Dauer und Inhalte der Unterweisung oder die Dauer und Inhalte zwischen der Ablehnung der Konversion und der aktiven Proselytisierung. Meist werden Konvertiten aus der konservativen oder reformierten Tradition in der orthodoxen Tradition nicht als Juden im religiösen Sinne akzeptiert. Allerdings nehmen die israelischen Behörden reformierte Konvertiten als Juden auf, auch wenn sie von der orthodoxen Tradition nicht als solche angesehen werden.

Im Christentum wird die Zugehörigkeit rituell durch die Taufe markiert, die in den verschiedenen christlichen Traditionen in unterschiedlichen Formen praktiziert wird. Konvertiten werden in der Taufe als Zeichen der Vergebung der Sünden mit Wasser übergossen; oder sie werden mit Wasser besprengt, als Belebung oder Erfrischung, was für die Gabe des Heiligen Geistes steht; oder ein Täufling wird ein- bis dreimalig untergetaucht, als Symbol für den Tod und seine Überwindung in der Auferstehung.

Das Taufritual selbst ist nur ein Teil des Übergangsrituals für Konvertiten. Sie werden außerdem in den christlichen Lehren und Praktiken unterwiesen (Katechese), sie lernen das Bekenntnis des christlichen Glaubens, empfangen den Heiligen Geist (je nach christlicher Tradition durch Myronsalbung in den orthodoxen Kirchen oder Glossolalie [Zungenreden] in der Pfingstbewegung oder - zumeist - durch Handauflegung) und nehmen erstmalig am Abendmahl beziehungsweise an der Eucharistiefeier teil.

Jeder Mensch als Muslim geboren

Dieser Prozess für Konvertiten wurde im Laufe der Zeit zu Initiationsritualen für Kinder von Religionsangehörigen, die sich im Verlauf des Erwachsenwerdens ereignen. Allein in den orthodoxen Kirchen werden alle Elemente bereits an Kindern vollzogen. In den westlichen Kirchen erleben die Kinder als Initiation zunächst die Taufhandlung. Die anderen Elemente des ursprünglichen Konversionsrituals werden einige Jahre später durchgeführt, bis die Kinder als vollwertige Religionsmitglieder gelten. Bei Konversionen zwischen verschiedenen christlichen Religionen und auch Rekonvertiten unterziehen sie sich allen Initiationselementen - zumeist außer der Taufe.

Wer zum Islam konvertiert, spricht laut vor zwei Zeugen das Glaubensbekenntnis (Schahada): "Es gibt keinen Gott außer Gott (Allah), und Muhammad ist sein Prophet." Abgesehen davon gibt es verschiedene kulturspezifische Bräuche, die damit verbunden sind, aber nicht notwendig eingehalten werden müssen. So erhält ein Konvertit eine Urkunde von offiziellen Stellen, wenn er oder sie in einem muslimischen Land konvertiert. Außerdem ist es eine Praxis, einen muslimischen Namen anzunehmen, wie der Sänger Cat Stevens nach seiner Konversion den Namen Yussuf Islam annahm. Schließlich wird bei Männern eine Beschneidung nahegelegt; sie ist aber keinesfalls obligatorisch.

Nach islamischem Verständnis wird jeder Mensch als Muslim geboren, so dass weniger Wert auf das Bekenntnis als auf die Praktizierung des Islam gelegt wird. Dementsprechend wird von Konvertiten erwartet, dass sie über die Shahada hinaus den Islam leben. Das bezieht sich vor allem auf die so genannten fünf Säulen des Islam: das Sprechen der Shahada, das rituelle Gebet (Salat) fünfmal täglich, Almosen (Zakat), das Fasten im Ramadan und eine Pilgerreise nach Mekka mindestens einmal im Leben (Hadsch). Außerdem sollen Konvertiten keinen Alkohol trinken und kein Schweinefleisch essen. Und doch werden Konvertiten, die ihren Glauben an den einzigen Gott bekannt haben, auch bei der Nichteinhaltung der religiösen Praktiken als Muslime anerkannt.

Ein Konversionsritual für den Buddhismus gibt es nicht. Denn jeder Mensch besitzt für Buddhisten bereits die Buddha-Natur, die sich nur offenbaren müsse. Konversion wird individualistisch verstanden. Dabei wechselt der Buddhist von einem Zustand der Erkenntnis zum nächsten. Als Buddhist gilt, wer die "dreifache Zuflucht" nimmt: zum Buddha, zur Lehre (Dharma) und zur buddhistischen Gemeinschaft beziehungsweise dem Mönchsorden (Sangha). Das gilt auch für die so genannten Laienanhänger. Sie und die Mönche formulieren die dreifache Zuflucht gelegentlich in einem öffentlichen, formlosen Ritual. Dabei wird auch die Verpflichtung auf die fünf Tugenden (Pankasila) bekannt: nicht töten, nicht stehlen, kein unerlaubter Geschlechtsverkehr, nicht lügen und kein Genuss von alkoholischen Getränken.

