Es war einmal eine dunkle Zeit. Da sank der Westteil des alten Römerreiches in Trümmer - erobert von den Stämmen der Germanen. Doch deren Fürsten und Könige, verglichen mit den glanzvollen Herrschern in Byzanz eher Bandenoberhäupter, nahmen einer nach dem anderen den neuen Glauben des alten Reiches an. Und ihr ganzes Volk tat es ihnen gleich. Denn die Germanenkönige vereinten in sich die Funktion des Heerführers und des Hohepriesters, der "die gesamte Verantwortung gegenüber den übernatürlichen Kräften" trug, so der französische Mediävist Georges Duby. Diese dem christlichen Evangelium eher fremde Vorstellung brachten die Germanen in die Kirchengeschichte ein. Doch nicht nur das: So, wie die Germanenfürsten jeweils ihren Privattempel und einige Hauspriester hatten, entwickelte sich auch im getauften Frankenreich ein "Eigenkirchenwesen".
Nicht nur die fränkischen Könige hatten ihre Palastkapelle, sondern auch ihre Edlen, die in den Winkeln des Reiches zunehmend eigenmächtig agierten. Sie waren die Herren über Grund und Boden und übten über die ihnen hörigen Bauernfamilien auch die geistliche Leitungsgewalt aus. Sie ließen aus eigenen Mitteln Kirchen errichten und ausstatten. Sie stifteten Land für deren Unterhalt - nicht zuletzt zur Versorgung von Priestern, die auf der "Pfründe" selbst den Pflug ziehen mussten, um sich zu ernähren. Diese "Eigenpriester" waren von den Grundherren ausgewählt worden, sie waren ihnen rechtlich untergeordnet und hatten ihnen den Zehnten abzuführen. So brachte die Stiftung von "Eigenkirchen" dem Adel nicht nur religiöse Verdienste, sondern stellte auch eine lukrative Geldanlage dar.
Die Christianisierung Mitteleuropas wäre ohne das Eigenkirchenwesen so nicht möglich gewesen, schreibt der Kirchenhistoriker Wolf-Dieter Hauschild. Denn die Bischöfe hatten allein nicht die materiellen Möglichkeiten, in diesem Umfang Kirchen zu errichten und Pfarrhäuser aufzubauen. So waren zur Zeit Karls des Großen fast alle Pfarrkirchen im Besitz von Grundherren.
Wildwuchs zurechtgestutzt
Dieser Einfluss eigenmächtiger und religiös kaum gebildeter Laien in der Kirche war den reformfreudigen Klerikern zunehmend ein Dorn im Auge. Und so stutzten die Päpste des 11. Jahrhunderts den frühmittelalterlichen Wildwuchs des Eigenkirchentums zu jenem Patronatswesen zurecht, das in manchen Kirchengemeinden Deutschlands mit einigen Anpassungen bis in die Gegenwart überlebt hat. Auch in evangelischen Landen.
Noch heute gibt es Grundherren oder "Herren von Stand", beispielsweise Erben eines Grafen- oder Fürstentitels, die Schirmherr über eine oder mehrere Kirchengemeinden sind. Mit einigen Privilegien, vor allem aber auch Verpflichtungen: So erwarten die Gemeinden von ihren Patronen, dass sie sich an der Finanzierung der Kirchengebäude und ihrer Ausstattung beteiligen, regelmäßig selbst in Erscheinung treten und ein offenes Ohr für Bitten und Beschwerden haben. Im Gegenzug haben die Patronsherren das "Präsentationsrecht", wenn es darum geht, die Pfarrstelle ihrer Gemeinde neu zu besetzen: Sie dürfen der Kirchenleitung und dem Kirchengemeinderat Kandidaten zur Auswahl vorschlagen.
Was wie ein Relikt des Feudalismus anmutet, ist zum Beispiel im ländlichen Südwestdeutschland keine Seltenheit. So gibt es in der badischen Landeskirche insgesamt 65 Kirchenpatronate. Besonders viele davon befinden sich im Neckar-Odenwald-Kreis um die Stadt Mosbach.
