Ökumene ist ein Teil von mir
Frank Schürer-Behrmann sitzt entspannt am runden Gästetisch und guckt aus dem Fenster wie in eine ferne Zukunft. Sein Blick ruht auf dem roten Backsteinbau gegenüber, der alten Kulturbrauerei am Domplatz in Fürstenwalde. Gedankenverloren ist er nicht, stattdessen sinniert er über die letzte Frage nach seiner Motivation für sein Engagement und die Antwort, die er darauf geben will. Der 47-Jährige ist noch bis zum Herbst Mitglied des Zentralausschusses (ZA) des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Er hat im Februar 2006 als Delegierter an der 9. Vollversammlung des ÖRK teilgenommen und seitdem an fünf Sitzungen des ZA. "Das ist richtige Arbeit", sagt Schürer-Behrman, "sozusagen der Verwaltungsteil der ganzen ökumenischen Bewegung". Man liest Papiere, diskutiert in Ausschüssen darüber, erarbeitet Empfehlungen. Spannend sei es aber trotzdem, man lerne unheimlich viel. Neben seiner Superintendentenstelle übernimmt er auch Dienste am Dom. Warum also die zeitaufwendige Mehrarbeit im ÖRK?
"Schalom und Salam"
Man könnte die Antwort auch in seinem Büro nachlesen, wenn man wollte: Eine Flagge in Regenbogenfarben hängt ihm gegenüber an der Wand, darauf der hebräische Gruß "Schalom", darunter der arabische "Salam", auf dem Tisch steht Fair-Trade-Kaffee, verschiedene bunte Poster, Plakate, Urkunden und Bilder schmücken die Wände. Nicht irgendwelche, sondern jedes einzelne hat eine besondere Bedeutung, Geschichte und Verbindung zu ihm. "Die Ökumene gehört zu mir, zu meiner Persönlichkeit. Ich bin Teil der ökumenischen Bewegung seit ich 15 bin. Ich habe als 18-Jähriger gelernt, dass der Welthunger damit zu tun hat, dass in Europa eine Kuh besser ernährt ist als ein bolivianischer Bauer", erzählt der vegetarisch lebende Theologe, der im Examen über die Geschichte der ökumenischen Bewegung schrieb. Die Tätigkeit im ÖRK sieht er als eine Weiterentwicklung und Vertiefung seines ökumenischen Horizonts und Selbstverständnisses. "Meine Berufung zur Vollversammlung war ein tolles Geschenk! Ich hoffe, dass sie mich prägt, manchmal mache ich mir Sorgen, dass sie mich zu wenig prägt. Ich denke, wir können im Individuellen manche Sachen noch sehr viel klarer entscheiden, was unseren Konsum angeht oder Urlaubsreisen in fremde Länder."
An Erfahrung anderer Länder und Sitten mangelt es ihm nicht. Als Sohn eines amerikanischen Vaters und einer deutschen Mutter wurde er in den USA, in New Haven im Bundesstaat Connecticut geboren. Nach zehn Jahren zog er mit seiner Mutter nach West-Berlin. Nachdem er später in Santiago de Chile in einem Kindergarten als Praktikant gearbeitet hatte, studierte er in Berlin, Marburg, Göttingen und Buenos Aires Theologie. In Göttingen lernte er seine Frau kennen. Sie begleitete ihn auch nach Buenos Aires. Danach absolvierten beide ein Vikariat in Potsdam und teilten sich anschließend eine Pfarrstelle in Potsdam, bis es 2004 nach Fürstenwalde ging. Die drei Kinder sind mittlerweile 16, 19 und 22 Jahre alt.
Aus seiner Studiums- und Praktikumszeit hat Schürer-Behrmann Kontakte nach Lateinamerika. Neben einer Partnerschaft mit der Presbyterianisch-Reformierten Kirche im kubanischen Camajuani pflegt sein Kirchenkreis eine weitere Partnerschaft mit der Mamlaka Hill Chapel, einer Kirche in Nairobi. Und seine Landeskirche, die berlin-brandenburgische, unterhält eine Kirchengemeinschaft mit der United Church of Christ in den USA.
Viele Wege
Um die Diskussionen, die im Weltlkirchenrat geführt werden, zuhause bekannt zu machen, geht er viele Wege: Er nimmt am Ökumeneausschuss der Landessynode teil und ist zu Besuch in Kirchengemeinden und auf Kreissynoden, berichtet und informiert, bestärkt und inspiriert. Und er bringt konkrete Anregungen ein. Ergebnisse daraus sind zum Beispiel eine Landessynodentagung zum Thema Klimaschutz, das derzeit laufende Vorhaben des Kirchenkreises, den eigenen CO2-Ausstoß bis 2015 um 25 Prozent zu senken und der "Eine Welt Laden" im Fürstenwalder Dom.
