Wie ein Moderator
Alt-Katholiken? Ach, das sind doch die, die nicht an den Papst glauben!?" Die Dame am Frühstücksbuffet eines deutschen Hotels hatte am Kolarhemd erkannt, dass ich Geistlicher bin und deshalb nach meiner Konfession gefragt. Ihre Antwort ist typisch für die, die irgendwann gehört oder gelesen haben, dass es Katholiken gibt, die es nicht so mit dem Papst haben. Hin und wieder fällt dann auch der Hinweis auf das Erste Vatikanische Konzil, was allerdings schon Kenntnisse der Kirchengeschichte voraussetzt.
Die Richtung stimmt
Zwar glauben Alt-Katholiken so wenig wie Rom-Katholiken an den Papst (sondern an Gott), aber - salopp formuliert - die Richtung stimmt: Mit den Papstdogmen von 1870 fing es an. Jene Katholikinnen und Katholiken, die die Dogmen von der Lehrunfehlbarkeit des Papstes und seinem Jurisdiktionsprimat ablehnten, wurden exkommuniziert. Und so schlossen sie sich notgedrungen zu einer eigenen Kirche zusammen. Der Name "Alt-Katholiken", der heute - unter den Gesichtspunkten der Öffentlichkeitsarbeit - eher irritiert, rührt daher, dass sie für eine Reform der Kirche orientiert an der Alten Kirche, der Kirche des ersten Jahrtausends, eintraten und von daher die Dogmen von 1870 als Neuerungen des alten katholischen Glaubens verwarfen.
Nun liegt das Schisma mittlerweile einhundertvierzig Jahre zurück, und aus der extremen Frontstellung von alt- und römisch-katholischer Kirche ist vielerorts ein ökumenisches Miteinander geworden. Dennoch ist es nahezu unmöglich, sich als Alt-Katholik dem Thema "Papstamt" emotionslos zu nähern. Denn weil viele Alt-Katholiken ursprünglich römisch-katholisch waren, erneuert sich mit jedem Übertritt das Schisma - mit all den damit verbundenen Gefühlen.
Welche Emotionen eine Diskussion über das Papstamt freisetzen kann, erlebte ich, nachdem 2009 der "Bericht der Internationalen Römisch-Katholisch - Altkatholischen Dialogkommission" mit dem Titel "Kirche und Kirchengemeinschaft" erschienen war. Schon die Ankündigung, in diesem Bericht werde erstmals skizziert, wie man sich alt-katholischerseits eine kirchliche Gemeinschaft mit Rom und dem Papst vorstellen könne, bescherte mir Briefe besorgter Alt-Katholikinnen und Alt-Katholiken. Sie fürchteten, auf dem "Altar der Gemeinschaft mit Rom" könnten zum Beispiel Frauenordination, Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und eucharistische Gastfreundschaft mit unseren evangelischen Geschwistern geopfert werden.
Nicht mit dem päpstlichen Bade ausschütten
Die innerkirchliche Diskussion zeigte, dass Kirchengemeinschaft mit Rom nicht bedeuten kann, die gewachsene alt-katholische Identität aufzugeben. Und sie offenbarte auch, wie diffus die alt-katholische Position in Sachen Papstamt ist. Gebetsmühlenartig erklärt man, die päpstlichen Ansprüche von 1870 zu verwerfen, aber am "Primat im altkirchlichen Sinne" festzuhalten. Aber was das genau bedeutet, haben sich in der Vergangenheit offensichtlich nur wenige gefragt. So stehen wir in dieser Hinsicht heute am Anfang eines Diskussionsprozesses, den nicht nur die Fachtheologen führen müssen, sondern das ganze Kirchenvolk.
