Taufkerzen und israelische Weine

Von einer Marginalisierung der Religion kann auf dem Buchmarkt nicht die Rede sein
Fotos / Montage: Matthias Waldt
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Glaubensfragen in der Literatur haben Konjunktur. Allerdings suchen die Menschen im Leben verankerte Antworten, wie Wolfgang Riewe beschreibt. Er ist Vorsitzender des Evangelischen Medienverbandes in Deutschland.

Anselm Grün, Margot Käßmann, Notker Wolf sind allerorten anzutreffen. Selbst im Bahnhofskiosk lächeln diese Autoren den eiligen Zeitgenossen freundlich entgegen. Man sieht es auf den ersten Blick: Spiritualität ist gefragt. Harmonie. Freude. Lebenskunst. Alles, was zu einem "geglückten" Leben verhilft.

Im Eingangsbereich einer Buchhandlung mit großem religiösem Sortiment wird dieser Trend noch deutlicher: Als Erstes fallen die vielen Geschenkartikel ins Auge: Taufkerzen, Spiele, Kreuze, Kalender, Grußkarten und israelische Weine. Daneben sind die Bestseller aufgebaut: Ken Follett, Carlos Ruiz Zafón und Jonas Jonassons amüsante Geschichte vom "Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand". Beim Sachbuch sind es Buschkowsky, Lütz, Kachelmann und der unvermeidliche Scholl-Latour. Doch gleich daneben, in Augenhöhe präsentiert, auch hier Anselm Grün, Margot Käßmann und Notker Wolf, natürlich auch der Papst und sein langjähriger Gegner Hans Küng. Ebenso Arno Geiger, Samuel Koch, Eckart von Hirschhausen, Jörg Zink und Joachim Fuchsberger, die beide übers Älterwerden schreiben. Bibel, Koran und die Lehren Buddhas sind ebenfalls vertreten.

Wo aber sind die theologischen Fachbücher geblieben, die früher einen großen Teil des Sortiments ausmachten? Um sie zu finden, muss man sich ins obere Stockwerk begeben. Dorthin hat die Buchhändlerin sie verbannt, seit sie herausfand, dass die jüngere Geistlichkeit lieber kurze Versatzstücke im Internet herbeigoogelt, statt sich zwischen zwei Buchdeckeln mit schwerer professoraler Kost zu quälen. Barth, Bonhoeffer, Bultmann und seine Nachfolger scheinen offensichtlich "out" zu sein. Die Leserschaft der wissenschaftlichen Fachliteratur werde immer kleiner, bedauert die Buchhändlerin. Nur mit erheblichen Zuschüssen könnten sich Verlage noch an das eine oder andere wissenschaftliche Buch wagen, und für ihren Laden sei es ein betriebswirtschaftliches Fiasko.

Doch zurück ins Erdgeschoss: Der Gang an den Regalen entlang zeigt, dass selbst die großen Publikumsverlage religiösen Themen in ihrem Programm einen breiten Platz einräumen. Sie müssen aber möglichst ohne dogmatisches Korsett daherkommen. "Ist da jemand?", fragt Beatrice von Weizsäcker in ihrem neuen, im Piper Verlag erschienen Buch. Die Journalistin nimmt ihren Glauben unter die Lupe, bedenkt anhand der Bibel, was Glauben ausmacht und welchen Halt er geben kann. Sie hat keine einfachen Antworten parat, weiß, dass Glaube nicht ohne Zweifel zu haben ist. Eine andere Frage stellt der Dominikanerpriester Manfred Entrich: "Wo können wir Gott begegnen?" Er gibt eine überraschende Antwort: Ganz und gar nicht im Himmel, sondern dort, wo wir ihn am wenigsten vermuten - im Supermarkt, beim Bäcker: Gott ist mitten unter uns, lautet seine Botschaft ("Gott an der Tankstelle", Pattloch Verlag).

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Noch viele andere Titel aus dem allgemeinen Sortiment wären zu nennen, etwa das Buch "Die Hütte" von Willem Paul Young , das monatelang auf den Bestsellerlisten stand. Oder: "Gott - die kleine Geschichte des Größten" von Manfred Lütz. Ebenso Werner Tiki Küstenmachers Buch "JesusLuxus", das als Goldmann Taschenbuch erschienen ist.

Neue Unbefangenheit

Die präsentierten Titel tendieren fast alle in Richtung religiöse Lebenshilfe und wollen deutlich machen, wie der Glaube hilft, das Leben zu bewältigen. Sie möchten nicht nur über Sachverhalte informieren, sondern vor allem berühren und bewegen. Anklang beim Publikum finden sie deshalb, weil sie inhaltlich authentisch sind und existenzielle Fragen berühren. Margot Käßmanns Buch "Mitte des Lebens", das wochenlang auf den Bestsellerlisten stand, ist ein treffendes Beispiel dafür. Das reine Sachbuch dagegen ist kaum noch gefragt.