Im westlichen Kontext geschieht die Konversion zum Buddhismus eher durch die Teilnahme an Meditationen oder die Identifikation als Buddhist - das kann als Assimilation interpretiert werden. Doch auch Ereignisse wie eine Begegnung mit dem Dalai Lama können vom Einzelnen als biographischer Wendepunkt und damit als ein Konversionsereignis wahrgenommen werden.

Dass Menschen mehreren Religionen gleichzeitig angehören, wird erst in den vergangenen Jahren in der Religionsforschung verstärkt erforscht. Das ist in Asien sogar verbreitet. Hier kann man von Konversion im "additiven Modus" sprechen, weil die Annahme einer neuen Religion nicht notwendig zur Ablehnung der bisherigen religiösen Inhalte und Praktiken führt. Und auch die Zuwendung zu einer innerreligiösen Bewegung kann als Konversion im additiven Modus beschrieben werden. Hier verpflichten sich Konvertiten auf zusätzliche Praktiken. Im tantrischen Buddhismus zum Beispiel kann zusätzlich zur dreifachen Zuflucht die Zuflucht zu einem Guru formuliert werden. Und auch in Europa wenden sich Mitglieder der evangelischen Kirchen oder der römisch-katholischen Kirche neopaganen Bewegungen wie Wicca-Gruppen zu oder schließen sich beispielsweise Gebetskreisen der charismatischen Bewegung an.

Keine Werbung bitte

In so genannten Volksreligionen, in denen sich religiöse und nationale oder ethnische Identitäten stark verknüpfen, wird Konversion und Werbung dafür kritisch gesehen. So ist in Indien die Religionsfreiheit durch die Verfassung geschützt, die Freiheit zu proselytisieren jedoch eingeschränkt. Biographische Rituale zur Religionsmündigkeit werden im Einzelfall auch mit Konvertiten durchgeführt. Im Zoroastrismus gelten bereits die Kinder gemischtreligiöser Elternpaare als Konvertiten, und der Vollzug des Navjote-Rituals zur Religionsmündigkeit im Jugendalter gilt für sie als Konversionsritual. Letzteres wird als Praxis überwiegend abgelehnt, aber im Einzelfall vollzogen.

Und schließlich gibt es Religionen, die sich erst neu gebildet haben und dementsprechend nur durch Konvertiten an Mitgliederzahlen zunehmen können. Selbst wo diese "Neuen religiösen Bewegungen" bereits im 19. Jahrhundert entstanden sind und sich heute überwiegend durch religiöse Sozialisation der nächsten Generation erhalten, sind die Ideale von Mission und Konversion ein zentraler Teil der religiösen Praxis. Hierzu zählen kleine westliche Religionsgemeinschaften wie die Zeugen Jehovas oder die Neuapostolische Kirche. Darunter werden aber auch asiatische Religionen in anderen (westlichen) Kulturen gezählt, wie zum Beispiel die Healthy-Happy-Holy-Organization, eine Sikhbewegung. Während westliche Konvertiten die Insignien der Sikhzugehörigkeit, zum Beispiel ungeschnittenes Haar, Tragen eines Kurzdolches, offen zeigen, versuchen als Sikh Geborene, die in ein westliches Land immigriert sind, solche Merkmale zu verbergen, um sich nicht von der Mehrheitskultur abzugrenzen.

Von Konversionsweisen in den Religionen in der Welt zu sprechen ist natürlich eine unzulässige Verallgemeinerung. Bereits unter evangelischen Christen ist man sich nicht einig, wie Konversionen nun eigentlich sein sollten. Dazu ist nicht einmal die Unterscheidung verschiedener Konfessionen nötig, sondern bereits die Nachbarin in der Kirchenbank links von einem hat andere Ansichten oder Erfahrungen als der hinter einem Sitzende. Wenn hier beschrieben steht, wie der Eintritt von Konvertiten in verschiedenen Religionen gestaltet wird, so soll das vor allem zum Staunen einladen: über die Vielfalt in den Kulturen der Welt und in verschiedenen Religionen. Und auch wenn einem der eine oder andere Einzelfall einer Konversion merkwürdig oder extrem vorkommt, so kann man entspannt wissen, dass es das überall gibt und zu allen Zeiten gegeben hat. Es gehört wohl zum Leben dazu.

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Anna-Konstanze Schröder

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