Dabei ist es sicher ein Problem, dass sich im Papst für viele all das symbolisch verdichtet, was sie an der römisch-katholischen Kirche ablehnen: Antiquiertheit und Weltfremdheit, eine rigide und lebensfremde Sexualmoral, autoritäre Strukturen und übertriebener Prunk. Solche symbolische Verdichtungen machen es manchmal schwer, der Frage nachzugehen, ob der Papst im Sinne eines Amtes der Einheit eine legitime Funktion in der Universalkirche haben könnte.
Dabei hatte die alt-katholische Gründergeneration weiß Gott nicht die Absicht, das päpstliche Kind mit dem Bade auszuschütten. Als sich die Vertreter der opponierenden Katholiken im September 1871 in München zum ersten (Alt-)Katholikenkongress trafen, bekräftigten sie erneut die Ablehnung der vatikanischen Dogmen. Und sie betonten, durch den Jurisdiktionsprimat würden die Bischöfe "aus der unmittelbaren und selbständigen Leitung der Einzelkirchen" verdrängt und die katholische Kirchenstruktur werde zerstört. Sie hielten aber ebenso fest: "Wir bekennen uns zu dem Primate des römischen Bischofs, wie er auf Grund der Schrift von den Vätern und Concilien in der alten ungetheilten christlichen Kirche anerkannt war."
Offizielle Gespräche erst 1966
Als sich die alt-katholischen Bischöfe 1889 zur Utrechter Union zusammenschlossen, betonten sie in ihrem Grundlagendokument, der "Utrechter Erklärung", dass sie den "historischen Primat" anerkennen, "wie denselben mehrere ökumenische Concilien und die Väter der alten Kirche dem Bischof von Rom als primus inter pares, zugesprochen haben mit Zustimmung der ganzen Kirche des ersten Jahrtausends". Wie das Papstamt ausgestaltet werden müsste, damit es Alt-Katholiken (wieder) akzeptieren können, darüber dachte man auch deshalb lange kaum nach, weil der entsprechende Dialogpartner fehlte. Denn offizielle Gespräche zwischen alt- und römisch-katholischer Kirche begannen erst 1966.
In diese Zeit fiel der hundertste Jahrestag der Dogmen von 1870. Mit Datum vom 18. Juli 1970 veröffentlichten die alt-katholischen Bischöfe eine gemeinsame Erklärung über den "Primat in der Kirche", die sich bemerkenswert von früheren Dokumenten unterscheidet. Natürlich wird die Verwerfung der Dogmatisierung der Unfehlbarkeit und des Universalepiskopats des römischen Bischofs bekräftigt, aber dies erstaunlich knapp. Stattdessen wird größerer Wert darauf gelegt, über ein "volleres Verständnis des Primates in der Kirche zu reflektieren". Die Bischöfe machen dabei deutlich, dass man die Sonderstellung des Petrus nicht einfach auf den Bischof von Rom übertragen kann. Aber sie erkennen an, dass ihm ein Vorrang zugesprochen wurde, der zum "Zeichen der Einheit erwuchs". Ein einseitig rechtliches Verständnis des Primates wird zurückgewiesen, stattdessen wird von einem "Dienstamt der Einheit" gesprochen.
Petrus war nicht der erste Papst
Wie der Bischof von Rom dieses konkret ausüben könnte, liegt nicht im Horizont der bischöflichen Erklärung, obgleich sich im Jahr zuvor die Internationale Altkatholische Theologenkonferenz zum Primat etwas konkreter geäußert hatte. Darin heißt es, die Aufgabe eines "Petrusamtes", der Begriff wurde auch damals in Anführungszeichen gesetzt, müsse darin bestehen, "in allen Entscheidungssituationen mit einer Initiative voranzugehen, die es der Kirche ermöglichte und sie nötigte, zu gemeinsamer Entscheidung zu gelangen, ihren Glauben auszusprechen und ihre Einheit sichtbar darzustellen. Als reiner Dienst an Christus, seiner Kirche und der Welt wäre diese Funktion als Verpflichtung und nicht als Rechtskompetenz zu verstehen."