Eigentlich ist er schon in freudiger Erwartung auf drei kubanische Gäste, die am nächsten Tag ankommen und für drei Wochen bleiben werden. Trotzdem strahlt der Superintendent Ruhe aus, nicht eine Spur von Aufgeregtheit oder Zeitdruck. Immer wieder schweift sein Blick nach draußen und sucht die Ferne, dabei lächelt er in sich hinein, lacht mal laut auf und bewegt mehr und mehr auch seine Arme, die seine Worte begleiten. "Die Arbeit im ÖRK macht mir besonders Spaß, weil ich das Gefühl habe, Entwicklungen anzustoßen, und weil ich ganz viel an Informationen bekomme. Und ich lerne viele Leute kennen. Es gibt mir Kraft, zu wissen, dass sich der Kollege in Argentinien, Burkina Faso oder Indien in sehr viel schwierigeren Situationen für die Menschen und für Gerechtigkeit einsetzt. Das fordert mich heraus", erklärt er. Dramatisches gebe es aber auch in Deutschland zur Genüge: "In diesem Land werden Leute abgeschoben, das ist einfach unglaublich", platzt es ohne langes Überlegen aus ihm heraus. "Wir haben hier schon Kirchenasyle vorbereitet. Sich für das Leben einsetzen, das geht auch ganz gut vor Ort". Die Arbeit im Zentralausschuss sei dagegen eher Organisations- und Lenkungsarbeit.
Viel bunter sei die ÖRK-Vollversammlung vor sieben Jahren in Porto Alegre gewesen. "Ein einmaliges Erlebnis", wie er sagt, "ein Fest der gesamten Christenheit." Insgesamt rund fünftausend Menschen, darunter die achthundert Delegierten "aus allen möglichen Kirchen und Traditionen. Diese Buntheit zu erleben, ist einfach wahnsinnig inspirierend. Die Vielfalt der kulturellen Ausdrücke, die Musik, von orthodoxen Gesängen bis zu brasilianischen Rhythmen! Auch Gottesdienste und Andachten spielen eine große Rolle. Das sind tolle Höhepunkte. Man erlebt eine andere Welt", schwärmt er.
Erschreckende Unterschiede
Aber auch die Probleme der ökumenischen Bewegung sind ihm bewusst. Die westlichen Kirchen hätten sich liberalisiert, viele andere dagegen eine Rolle rückwärts vollzogen. "Mir fällt es schwer, wenn ein russisch-orthodoxer Bischof sagt, die westlichen Kirchen fielen vom Glauben ab, weil wir Bischöfinnen haben und gleichgeschlechtliche Paare segnen. Da wird eine Frau im Vorsitz eines Ausschusses von den Orthodoxen einfach nicht anerkannt. So wird die Gemeinschaft in Frage gestellt", beklagt Schürer-Behrmann. Solche Unterschiede empfindet er als erschreckend, solche Probleme als relativ neu. Am Beginn der ökumenischen Bewegung habe es eine klare Wortführerschaft der nordatlantischen protestantischen Kirchen gegeben. Das habe sich geändert, die anderen Kirchen seien selbstbewusster geworden. So äußerten heute auch die Kirchen in Afrika klar ihre Positionen, darunter einige, die beispielsweise denen der EKD klar entgegen stehen. "Für den einen ist Prostitution ein Problem bestimmter gesellschaftlicher Umstände, für den anderen moralische Verderbtheit", so der Theologe. Die Gefahr sei, dass man Themen ausklammert. Das schwäche die Ökumenische Bewegung, weil man die Standpunkte des anderen nicht kennen und verstehen lernt.
Der Superintendent denkt, dass der ÖRK die Stimme der Weltchristenheit sein kann. "Er wird aber nur so stark sein, wie die Unterstützung, die ihm die Kirchen geben". Im Moment sei der Weltkirchenrat an einer schwierigen Stelle wegen der "begrenzten Verbindlichkeit" der Kirchen. Viele fühlten sich nicht mehr mit ihm verbunden, weil sie sich nicht mit ihm identifizierten. "Ich sehe den ÖRK als Plattform, wo sich Menschen begegnen, wo Initiativen entstehen können", so Schürer-Behrmann. Und dafür müsse man das Gemeinsame über die eigene Identität, das Verbindende über das Trennende stellen. "Ökumene ist für mich, wenn sich Christen in aller Welt, aus unterschiedlichen konfessionellen Zugehörigkeiten und Traditionen, für die Menschen, für das Leben, für das, was wir Reich Gottes nennen, einsetzen", so der Theologe.
Im Herbst wird er nach Busan zur Vollversammlung des ÖRK fahren, nicht als Delegierter, sondern als ehemaliges Mitglied des Zentralausschusses. "Ich freue mich sehr auf die Diskussionen und die Menschen, die mir Anregungen geben, so dass ich mit einem Kraftschub wieder nachhause komme. Im Alltag hat man mit vielen ganz normalen Dingen zu tun und kann sich auch mal darin verlieren. Beim ÖRK findet man den Zusammenhang, den ungefähren roten Faden", meint der Superintendent. Vielleicht wird er auch wieder in Ausschüssen mitarbeiten. "Schauen wir mal."
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Katharina Lübke