Das Kreuz mit der Geldanlage
Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen": Hiob sprach den Satz, als er Familie, Besitz und Gesundheit verloren hatte. Der zum geflügelten Wort gewordene Stoßseufzer dürfte in den letzten Jahren so manchem Geldanleger beim Blick ins Depot über die Lippen gekommen sein. Und möglicherweise auch dem einen oder anderen Verwalter kirchlicher Vermögen, der trotz Finanzkrise, drohender Rezession und dauerhaft niedrigen Zinsen vor der schwierigen Aufgabe steht, unter ungünstigen Rahmenbedingungen langfristige Finanzverpflichtungen der Kirche zu erfüllen.
Den größten Beitrag, um die jährlich knapp zehn Milliarden Euro Ausgaben der evangelischen Kirche in Deutschland zu decken, leistet die Kirchensteuer. Sie betrug seit 2008 etwa 4,4 Milliarden Euro im Jahr. Rund 85 Prozent des gesamten Budgets fließen in die Entlohnung der 216.000 Mitarbeiter, ihrer Altersvorsorge und den Unterhalt von rund 75.000 Gebäuden, die sich im Besitz der evangelischen Kirche befinden. Damit sind auch die Kosten für kirchliche Arbeit in den 22 evangelischen Landeskirchen und ihren etwa 15.600 Kirchengemeinden abgedeckt.
Im zweistelligen Milliardenbereich
Der finanzielle Spielraum der evangelischen Kirche wird sich auch angesichts des prognostizierten Rückgangs der Mitgliedszahlen um etwa ein Drittel im Lauf der nächsten zwanzig Jahre eher verringern. Finanzierungslücken wären heute schon deutlich spürbar, gäbe es nicht erhebliche Rücklagen. Doch wie viel Geld genau liegt auf der hohen Kante? Diese Frage zu beantworten ist nicht leicht. Eine offizielle Übersicht darüber, wer in der evangelischen Kirche über wie viel Geld verfügt, liegt nicht einmal der EKD-Zentrale in Hannover vor. Aber immerhin gibt es Schätzungen. "Das Anlagevermögen der evangelischen Kirche liegt im zweistelligen Milliardenbereich", erklärt Thomas Begrich. Auf eine genaue Zahl will sich der Leiter der Finanzabteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland allerdings nicht festlegen.
Die größten Summen dieses zweistelligen Milliardenbetrags stammen von den Landeskirchen und ihren Kirchengemeinden, den Kirchenbanken und kirchlichen Pensionskassen. Die milliardenschweren Aktivitäten des Diakonischen Werkes bleiben dabei unberücksichtigt. Inoffizielle Schätzungen gehen von 30 Milliarden Euro aus, die allein die evangelische Kirche ständig zinsbringend anlegt.
Doch es werden auch deutlich höhere Summen genannt: Carsten Frerk, kirchenkritischer Finanzexperte und Chefredakteur des Humanistischen Pressedienstes, beschäftigt sich seit zehn Jahren intensiv mit den Finanzen der deutschen Kirchen. Er ist unter anderem Autor des Buches Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland. Frerk schätzt das Anlagevermögen der evangelischen Kirche in Deutschland auf Grundlage eigener Recherchen auf 50 Milliarden Euro und hält die Unübersichtlichkeit der kirchlichen Finanzen für gewollt: "Die Kirche versteckt ihre finanziellen Angelegenheiten in einem Finanzpuzzle", sagt Frerk: "Obwohl sie tatsächlich sehr vermögend ist, muss sie sich ständig arm reden, um glaubwürdig Spenden einwerben zu können."
Kameralistik als Problem
EKD-Finanzchef Thomas Begrich weist die Kritik zurück. "Die Finanzen sind komplex, weil die Kirche eine historisch gewachsene, dezentrale und autonome Struktur besitzt, die sich auf rund 30.000 öffentlich-rechtliche Körperschaften verteilt", sagt er.
Die Finanzen der evangelischen Kirche sind allerdings auch deshalb nicht transparent, weil in weiten Teilen noch immer das althergebrachte kameralistische Rechnungssystem verwendet wird und öffentlich-rechtliche Körperschaften nicht bilanzierungspflichtig sind. Im Gegensatz zur "doppelten Buchführung", die in Unternehmen gebräuchlich ist, betrachtet die "Soll/Ist"-Rechnung der Kameralistik nur Einnahmen und Ausgaben. Erkenntnisse über Vermögen oder Schulden einer Organisation lassen sich aus dem kameralistischen Rechnungssystem nicht ableiten.
Wie aber legt die evangelische Kirche in diesen wirtschaftlich unruhigen Zeiten ihren zweistelligen Milliardenbetrag auf christliche Weise an? Schließlich soll das Geldvermögen nicht nur sicher und lukrativ sein. Die Kirche soll auch besondere moralische, soziale und ökologische Ansprüche an diejenigen stellen, denen sie ihr Geld anvertraut. Solche Grundsätze hat die EKD im vergangenen Oktober erstmals als einheitliche Richtlinien für evangelische Investoren in einem "Leitfaden für ethisch nachhaltige Geldanlagen" schriftlich niederlegt. Beteiligt haben sich daran neben der EKD und den Landeskirchen auch Versorgungskassen, Diakonie und evangelische Banken.
