Bei der Vorbereitung des Reformationsjubiläums 2017 wird immer wieder diskutiert, wie es angemessen zu gestalten sei. Gibt es überhaupt etwas zu feiern? Ist der Martin Luther von 1517 nicht eher als Reformkatholik zu bezeichnen, trat er doch erst später in einen klaren Gegensatz zu seiner Kirche? Wie kann eine Heroisierung Luthers vermieden werden, und wie kann es, statt als deutsches Luthergedenken, zu einem internationalen Reformationsjubiläum mit ökumenischem Horizont konzipiert werden?
Der Historiker Hartmut Lehmann hat schon zu Beginn der Lutherdekade 2008 in einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung darauf aufmerksam gemacht, dass Reformationsjubiläen heikle Zeitpunkte sind. Sie galten der Rekonfessionalisierung, und Luther wurde zum Nationalhelden oder zum Tröster der Deutschen, je nach Lage der Zeit. Nun hat Lehmann zur Mitte der Dekade einen Band vorgelegt, in dem er zwanzig Texte neu veröffentlicht, die im Rahmen seiner Forschungen an unterschiedlichen Orten publiziert worden waren. Für die Vorbereitung des Jubiläums sind seine Arbeiten zur Lutherrezeption von großem Wert.
Zunächst ist es spannend, nachzulesen, wie der 31. Oktober zum Gedenktag wurde. Eindrücklich ist auch, was Lehmann über die Lutherjubiläen und die Lutherrezeption in den USA schreibt, werden doch die Kirchen der Reformation in den USA von der EKD als zentrale Partnerinnen in der Vorbereitung des Jubiläums gesehen. Wie sehr sich die Lutherverehrung von 1883 etwa 1917 in ein "erhebliches lutherkritisches Potential" gewandelt hat, ist eindrücklich nachzulesen. Besonders erhellend sind Lehmanns Aufsätze zum Lutherbild in Hitlerdeutschland und zur Lutherrezeption in der DDR. Was bereits bekannt ist an Heroisierung Hitlers durch Nazi-Deutschland wird sehr konkret untermauert, etwa in den "Anmerkungen zu Otto Scheels Lutherverständnis in den 1930er Jahren", oder auch durch einen beklemmenden Vergleich der Lutherstudien von Heinrich Bornkamm in den Ausgaben von 1933 und 1947. Mit Blick auf die DDR sind die Fünfzehn Thesen der SED und ihre Entstehung eine Horizonterweiterung.
Schade ist, dass Lehmann einen vorbehaltvollen Blick auf die Vorbereitungen des Jubiläums durch die EKD wirft. Es scheint, als habe er nicht wahrgenommen, dass die EKD längst die "Schatten der Reformation" zur Diskussion stellt, gerade im Themenjahr "Reformation und Toleranz" 2013, in dem insbesondere das Verhältnis zum Judentum bewusst zum Thema wird. Als sei nicht längst der verbindende Faden geknüpft zu den Partnerkirchen in der Schweiz, wo noch in diesem Jahr in Zürich ein Kongress vom Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund und der EKD mit den jeweiligen Partnerkirchen aus Europa und Übersee stattfinden wird. Als sei nicht die Leuenberger Konkordie bewusst Bezugspunkt des Jubiläums, als sei nicht in Wittenberg eine "Weltausstellung der Reformation" geplant. Wie dem auch sei: Lehmanns versammelte Beiträge sind eine sehr hilfreiche und für die Jubiläumsvorbereitung wichtige kritische Lektüre.
Hartmut Lehmann: Luthergedächtnis 1817-2017. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, 328 Seiten, Euro 89,99.
Margot Käßmann