An einem sonnigen Tag Ende Juni im vergangenen Jahr besteigt eine 74-jährige Großherzogliche Hoheit den Kirchturm des Odenwald-Dorfes Strümpfelbrunn, etwa 25 Kilometer östlich von Heidelberg. Ludwig Prinz von Baden ist von seinem wenige Kilometer entfernten Schloss Zwingenberg am Neckar herübergekommen und testet mit dem evangelischen Pfarrer die neue Holztreppe zum Glockenstuhl. Das Holz dafür hat Prinz von Baden aus seinem benachbarten Privatwald gespendet. Oben angekommen, zeigt ihm der Pfarrer die neuen Glocken, die mit Unterstützung des Patrons bezahlt werden konnten.
Patronatsherr der evangelischen Kirchengemeinde Strümpfelbrunn ist nicht der Prinz von Baden selbst, sondern sein älterer Bruder, Maximilian Markgraf von Baden. Doch weil dieser im fernen Salem am Bodensee wohnt, kümmert sich Ludwig um die Angelegenheiten in Strümpfelbrunn. Die beiden Brüder sind Cousins ersten Grades von Prinz Charles und Urenkel des letzten Großherzogs von Baden, der vor hundert Jahren Patronatsherr war, als die Protestanten in Strümpfelbrunn eine neue Kirche bauten. Der Großherzog finanzierte damals die ersten Glocken sowie Glasfenster und ein kostbares Abendmahlsgeschirr.
Es gilt das Kirchenrecht
Sein Nachkomme auf Schloss Salem ist heute außer für das evangelische Strümpfelbrunn noch für zehn weitere Patronatskirchen zuständig. Diese allerdings sind allesamt katholisch - obwohl der Markgraf selbst Protestant ist. Wie passt das zusammen? "Das Patronat über eine Gemeinde anderer Konfession ist kein Problem: Der Patron hält sich einfach an das jeweilige Kirchenrecht", sagt Prinz Ludwig bei einer Tasse Kaffee im Amtszimmer des Pfarrers. Für seine Familie sei das Patronat über Strümpfelbrunn ein Gewohnheitsrecht geworden. "Man versucht, zweimal im Jahr hier in der Kirche zu sein. Das ist immer eine nette Zusammenkunft." Mit seiner Gattin, einer Österreicherin, nimmt er jeweils am vierten Advent an einem Gottesdienst mit anschließendem Essen teil. Auch das alljährliche Herbstfest der Gemeinde bietet Gelegenheit, mit den Strümpfelbrunnern ins Gespräch zu kommen. Das Festbüffet bereichert Prinz von Baden regelmäßig mit selbst gejagten Wildsäuen aus seinem Wald. Die Forstwirtschaft, sagt er, sei sein einziges Einkommen, sein "Ein und Alles".
Ihm am Tisch gegenüber sitzt Pfarrer Andreas Reibold und denkt zurück an das Jahr 1997, als er sich um die Pfarrstelle in Strümpfelbrunn bewarb. Der einschlägigen Verordnung der badischen Landeskirche entsprechend, tat er das beim Patron der Kirchengemeinde. "Ich schickte meine Bewerbung an die Markgräfliche Verwaltung und eine Kopie an den evangelischen Oberkirchenrat in Karlsruhe. Einige Zeit darauf hat mich der Markgraf zu einem Gespräch auf Schloss Zwingenberg eingeladen", erinnert sich der Theologe. Bei seinem Einführungsgottesdienst war dann Maximilian Markgraf von Baden anwesend.
Im Gebet erwähnen muss der Pfarrer den Patronatsherrn nicht. Auch steht für die Familie von Baden in dieser Kirche kein Ehrengestühl bereit. Aber das vermisst Prinz Ludwig in keiner Weise, denn "sonst würden die Leute im Gottesdienst immer schauen, wie man sich verhält". Das Gehalt des Patronatspfarrers zahlt die badische Landeskirche.