Leitfaden zur Geldanlage
Der Leitfaden ist offenbar nötig. Denn hehre Grundsätze wurden bei der Jagd nach maximaler Rendite in der weit verzweigten Organisation der Evangelischen Kirche nicht immer beherzigt. Allzu verlockende Zinsversprechen lassen bisweilen auch kirchliche Geldverwalter schwach werden und große Risiken eingehen. Das hat schon fatale Folgen gehabt. So verlor die oldenburgische Landeskirche zum Höhepunkt der Finanzkrise vor einigen Jahren 4,3 Millionen Euro, die sie bei der später insolventen Investmentbank Lehman Brothers in riskanten Papieren angelegt hatte. Der Betrag entsprach etwa den gesamten jährlichen Zinseinnahmen der Landeskirche, die im Jahr 2007 über Rücklagen in Höhe von 118 Millionen Euro verfügte.
Zweifelhafte Finanzpraktiken wurden Anfang 2011 auch im westfälischen Kirchenkreis Herford öffentlich, als dort eine schwarze Kasse mit knapp 50 Millionen Euro entdeckt wurde. Die geheimen Rücklagen waren Jahrzehnte zuvor vom Kreissynodalvorstand an allen Gremien, Gesetzen und Kontrollen vorbei als Sparbuch für schlechte Zeiten angelegt worden.
Auch die Evangelische Kirche im Rheinland litt jüngst unter einem Finanzskandal. Dort hatten die Geschäftsführer einer kirchlichen Tochterfirma Geldanlagen getätigt, die Erträge weit über den üblichen Marktzinsen abwerfen sollten. Im November 2011 musste die Landeskirche für 20 Millionen Euro Verluste bei den dubiosen Geldgeschäften geradestehen. Gegen die Beteiligten wird wegen Verdachts des Kapitalanlagebetrugs ermittelt.
Rüstung und Gentechnik sind tabu
Der neue Leitfaden soll nun möglichst jeder Form von Zockerei die Grundlage entziehen. "Wir schließen darin alle spekulativen Formen der Geldanlage aus", beschreibt Oberkirchenrat Begrich einen zentralen Grundsatz der beschlossenen Empfehlungen. Das vierzigseitige Dokument soll dazu beitragen, dass die finanziellen Engagements der Kirche im Einklang mit ihrem Auftrag, wie dem Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und der Bewahrung der Schöpfung, sind.
Der Leitfaden nennt auch Investitionen, die für die evangelische Kirche tabu sind. Dazu gehören Unternehmen, die Rüstungsgüter entwickeln oder herstellen sowie Produzenten von Tabakwaren und Getränken, die mehr als 15 Prozent Alkohol enthalten (Bier ja, Schnaps nein). Hersteller von gentechnisch verändertem Saatgut sollen ebenfalls kein Geld bekommen.
Ausgeschlossen sind auch Firmen, die ihre Produkte unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen oder Mithilfe von Kinderarbeit herstellen. Diktaturen. Aber auch Länder wie die USA und China, die die Todesstrafe praktizieren oder das Kyoto-Klima-Protokoll nicht unterzeichnet haben, kommen ebenfalls nicht in Frage. In der täglichen Arbeit können die evangelischen Anleger in Negativlisten nachsehen, die unerwünschte Unternehmen, Aktien und Länder nennen. Unter diesen Prämissen zählen erneuerbare Energien und Wälder mit zu den Lieblingsobjekten kirchlicher Anleger.
Hedge-Fonds sind erlaubt
Bei umstrittenen Anlageformen gibt sich der Leitfaden allerdings recht unverbindlich. Investitionen in die immer wieder in der Kritik stehenden Hedge-Fonds und Private-Equity-Firmen stehen evangelischen Investoren offen, soweit sie die ethisch nachhaltigen Standards der EKD erfüllen. Das gilt auch für potenziell riskante Anlageprodukte wie geschlossene Fonds und verbriefte Wertpapiere sowie deren synthetische Formen wie "Asset Backed Securities" oder "Collateral Debt Obligations". Diese Produkte, die die Investorenlegende Warren Buffet als "Massenvernichtungswaffen" bezeichnete, zählten zu den wesentlichen Auslösern der weltweiten Finanzkrise zwischen 2007 und 2009. Bei diesen umstrittenen Anlageformen mahnt der Leitfaden lediglich genügend "Sachwissen" der Akteure an. "Die Einbeziehung weiterer Experten ist anzuraten", heißt es dazu in der Broschüre.
Mehr Verbindlichkeit war in den Verhandlungen für einen Leitfaden zwischen den kirchlichen Geldanlegern mit ganz unterschiedlichen Spielräumen offenbar nicht drin. Oberkirchenrat Begrich erwartet dennoch: "Der Leitfaden gibt eine Orientierung. Ich gehe davon aus, dass sich alle daran halten werden."
