Von Heidelberg in alle Welt

Eine Doppelausstellung erinnert an ein Buch, das Kirchengeschichte geschrieben hat
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Vor 450 Jahren entstand der "Heidelberger Katechismus", der zur Bekenntnisschrift vieler Kirchen in der ganzen Welt geworden ist, die das Erbe des Genfer Reformators Johannes Calvin pflegen. Daran erinnert in Heidelberg eine Doppelausstellung unter dem Titel "Macht des Glaubens". Der Journalist Martin Rothe hat sie besucht. Und nicht alles, was er gesehen hat, hat ihm gefallen.

Heidelberg im Jahre des Herrn 1563: Eine Theologenkommission um den Melanchthonschüler Zacharias Ursinus überreicht dem pfälzischen Kurfürsten ein schmales Büchlein. Es enthält gut hundert Fragen und Antworten in einfacher Sprache. Weder Ursinus noch Friedrich III., der "Pfalzgraf bei Rhein", ahnen, dass dieses Büchlein bald um die Welt gehen wird.

Friedrich, erst wenige Jahre im Amt, hatte seine Kurpfalz gerade ein zweites Mal reformiert: Er war vom Luthertum zum Calvinismus gewechselt. In seinem Auftrag verfassten die Theologen eine Schrift als Katechismus für junge Leute und zugleich als verbindliches Bekenntnis für das ganze Land.

Einzigartig ist der existenziell eindringliche Ton des Werkes, etwa in Frage 1: "Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?" Antwort: "Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre."

Im weiteren Text entfalten die kurpfälzischen Theologen systematisch die ganze Glaubenslehre des deutschen Reformiertentums: vom erbsündigen Menschen über die Rechtfertigung durch Christi Sühnetod bis hin zum heiligen Lebenswandel. Um die Landeskinder vor Anfechtungen zu schützen, haben die Verfasser Einwände von römisch-katholischer oder evangelisch-lutherischer Seite in ihren Fragen vorweggenommen. In den Folgejahren wird noch manches ergänzt, so wird die römisch-katholische Messe als "Abgötterei" verdammt.

Generationen von Jugendlichen lernen nun den "Heidelberger Katechismus" auswendig. Und in Sonntagspredigten wird er regelmäßig ausgelegt. Und das bald nicht nur in der Kurpfalz, sondern - per Beschluss der Synode von Dordrecht - in den calvinistischen Ländern Europas, inklusive der Kolonien in Übersee. Sogar ins Indonesische wird das Bekenntnisbuch übersetzt. Sein Herkunftsland, die Kurpfalz, entwickelt sich in dieser Zeit durch politisches Geschick zum Knotenpunkt der Reformierten Westeuropas. Die kurpfälzische Residenz- und Universitätsstadt Heidelberg wird neben Genf und Leiden zum dritten Leuchtturm des Calvinismus.

Heidelberg im Jahre 2013: Mit einer zweifachen Ausstellung blickt man in der Stadt zurück auf 450 Jahre Heidelberger Katechismus. Doch wer kennt ihn heute noch in Deutschland? Jenseits der Theologenwelt wahrscheinlich die wenigsten. In den Niederlanden - wie auch in Amerika - ist das Bild dagegen differenzierter: "In vielen unserer orthodox-reformierten Gemeinden ist der Heidelberger Katechismus noch in sehr lebendigem Gebrauch", berichtet die niederländische Theologin Karla Apperloo-Boersma. Sie leitet die internationale Plattform Refo500, die sich um eine Aktualisierung der Reformation bemüht und an der Konzeption der Ausstellungen beteiligt war. "Wir haben aus den Niederlanden viele Anfragen, die Schau hier in Heidelberg kennenzulernen. Diese Leute haben ein wirklich inhaltliches Interesse am Heidelberger Katechismus."

Und wird Heidelberg sie zufriedenstellen? Klarheit verschafft ein Besuch der beiden Ausstellungsorte in der Stadt. Der Titel der Schau lautet griffig "Macht des Glaubens". Beide Orte zeigen jeweils einen Teilaspekt davon: Unten, inmitten des Gewimmels der Altstadt, widmet sich das Kurpfälzische Museum dem Aspekt "Glauben". Oben auf dem Schloss veranschaulicht eine zweite Ausstellung die Dimension "Macht".