Jährliche Konsultationen beim Bischof
Einmal pro Jahr gibt es eine Konsultation des Landesbischofs mit den Patronatsherren aus seinem Bereich. Nicht wenige der Herrschaften sind kirchlich engagiert, arbeiten im Kirchengemeinderat oder gar in der Landessynode mit. Prinz Ludwig war lange Zeit aktiv im Bezirkskirchenrat des Dekanats Mosbach, Markgraf von Baden seinerseits in der badischen Landessynode. Jetzt sitzt dort dessen Tochter. "Alle demokratisch gewählt", betont Prinz Ludwig.
Es hat einmal eine Zeit gegeben, da das badische Patronatsmodell auf der Kippe stand: im Zuge der Säkularisation zur Zeit Napoleons. "Als 1803 die geistlichen Herrschaften fielen, überlegte man, die Patronate abzuschaffen", berichtet der Leiter des Landeskirchenarchivs, Udo Wennemuth. "Aber da hätte die Kirche auch die finanziellen Lasten der Patrone übernehmen und diese möglicherweise für die bisherigen Investitionen entschädigen müssen. Und all diese Konsequenzen wollte sie sich nicht ohne Not ans Bein hängen. Deshalb beschloss sie, das System so zu lassen, wenn es gut läuft." In den Zwanzigerjahren, nach der Abschaffung des Adels in Deutschland, wurde das kirchliche Patronatsrecht noch einmal nachjustiert. In den verbliebenen Patronaten habe es seitdem keine großen Diskussionen darüber gegeben, so Wennemuth: "Es funktioniert gut in Baden. Die Patrone erfüllen ihre Pflichten und die landeskirchlichen Ordnungen gelten hier wie überall. Es gibt bis heute keinen Anlass, daran zu rütteln."
Auch Ludwig Prinz von Baden und Pfarrer Andreas Reibold in Strümpfelbrunn können sich an keine Konflikte erinnern. "Es ist günstiger, dieses System beizubehalten", meint Ludwig. "Man kann den Kirchen in jeder Hinsicht helfen. Die Landeskirche kann das eine oder andere Geld sparen. Und wenn die Gemeindemitglieder mit dem Pfarrer unzufrieden sind, haben sie eine Art Ombudsmann: Der Patronatsherr kann versuchen zu vermitteln." Auch Pfarrer Reibold weiß das zu schätzen: "Es ist von Vorteil für uns als Gemeinde, wenn wir neben der Landeskirche noch einen anderen Ansprechpartner haben, den wir um Unterstützung bitten können."
Zur Illustration verweist er auf einen Fall aus der Nachbarschaft: In den Dreißigerjahren sei ein Patronatspfarrer des Fürstenhauses Löwenstein-Wertheim, der zur Bekennenden Kirche gehörte, in Konflikt mit dem NS-Staat gekommen. Als er gegen Hitler zu predigen wagte, wollte ihn der staatstreue badische Landesbischof entlassen. Doch Fürst Löwenstein sprach dem Pfarrer das Vertrauen aus und bezahlte ihn aus eigener Tasche weiter.
In Strümpfelbrunn steht der Sohn von Prinz Ludwig bereit, dessen Aufgaben eines Tages fortzuführen. Doch habe es, so schränkt der Vater ein, dann keinen Sinn mehr, am Patronat festzuhalten, wenn die Gemeinde es nicht mehr wolle. Das hält Pfarrer Reibold aber für unwahrscheinlich: "In unserem Fall glaube ich zu wissen, dass die Gemeinde das Patronat gern behalten will. Die Leute wissen, was sie daran haben, und sind sehr dankbar für den Beitrag der Patronsfamilie." Wahrer Adel habe seit Karl dem Großen das Bewusstsein, dem Volk verpflichtet zu sein. "Das kann ich unterschreiben", sagt Prinz Ludwig.
Martin Rothe