Die neue Unbefangenheit in der Frage nach Gott kann man selbst in der Belletristik feststellen. Von einer vermuteten Marginalisierung der Religion kann in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart jedenfalls nicht die Rede sein. Damit sind nicht nur die aus katholischer Tradition stammenden Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil, Ulla Hahn, Ralf Rothmann, Arnold Stadler oder Thomas Hürlimann gemeint oder Autoren, die einen dezidiert protestantischen Hintergrund haben: Gabriele Wohmann etwa, Eva Zeller, Friedrich-Christian Delius oder Eginald Schlattner. Man kann ebenso auch auf Barbara Honigmann, Matthias Herrmann oder Julie Zeh verweisen. Oder auf Philip Pullmann, Maria Elisabeth Straub, Dieter Wellershoff und Patrick Roth, dessen Roman "Sunrise", der die Geschichte Josefs von Nazareth erzählt, die seiner Zweifel und seines tiefen Glaubens an Gott, wirklich lesenswert ist.

Auch in der Kinder- und Jugendliteratur sind Glaubensfragen nicht ausgestorben. Im Gegenteil. "Existiert Gott?", "Wie ist Gott?", "Bin ich ihm wichtig?" - alles Fragen, die in Kinderbüchern eine nach wie vor große Rolle spielen, bei Autorinnen wie Regine Schindler, Catherine Clement oder Irma Krauß etwa. In zahlreichen Sachbüchern steht die Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und den Glaubensvorstellungen in Judentum und Islam ebenfalls häufig im Zentrum.

Rund fünf Prozent der jährlichen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt behandeln im engeren Sinne eine religiöse Thematik. Innerhalb der Warengruppe Philosophie/Religion haben Bücher mit dezidiert christlichem Inhalt einen Umsatzanteil von 35,8 Prozent. Die etwa siebzig evangelischen und katholischen Verlage spielen in diesem Segment nach wie vor eine große Rolle. In letzter Zeit gelingt es einigen von ihnen, die über die entsprechenden Vertriebsstrukturen verfügen, erfolgreiche Titel auch ins allgemeine Sortiment zu bringen. Waren in früheren Zeiten Jörg Zink, Heinz Zahrnt und Hans Küng die Zugpferde, so sind heute, neben dem schon genannten "spirituellen Dreigestirn", auch andere geistliche Schriftsteller sehr erfolgreich: Altmeister Jörg Zink zählt weiterhin dazu, ebenso Fulbert Steffensky, Pierre Stutz, Richard Rohr, Klaus Berger, Wolfgang Huber und Friedrich Schorlemmer.

Laut einer von der Medien-Dienstleistung GmbH (MDG) beim Institut für Demoskopie in Allensbach in Auftrag gegebenen Studie kaufen immerhin 51 Prozent derjenigen, die sich als "kirchennah" einstufen, regelmäßig christliche Bücher - und rund 38 Prozent derer, die sich als allgemein "religiös" bezeichnen. Sogar 39 Prozent derjenigen, die den Kirchen "kritisch verbunden" sind, und 22 Prozent der "kirchlich Distanzierten" kaufen Titel zu religiösen Themen. Der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung weist aus, dass rund fünf Millionen Menschen in Deutschland für allgemein religiöse, aber auch für speziell christliche Themen ansprechbar sind.

Ein Buch muss Herz und Kopf erreichen

Wonach aber greifen kritische, anspruchsvolle Leser, wenn sie nach religiöser Literatur suchen? An erster Stelle stehen laut MDG-Studie Bücher über Sinn- und Orientierungsfragen (26 Prozent). Es folgen gut gestaltete Geschenkbücher (23 Prozent) und Titel, die bei der Bewältigung von Krisen helfen (22 Prozent). Die wissenschaftliche Literatur ist weit abgeschlagen.

Insgesamt gelten Bücher aus christlichen Verlagen bei den Befragten heute gegenüber früher als moderner. Auch ihr Layout erhält bessere Noten. Die christliche Buchbranche hat also erfolgreich aufgeholt. Auch in den E-Book-Bereich sind die meisten kirchennahen Verlage bereits eingestiegen.

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Aber gibt es ein Rezept für ein gut gemachtes christliches Buch? Nach den Erfolgslisten der vergangenen Jahre ist zumindest eines klar: Soll ein Buch die Leser ansprechen, muss es Herz und Kopf erreichen. Man nehme also einen prominenten Autor oder eine Autorin, ein existenziell berührendes Thema, versehe das locker und leicht geschriebene Manuskript mit einem hochwertigen, alle Sinne ansprechenden Cover - und es ist fast schon perfekt. Was noch fehlt, sind vor allem ein ausgefeiltes Marketing und eine perfekt funktionierende Vertriebsstruktur.