Foto: epd/Mathias Ernert
Foto: epd/Mathias Ernert

Im Heidelberger Schloss geht es um den Schwerpunkt "Macht".

Das Heidelberger Schloss selbst ist dabei für die Kuratoren "das Exponat schlechthin". Im Ottheinrichsbau, der "berühmtesten Ruine der Welt" (Eigenwerbung), tritt der Besucher durch Renaissancetüren in fünf großzügig bemessene Räume. Würden nur einheimische Bestände ausgestellt, wären sie recht leer. Doch Kurator Wolfgang Wiese und seine Mitarbeiter haben Leihgaben aus ganz Deutschland und Europa zusammengetragen: An burgundroten Wänden hängen beeindruckende Porträts der Kurfürsten und ihrer Zeitgenossen aus England, Frankreich und den Niederlanden. Zu sehen gibt es außerdem Kupferstiche, Heiratsverträge, Münzen, Jagd-?und Kriegswaffen, Rüstungen, Notenbücher und prunkvolle Musikinstrumente.

Zusammen mit den Überresten des Schlossgartens veranschaulichen sie den Repräsentationswillen der pfälzischen Kurfürsten. Calvinistische Strenge hin oder her: Man war - am lutherischen Sachsen vorbei - zur Vormacht des Protestantismus im Reich aufgestiegen und maß sich um 1600 mit den Höfen Wiens und Londons. Da wollte schon einiger Glanz entfaltet sein.

Die Teilausstellung im Schloss findet ihren Höhepunkt, wo sie - mit Gemälden aus der National Portrait Gallery in London - die Jahrhunderthochzeit des Jahres 1613 vor Augen führt: Damals heiratete der junge Kurfürst Friedrich V. die Tochter des Stuartkönigs Jakob I. Damit verband sich der Führer der Protestantischen Union im deutschen Reich - der Herausforderer des Kaisers - mit der anglikanischen Großmacht. Das gab Europas Protestanten Anlass zu schönsten Hoffnungen, insbesondere als Friedrich den Habsburgern 1618 die böhmische Königskrone entwand.

Doch damit hatte die Mittelmacht Kurpfalz überreizt: Die Katholische Liga schlug zurück. In der Schlacht am Weißen Berg verlor der "Winterkönig" Friedrich binnen zweier Stunden die Krone Böhmens und seine pfälzischen Stammlande. Mit seiner Frau musste er in die Niederlande fliehen. Und Mitteleuropa stürzte in die Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges. Die Ambitionen der Kurpfalz waren zerstoben, und Heidelbergs Glanz erlosch.

Umso verlockender der Rückblick. "Unsere Stadt war nie internationaler als um 1600. Wir haben das Jubiläum des Heidelberger Katechismus zum Anlass genommen, von dieser Internationalität und wissenschaftlichen Blüte ein Zeugnis zu geben", sagt Frieder Hepp, Direktor des Kurpfälzischen Museums, des zweiten Ausstellungsortes. Sein Haus wolle das konfessionelle Zeitalter von 1550 bis 1650 in seiner Vielfalt darbieten und zeigen, dass es - wie Shakespeare seinen Hamlet sagen lässt - "mehr Dinge gibt zwischen Himmel und Erde, als unsere Schulweisheit sich träumen lässt".

Leider bleiben die Kuratoren des Kurpfälzischen Museums bei der Schulweisheit stehen. Sie haben sich bei der Ausgestaltung viel Mühe gegeben, doch kaum eingelöst wird das Versprechen, den Aspekt des Glaubens näher zu entfalten. Die Wände der drei eher kleinen Räume, in unterkühltem Grau und Türkis gehalten, sind gespickt mit deutschen und englischen Sätzen - eine Auswahl der Katechismusfragen. Doch über die Antworten, die der Heidelberger gibt, erfahren die Besucher kaum ein Sterbenswörtchen. Es sei denn, sie wollen ein iBook bemühen, das im letzten Raum in einer Ecke baumelt.

