Vor dem 33. Kirchentag meldet sich Friedrich Schorlemmer mit einem Buch zum engagierten Christsein zu Wort, das die Kirchentagslosung im Titel führt: Da wird auch dein Herz sein. Wo Herz draufsteht, sollte auch Herz drin sein. Deshalb habe ich mich mehr als hundert Seiten lang mit der Lektüre schwer getan.
Erst dann kommen mehr persönliche, berührende Wertungen ethischer Diskussionen, und sparsam blitzt auch etwas Humor auf, was mit dem anfangs allzu direktivenhaften Stil versöhnt. Dass Schorlemmer dem Leser einen Handlungskompass anbieten will, zeigt das Inhaltsverzeichnis in Prägnanz: Nach dem Muster "Gewissen schärfen", "Leben lassen", "Freiheit gewinnen" werden radikal zielgerichtet Prämissen benannt und mit dem Text erfüllt, bis auf "Regeln setzen", das sich weitgehend auf Leben und Arbeiten, Geld und Wucher bezieht.
Natürlich war zu erwarten, dass der streitbare Wittenberger Pfarrer keine herzförmige Sonntagstorte anbietet, sondern "altmärkisches Schwarzbrot". So ist bereits das erste, grundlegende Kapitel "Gott glauben" nahrhaft kräftig und bissig. Darin stellt Schorlemmer das apostolische Glaubensbekenntnis für die Gegenwart in Frage: "Ich halte die liturgische Dauerzelebration dieses dogmengeschichtlichen Textes für eine unnötige und höchst fragwürdige Barriere für Menschen, die heute nach dem Gottesglauben fragen und im Gottesdienst diese Antwort erhalten." Selbst bleibt er einen Gegenentwurf nicht schuldig: "Nach allem, trotz allem glaube ich ihm ...", der zweifellos von Herzen kommt und zu Herzen geht.
Bedenkenswertes zu Schuld und Vergebung
Ein Buch voller Merksätze gibt Schorlemmer den Lesern in die Hand, wie man sie ihm glaubt und auch von ihm gern hört: "Scham zu empfinden, Scham zuzulassen, Scham auszuhalten gehört zu den Grundbedingungen von (Mit-)menschlichkeit." Diese sind nicht neu, was ihre Wahrheit nicht schmälert, und - immer wieder als Fundament gesetzt - die Seligpreisungen der Bergpredigt.
Auch Schorlemmer selbst bleibt aktuell. Dem Text ist, zum Beispiel, gleichgültig, dass nach seinem Erscheinen Osama bin Laden getötet wurde. "Wo alles gleich gültig ist, wird letztlich alles gleichgültig", formuliert der brillante Rhetoriker Schorlemmer in anderem Zusammenhang. Dass Schorlemmer jeden Dogmatismus ablehnt, sei es der Moskaus oder der Roms, kann er nicht oft genug sagen, so auch hier. Doch wohltuend unwichtig ist ihm die Stasi-Debatte.
Dafür schreibt er viel Bedenkenswertes zu menschlicher Schuld und Vergebung. Auch zum Alter, zum Hilfe-Geben und Hilfe-Empfangen findet Schorlemmer bewegende, beschwörende Worte. Mit Vergnügen klopft er die Wörter auf ihre Bedeutung ab und lobt immer wieder Luthers Sprachgewalt, vor allem in der Bibelübertragung.
Das kurze persönliche Schlusskapitel "Glück begreifen" fällt aus dem Rahmen der anderen. Es ist eine Liebeserklärung an das, "was mir über alles geht und mich beglückt". So zeigt sich endlich deutlich und sympathisch, wo das Herz Schorlemmers schlägt.
Friedrich Schorlemmer: Da wird auch dein Herz sein. Kreuz Verlag, Freiburg 2010, 180 Seiten, Euro 12,95.
Beate Bahnert