Über diese verfügen vor allem die zu Konzernen gehörenden Großverlage. Auch das Gütersloher Verlagshaus hat durch die Zugehörigkeit zu Random House die Möglichkeit, mit Spitzentiteln bei Großbuchhandlungen wie Thalia und Co. ins Regal zu kommen. Verlagsleiter Klaus Altepost versucht, eine Brücke zwischen gesellschaftlichen und persönlichen Lebensfragen und den Werten zu schlagen, die von der christlich geprägten Tradition herrühren. Diese kann zum meditativen Buch ebenso wie zum politischen Streitbuch führen, aber auch zu Begleitbüchern für Trauernde oder Debattenbüchern über Erziehungsfragen.

Nach wie vor kommt aber auch die Theologie bei den Güterslohern nicht zu kurz. Klaus Peter Jörns stellt die christlichen Glaubensüberlieferungen auf den Prüfstand: "Update für den Glauben" nennt er diesen Vorgang. Wie bei der Anpassung eines PC-Softwareprogramms will er die Grundlagen des Glaubens zeitgemäß justieren.

Näher an der traditionellen christlichen Dogmatik bleibt dagegen der Heidelberger Theologe Wilfried Härle. Der für seine Meisterschaft im einfachen Erklären theologischer Zusammenhänge bekannte Professor stellt in einer in der Leipziger Verlagsanstalt neu erschienenen "Laiendogmatik" verständlich dar, was es mit dem Glauben an Gott auf sich hat. Im Zentrum steht dabei die Trinitätslehre als Inbegriff des christlichen Gottesverständnisses.

Verständlich vom Glauben reden möchten auch die Autorinnen und Autoren der dreibändigen Reihe "Was Christen glauben", die im Bielefelder Luther-Verlag erschienen ist. Die kurz gehaltenen Beiträge eignen sich auch gut als Impulse für Gespräche in Gruppen und Kreisen. Hierfür bewährt hat sich auch der siebenteilige Kurs "Spur acht", zu dem der Neukirchener Verlag jetzt auch ein Handbuch mit CD-Rom inklusive aller Materialien vorgelegt hat.

"Die Menschen suchen keine sachlich begründeten, sondern vielmehr am Leben verankerte Antworten", stellt Detlef Holtgrefe, Vorsitzender des Verbandes Evangelischer Buchhändler und Verleger (VEB) fest. Diesen Schluss zieht er aus dem Erfolg eines Buches wie "Am Ende des Gedächtnisses", das Brigitte Andersson über ihre demenzkranke Mutter geschrieben hat. In eine ganz ähnliche Richtung tendieren die Bücher des jungen adeo-Verlags. Verlagschef Ralf Markmeier und Programmleiter Stefan Wiesner haben in jüngster Zeit gleich mit zwei Titeln Volltreffer gelandet. Die von dem früheren "Stern"-Reporter Christoph Fasel meisterhaft erzählten Lebensgeschichten von Samuel Koch und dem Jungen Mirco landeten schon nach kurzer Zeit auf Platz 1 der "Spiegel"-Bestsellerliste.

Viele der genannten Bücher eignen sich gut als Geschenk. Die Geschenkfreudigkeit der regelmäßigen Buchkäufer ist eine der wenigen Lichtblicke im veränderten Kaufverhalten auf dem Buchmarkt. Etwas mehr als elf Bücher kauft der durchschnittliche regelmäßige Buchkäufer pro Jahr, davon durchschnittlich 2,2 als Geschenk. Verlage wie adeo, der Präsenz Verlag und die Edition chrismon haben sich in besonderer Weise darauf eingestellt. Ihre Bücher wollen auch ein haptisches Erlebnis vermitteln: Inhalt und äußere Gestaltung sind titelbezogen aufeinander abgestimmt.

Nach wie vor sind es am häufigsten die persönlichen Empfehlungen von Freunden und Bekannten, die den größten Einfluss auf die Kaufentscheidung der Leser haben. Ebenso Rezensionen in christlichen Zeitschriften. Sortiment, Beratung, Service und Erlebniswelt spielen bei der Kaufentscheidung ebenfalls eine große Rolle. Fehlen Auswahl und Beratung in einer Buchhandlung, werden die Kunden mit Beschleunigung ins Netz getrieben. Zum Service gehört nicht nur, dass der Buchhändler das Buch in Geschenkpapier packt. Er muss selbst auch zum Internethändler werden.

Buchhändler kommen am Thema E-Book nicht vorbei. Wer von ihnen sich jetzt nicht auf den Weg macht und im Sinne der Kundenbindung eine eigene Website aufbaut, einen Webshop eröffnet und über diesen auch E-Books verfügbar macht, dem kann bald schon das Schicksal vieler Buchhandlungen wie in den USA drohen. Beinahe jede dritte Buchhandlung musste dort bereits schließen. Höchste Zeit zum Handeln.

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Wolfgang Riewe

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