Fasst man das bisher Dargelegte zusammen, wird man resümieren können: Der Bischof von Rom hat für die alt-katholische Kirche eine Vorrangstellung in der Universalkirche, ohne dass sie die biblische Begründung übernimmt, wie sie in der römisch-katholischen Kirche üblich ist. Stattdessen betont die alt-katholische Kirche, dass diese Funktion dem Bischof von Rom zugesprochen wurde oder ihm im Laufe der Zeit zugewachsen ist. Pointiert bedeutet dies: Petrus war nicht der erste Papst. Und streng abgelehnt wird der Gedanke, mit dem Primat sei eine jurisdiktionelle Vollmacht über alle Kirchen verbunden. Gleichzeitig wird - über die hier vorgelegten Zitate hinaus - stets die Einbindung des Primats in konziliare beziehungsweise synodale Strukturen gefordert. Im genannten Dialogpapier "Kirche und Kirchengemeinschaft" wird am Ende skizziert, wie sich aus alt-katholischer Sicht Gemeinschaft mit Rom gestaltet und der Papst seinen Primat als "personales Zeichen der universalen Einheit der Ortskirchen" ausüben könnte. Demnach kann er immer dann aktiv werden, wenn die Einheit der Ortskirchen oder ihr Bleiben in der Wahrheit bedroht ist. Und wie tut er das?
Kein Letztendscheidungsrecht
Indem er "mit die Ortskirchen verpflichtenden Initiativen vorangeht und gemeinsame Entscheidungsfindungen koordiniert". Konkret würde dies bedeuten: Wenn der Papst erkennt, dass eine autonome Ortskirche Entscheidungen vorbereitet, die andere Ortskirchen nicht mittragen können, zum Beispiel die Einführung der Frauenordination, wäre er verpflichtet, diese Ortskirche auf die Konsequenzen ihres Wollens hinzuweisen und mit allen Ortskirchen in einen Gesprächsprozess einzutreten, um gemeinsam, also synodal, zu einer Lösung zu kommen. Von alt-katholischer Seite wird dabei aber ausdrücklich betont, dass damit keine päpstliche Jurisdiktion über eine Ortskirche verbunden ist und kein Letztentscheidungsrecht des Papstes. Vielleicht könnte man diese Funktion des Papstes also mit dem modernen Begriff "Moderator" umschreiben.
Es gibt Alt-Katholiken, denen ist schon das zu viel Papst. Umgekehrt wird es etlichen Rom-Katholiken zu wenig sein. Denn sie werden fragen, ob nicht am Ende einer entscheiden muss, damit die Einheit gewahrt bleibt. Aber wer meint, Einheit lasse sich erzwingen, erliegt meines Erachtens einem Irrtum. Denn weder eine päpstliche noch eine konziliare Entscheidung garantiert die Einheit. Ja, es kann Situationen geben, in denen als Lösung eines Konfliktes nur die Option bleibt, getrennte Wege zu gehen. Bis es soweit kommt, muss das Amt der Einheit, das es auf allen Ebenen der Kirche gibt, aber versuchen, in einem synodalen Prozess mit allen Beteiligten um eine Lösung zu ringen, die alle oder möglichst viele mittragen können. Ich glaube, dass ich so auch meine Funktion als Bischof umschreiben kann, also meinen Dienst an der Einheit des alt-katholischen Bistums.
In dieser Weise wäre aus alt-katholischer Sicht ein päpstlicher Primat denkbar. Aber nun stellt sich die schlichte Frage, ob dann der Papst auf der Ebene der Weltkirche nicht ganz anders agieren müsste, als er es in seiner eigenen, der römisch-katholischen Kirche tut. Ist es denkbar, in der universalen Kirche das Amt der Einheit eingebunden in synodale Prozesse auszuüben und innerhalb der römisch-katholischen Kirche im Zweifelsfall den Joker des Jurisdiktionsprimats zu ziehen? Will man diesen Widerspruch auflösen, kommt man um die Dogmen von 1870 nicht herum.
Matthias Ring