Stärke und Schwäche Friedrichs war, dass er überall war und sein wollte - als Schlachtenlenker auf den Schlachtfeldern (für einen Monarchen seiner Zeit geradezu extravagant), als alles kontrollierender Landesvater in der Landwirtschaft oder in der Industrie. Ein Großteil seines Lebens spielte sich auf der Straße ab - Friedrich neigte dazu sich zu verzetteln. Da ihn auf dem Weg von Potsdam nach Berlin das sumpfige, mit Gebüsch bestandene Hopfenbruch linkerhand der Straße von Schöneberg nach Charlottenburg verdross, wurden die Anwohner zur Nutzbarmachung des Gebietes durch Trockenlegung und Anlegung von Gräben verpflichtet. Das war 1774, wegen der "Armseligkeit" der Schöneberger zahlte Friedrich die Kosten.
Viele seiner Vorgänger hatten durch "Peuplierung" das bevölkerungsschwache Preußen zu stärken versucht. So Friedrichs Vater Friedrich Wilhelm I. - wenige Wochen vor seinem Tod legte der seinem Sohn die Urbarmachung und Besiedlung des Netze-/Wartebruchs ans Herz, in dem er auf den entsprechenden Plan "Vor (= für) meinen ältesten Sohn" schrieb. Protestierende Forstbeamte, die um Einbußen bei der Schwarzwildjagd fürchteten, beschied er: "Besser Menschen als Schweine."
Zentrale Serviceagentur
Bei der Urbarmachung der sumpfigen Brüche in der zur Mark Brandenburg gehörenden Neumark waren Friedrichs wichtigste Mitarbeiter anfangs der Oberdeichdirektor Simon Leonard Haerlem (1701-1775), der die Trockenlegung der Oder plante und regelte, sowie Oberst Wolf Friedrich von Retzow (1699-1758), der die Besiedlung der meist neuen Orte organisierte. Ihre Dienststelle in Wurzen, wo sie Migrantenfamilien empfingen, war, wie man in Freienwalde erfahren kann, eine Art zentraler Serviceagentur der friderizianischen Integrationspolitik. "Entrepreneurs" genannte Bauunternehmer hatten in den Orten neben Rathäusern und Kirchen Wohnhäuser errichtet, die zugeteilt wurden. Nur 49 Prozent des nach Retzows Plan verteilten Siedlungsgebietes war königliches Dominialland, 25 Prozent gehörte dem seit 1538 evangelischen Johanniterorden, 18 Prozent war adeliges oder bürgerliches Eigentum und 8 Prozent gehörten den Städten Freienwalde, Oderburg, Wriezen.
Im seit 1746 trockengelegten Oderbruch kamen nun rund achttausend "Kolonisten" auf rund fünfhundert ortsansässige "Fischer und Nachbarn", die oft einen slawischen Dialekt sprachen. Die schwierige mentale, sprachliche und religiöse Assimilation gelang, weil kein Mehrheitsprinzip den zahlenmäßig überlegenen Kolonisten Diktate erlaubte, sondern gegenseitig Rücksicht genommen wurde. Tausende hatten im Vertrauen auf des Königs Wort mit Sack und Pack ihre Heimat verlassen, um als Friedrichs Untertanen frei leben zu können. Friedrich hielt sein Wort, er bestellte reformierte und lutherische Pfarrer, deren Gemeinden sich neu errichtete Gemeinschaftskirchen teilen mussten. Wechselnde Nutzung eines Gotteshauses milderte innerprotestantischen Konflikteifer. Daneben bezeugt die 1747-1778 neben dem Berliner Schloss errichtete Hedwigs-Kathedrale die Integration der schlesischen Katholiken.
Im Netze-/Warthebruch der Neumark, der nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) urbar gemacht wurde, fallen exotische Namen der Streusiedlungen auf: Philadelphia, Quebeck, Korsika, Maryland, Pennsylvenia und andere Namen der "Entrepriesen" - sie verweisen nicht etwa auf die Herkunft der Siedler, sondern lassen vermuten, dass die Sehnsucht der Siedler sie in ihren Träumen weiter zog, in ein Land, wo Einwanderer freie Menschen waren.
Polnische Protestanten
Das Unglaubliche gelang. Auszugleichen waren Kriegsverluste und die vertriebenen oder umgebrachten Opfer der "Russenzeit" in der 1757 bis 1760 fast dauernd besetzten Neumark. Friedrich holte aus Anhalt den durch einen schwunghaften Pferdehandel reich gewordenen Balthasar Schönberg von Brenckenhoff (1723-1780) und setzte ihn als Geheimen Oberfinanz-Rat an die Spitze einer dem König unmittelbar unterstellten Immediatkommission.