Begrichs Kollegen, die in der Praxis alltäglich evangelisches Kapital anlegen, stimmen dem EKD-Finanzchef durchaus zu: "Nachhaltige Anlagestrategien machen erfolgreiches Investieren nicht schwieriger", sagt etwa Heinz Thomas Striegler. Er verantwortet als Leiter des Finanzdezernats seit zehn Jahren die Anlageentscheidungen der hessen-nassauischen Landeskirche.
Landeskirche als Bank
Sie gehört mit ihren 1,7 Millionen Gemeindegliedern zu den finanzstärkeren Landeskirchen. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau ist faktisch im innerkirchlichen Bereich auch als Bank tätig. Als Kapitalsammelstelle für Kirchengemeinden und Stiftungen gibt sie ihren Anlegern Zinsversprechen für Gelder, die dort bereits seit der Jahrtausendwende nach eigenen Ethikrichtlinien angelegt werden. "Der neue Leitfaden verschärft unsere Richtlinien etwas, weil sich die Welt in Richtung nachhaltiger Kapitalanlagen entwickelt hat", sagt Striegler, der die Kirche in einer besonderen Verantwortung sieht: "Die Leute erwarten von uns, dass wir nicht wie ein x-beliebiger Anleger auftreten. Wir spekulieren daher zum Beispiel auch nicht mit Mais und Weizen und anderen Lebensmitteln im Rohstoffbereich."
Ein weiteres K. O.-Kriterium ist für Striegler die fehlende Transparenz einer Geldanlage. Der Grundsatz habe sich während der Finanzkrise ausgezahlt, als die US-Hypothekenblase platzte: "Wir hatten damals keine dieser verlustreichen Hypothekenpapiere im Depot, weil sie für uns von vornherein nicht transparent waren", sagt Striegler.
Zinsversprechungen, die Striegler und seine Mitarbeiter den Anlegern machen, würden durch die neuen Kriterien nicht schwieriger einzulösen sein als zuvor. Eine Herausforderung sieht Striegler allerdings darin, dass die globale wirtschaftliche Abkühlung und die Staatsschuldenkrise generell zu sinkenden Renditen geführt haben. „Bis 2007 hatten wir fast dreißig Jahre lang eine durchschnittliche Rendite von 6 bis 7 Prozent erwirtschaftet. Diese Zeiten sind vorbei. In den letzten Jahren liegen wir eher bei 4 bis 5 Prozent mit fallender Tendenz“, sagt der Finanzexperte. Die garantierten Erträge könne die hessen-nassauische Landeskirche aber in jedem Fall einlösen, weil sie in den letzten Jahrzehnten stille Reserven aufgebaut habe.
Mindestverzinsung: 6 Prozent
Der globale Zinsverfall birgt für alle Altersvorsorgesysteme Risiken. Auch die Kirchenkassen sind nicht frei davon. "Es ist absehbar, dass sich in einem länger anhaltenden Niedrigzinsumfeld bei den Versorgungs- und Zusatzversorgungskassen Lücken auftun können", sagt Striegler. Grund sind tarifvertragliche Vereinbarungen, die bei den Zusatzversorgungskassen eine Mindestverzinsung von 6 Prozent vorschreiben. "Das ist angesichts der Marktentwicklung der letzten Jahre nicht leicht zu erwirtschaften", sagt Striegler.
Bei diesen Zusatzversorgungskassen geht es um Milliardenbeträge. Besorgt ist Striegler dennoch nicht: "Eine Hochrechnung der aktuellen Renditemöglichkeiten im Festzinsbereich für die nächsten dreißig Jahre wäre genauso unverantwortlich wie eine Fortschreibung der Zinsannahmen der vergangenen dreißig Jahre. Wir müssen aber lernen, auch mit niedrigeren Renditen zurechtzukommen."
Neben höheren Beiträgen könne auch eine höhere Inflationsrate dafür sorgen, dass sich drohende Einbußen bei den Pensionskassen in Luft auflösten: "Wer sagt denn, dass sich das Zinsniveau in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht deutlich erhöht?", sagt der Finanzfachmann. Am langfristigen ökonomischen Erfolg ethischer und nachhaltiger Geldanlagen zweifelt Oberkirchenrat Striegler nicht. "Ich bin überzeugt, dass verantwortungsvolle Geldanlagen langfristig höhere Renditen abwerfen als solche, die diese Kriterien ignorieren." Katastrophen wie die Ölpest im Golf von Mexiko bewiesen, wie umweltzerstörendes Verhalten die Reputation, den Erfolg und die wirtschaftliche Existenz eines großen Konzerns wie BP bedrohe.
Noch sind nachhaltig orientierte Fonds allerdings meist zarte Pflänzchen mit ebenso winzigen Erträgen. So schwankt etwa die Rendite des 2010 von der KD-Bank für Kirche und Diakonie gemeinsam mit der alternativen GLS-Bank aufgelegte "Fairworldfonds" gerade mal zwischen 0,8 und 2 Prozent.
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Tarik Ahmia