Licht ins Dunkel
Mit typisch englischer Selbstironie bekennt der Autor, der anglikanischer Pfarrer ist, aber seinen Ruhestand mit seiner deutschen Frau in Unterfranken verbringt: "Für mich bleibt meine Kirche in mancher Hinsicht äußerst mysteriös." Mit seinem Buch will er aber versuchen, "ein bisschen Licht ins Dunkle zu bringen". Und das gelingt wie das Vorhaben, "nicht an erster Stelle für Theologen" zu schreiben.
Dabei können auch diese viel lernen, stellen sie doch ebenfalls die Frage, die Stockbridge beantwortet: "Sind die Anglikaner eigentlich Protestanten oder Katholiken?" Wer einen anglikanischen Gottesdienst besucht, kann schließlich Geistliche erleben, die ein Messgewand tragen und das Weihrauchfass schwenken, und Gottesdienste, in denen der Prediger - im einfachen Chorhemd - zur Bekehrung aufruft und die Gemeinde süßliche Lieder singt, die ein Overheadprojektor auf eine Leinwand wirft.
Auch die Glocken klingen anders
Warum die Kirche von England sehr unterschiedliche theologische und liturgische Strömungen umfasst, zeigt Stockbridge bei einem Gang durch die Geschichte. Dabei begegnet auch ein englischer Theologe, der vielen Deutschen unbekannt sein dürfte: Richard Hooker (1554-1600). Er betonte, gegen die Puritaner, wie wichtig auch die Vernunft, reason, für die Bibelauslegung ist. Stockbridge bleibt freilich nicht in der Vergangenheit und theologischen Höhen stehen. So verweist er auch auf die Unterschiede zwischen dem Glockengeläut auf dem Kontinent und dem in England üblichen Wechselläuten, das ganze Mannschaften von Bell-Ringers betreiben.
Stockbridge zeigt auch, dass die anglikanische Kirche von England nicht einfach eine Staatskirche ist, sondern vielmehr eine Nationalkirche. Das bedeutet zum Beispiel: Nach staatlichem Recht sind deren Geistliche zur Seelsorge an allen Leuten verpflichtet, die auf dem Gebiet ihrer Pfarrei leben, es sei denn, die wollen das Angebot nicht in Anspruch nehmen, weil sie einer anderen Konfession angehören oder keine Christen sind.
Diese Offenheit für alle Leute trägt zusammen mit der innerkirchlichen Vielfalt zu der Weite bei, die den Anglikanismus auszeichnet. Doch sie wird seit einigen Jahren durch konservative Evangelikale und Anglokatholike gefährdet, die die Ordination von Frauen und Schwulen ablehnen und mit der Kirchenspaltung drohen. Umso mehr erstaunt, dass Stockbridge einerseits die traditionelle anglikanische Toleranz lobt und andererseits den kanadischen und amerikanischen Anglikanern vorwirft, dass sie auch Frauen und Schwule zum Pfarr- und Bischofsamt zulassen.
Sprachlich ungenau
Einige sprachliche Ungenauigkeiten hätte ein Lektor verhindern müssen: So gründete Nikolaus Graf Zinzendorf die Herrnhuter "Brüdergemeine", nicht eine "Brüdergemeinschaft". Der englische Begriff evangelical wird auf Deutsch mit "evangelikal" übersetzt, nicht wie im Buch mit "evangelikanisch". Und das englische Wort reformed bedeutet auf Deutsch sowohl reformiert, sprich: calvinistisch/zwinglianisch, und reformatorisch, sprich: aus der Reformation hervorgegangen. Stockbridge verwechselt beides, wenn er schreibt, die Kirche von England werde oft "als "katholisch und reformiert" wahrgenommen.
Freilich, trotz dieser Mängel lohnt die Lektüre dieses Buches. Denn wer es gelesen hat, weiß mehr über eine Kirche, mit der die EKD und einige ihrer Mitgliedskirchen enge Beziehungen pflegen.
Alan Stockbridge: Die Kirche von England. The History of a Mystery. Verlag Monsenstein und Vannerdar, Münster 2010, 128 Seiten, EUR 11,90.
Jürgen Wandel