Zuerst, ab 1763, wurde der Netze-, dann der Warthebruch "bewallt" und besiedelt, in Driesen (seit 1945 Drzen) wurde eine Synagoge gebaut. 1777 teilte die Neumärkische Kammer dem König mit, da es noch an "Kirchen, Predigern und Schulmeistern" fehle, habe "von Brenckenhoff aus dieser Ursach und um die Protestanten aus Pohlen mehr in die Colonien hinein zu locken, ohnweit der polnischen Grenze bereits 1 reformierte und 2 lutherische Kirchen und Pfarrer-Wohnungen erbauen lassen und die dazu nöthigen 7.200 Reichtaler aus der Bewallungskasse solange vorschußweise hergenommen, bis es Ew. Kgl. Majestät allerhöchst gefällig sein würde, das ganze erbetene Capital zu denen Kircheneinrichtungen herzugeben".
Das friderizianisches Werbesystem wandte sich vor allem an Protestanten, die in Polen, in Sachsen und in der Pfalz einer rücksichtslosen Katholisierungspolitik ausgesetzt waren. Etwa zwei Drittel der Kolonisten waren polnische evangelische Christen deutscher Abstammung und Sprache. Freilich berichteten auswanderungswillige polnische Mennoniten im März 1763, dass ihrer Bitte nicht entsprochen wurde, ihre Grundherrschaft, falls diese sie nicht ziehen ließe, mit einem Reiterdetachment gefügig zu machen. Sachzwänge ließen die Verwaltung manche der zugesagten Freiheitsrechte zurücknehmen, ohne freilich den Zorn der Ansässigen auf die Befreiung der Kolonisten mindern zu können, die etwa auf das von "Friderich am 13. Dezember 1762 in Leipzig geschehene Versprechen" pochten, "auf ihre Lebenszeit von allen und jeden Werbungen, sowie auch Einrollierungen gänzlich befreyet und eximinieret zu seyn", also weder zu Steuerzahlungen noch zu Militärdienst herangezogen zu werden.
Mehr als Staatsraison
Friedrichs summarisches Verfahren zur Anwerbung und Ansiedelung der Kolonisten, das sich in Landzuteilungen über grundherrliche Rechte des Adels hinwegsetzte, der Kolonisten als Leibeigene und nicht als freie Untertanen dulden wollte, ist charakteristisch für die Bruchlinien im Charakter dieses aufgeklärt-absoluten Herrschers.
Den Dank, mit dem ihm Bewohner der neuen Orte im Oderbruch und deren Nachfahren begegneten, zeigen in Freienwalde die Denkmäler, die zu Friedrichs Ehren errichtet wurden - die Oderländer in Letschin versteckten das dort 1905 errichtete Denkmal Friedrichs in den DDR-Jahren unter Heu.
Kategorisch schloss Friedrich aus, den Kolonisten das Recht zu nehmen, ihren zumeist evangelischen oder freikirchlichen Glauben frei pflegen zu können, während er Beschränkungen ursprünglich freier Verfügungsrechte der Kolonisten aus Sachzwängen duldete. Die Behauptung, dass ausschließlich Staatsraison sein Handeln bestimmte, verfehlt die Vielfalt seiner Motive. Wiewohl Freund atheistischer Philosophen verwarf Friedrich atheistischen Materialismus. Seine theologischen und insbesondere kirchengeschichtlichen Kenntnisse überflügelten die anderer Monarchen; sein bissiger Spott galt in seiner rationalistischen Religiosität vor allem dem Kirchenchristentum. Als Feldherr in einer Krisensituation erarbeitete Friedrich über ein Jahr, bis 1759, eine Predigt über das jüngste Gericht. Über diese fällt in den opulenten Friedrich-Ausstellungen in Berlin und Potsdam kein Wort. Die Darstellung der religiösen Integration neuer preußischer Untertanen durch Friedrich füllt eine Lücke.
Informationen
Gemeinschaftsausstellung: "Friedrichs neue Untertanen. Die Innere Kolonisation in der Mark Brandenburg im 18. Jahrhundert", bis 23. September, Schloss Freienwalde, Rathenaustr. 3, Bad Freienwalde, Telefon 03344-2407, Öffnungszeiten: Mi. bis So. und feiertags 11-18 Uhr (April bis Oktober), und im Dominikanerkloster Prenzlau
Andreas Meier