Essenziell wäre gewesen, in Grundzügen Fakten zu erfahren, über das spezielle Profil des deutschen Reformiertentums, die Gegenargumente der Lutheraner und die weitreichenden Beschlüsse des römisch-katholischen Konzils von Trient, das im Erscheinungsjahr des Heidelberger Katechismus zu Ende ging. Doch Fehlanzeige. Lediglich die Abendmahlsfrage wird mit wenigen Sätzen gestreift und mittels eines Holzkelchs veranschaulicht.

Foto: epd/Mathias Ernert
Foto: epd/Mathias Ernert

Mit einem Astrolabium wurde die Ortszeit bestimmt.

Foto: Kurpfälzisches Museum
Foto: Kurpfälzisches Museum

Der pfälzische Kurfürst Friedrich III.

Statt die Hintergründe zu beleuchten, bedient die Ausstellung wohlfeile Klischees: Sie richtet die Aufmerksamkeit der Besucher mittels Flugblätter allein auf das Konfessionsgezänk, barbarische Bilderstürmer und die religiöse Intoleranz von Calvinisten. Soweit so halbwahr.

Positiv hervorzuheben sind eigentlich nur die Informationen über die internationale Wirkung des Heidelberger Katechismus und die häufigen Konfessionswechsel der pfälzischen Kurfürsten. Doch letzteres hatte man schon oben im Schloss erfahren.

Die Macher des Glaubensteils der Heidelberger Ausstellung hatten es offenbar eilig, den vermeintlich allzu theoretischen Bereich der Religion zu verlassen. So nehmen sie Zuflucht zu unverfänglichen Details, die dem Heidelberger Lokalpatriotismus schmeicheln: der Ruhm der heimischen Universität im 16. Jahrhundert, astronomische Werkzeuge mit Lokalbezug, die sich entwickelnde Landschaftsmalerei und die höfische Trinkkultur in der Pfalz. Das ist schade, denn die Besucher erwarten eine Ausstellung über Glaube und Katechismus.

Was man in beiden Teilen der Ausstellung vergeblich sucht, ist der Bezug zur Gegenwart. Noch heute wird der Heidelberger Katechismus zum Beispiel in den Landeskirchen der Region Baden und Pfalz zu den Lehrgrundlagen gezählt. Aber er dürfte auch hier nur noch Theologen bekannt sein. Wie es zu diesem Bedeutungsverlust kam, wird leider kaum thematisiert.

Und die Frage, was die Heidelberger Glaubensartikel - oder Bekenntnisse allgemein - heute noch bedeuten, wird von der Ausstellung bestenfalls implizit gestellt. Dabei wäre es spannend gewesen zu erfahren, was heutige Heidelberger Schüler oder auch Theologen auf die erste Frage des Katechismus antworten würden - und wie sich beides miteinander ins Gespräch bringen ließe. Dem spürt immerhin die evangelische Kirche Heidelbergs mit diversen Aktionen und Veranstaltungen nach. Auch die beiden Museen hätten auf den einen oder anderen Nebenaspekt verzichten und sich stärker auf die Glaubensurkunde und ihre gegenwärtige Relevanz konzentrieren können.

Bei aller Kritik muss man den Kuratoren aber dankbar sein, dass sie mit ihrer Ausstellung den Heidelberger Katechismus wieder in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit rücken. Wer sich für die Konfessionsgeschichte der Kurpfalz, ihre Rolle im europäischen Calvinismus und die dynastischen Ambitionen ihrer Fürsten interessiert, kommt insbesondere im Heidelberger Schloss voll auf seine Kosten. Übrigens gibt es noch einen dritten Ausstellungsteil: In den Niederlanden, im königlichen Palast Het Loo bei Apeldoorn, wird die Religiosität des Hauses Oranien-Nassau dokumentiert. Diese Ausstellung ist bis zum 1. September zu sehen.

Information

Die Heidelberger Ausstellungen "Macht des Glaubens" sind bis zum 15. September, Montag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, zu sehen.

Begleitbuch zu den Ausstellungen: Macht des Glaubens - 450 Jahre Heidelberger Katechismus, hrsg. im Auftrag von Refo500 von Karla Apperloo-Boersma und Herman J. Selderhuis Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen/Bristol 2013, 460 Seiten, Euro 39,99.

zur Ausstellung

Martin Rothe

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