Ende der Windstille

Die evangelische Kirche braucht eine neue Debatte um das Verhältnis zu den Muslimen
Interreligiöse Feier für Schulanfänger in Hannover mit Pastorin Dorothee Blaffert und Imam Mohamed Ibrahim. Foto: epd
Interreligiöse Feier für Schulanfänger in Hannover mit Pastorin Dorothee Blaffert und Imam Mohamed Ibrahim. Foto: epd
Das Gespräch mit dem Islam muss aus der Enge von Missionsansinnen und institutionell geregeltem Dialog heraus in eine gesellschaftliche Weite geführt werden - denn am Zusammenleben mit Muslimen führt kein Weg vorbei. Wie es auf einen guten Weg geführt werden kann, darüber macht sich Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Gedanken.

Es ist still geworden um den muslimisch-christlichen Dialog in Deutschland. Seit dem heftigen Wortwechsel zwischen den Verfassern der EKD-Handreichung "Klarheit und gute Nachbarschaft" einerseits und den Autoren des Sammelbandes Evangelisch aus fundamentalem Grund um Jürgen Miksch andererseits scheint der Protestantismus in zwei Lager zerfallen zu sein. Während die einen meinen, vor den Muslimen, ihren Verstellungskünsten und gesellschaftlichen Eroberungsgelüsten warnen zu müssen, werden die anderen nicht müde, den Dialog zu predigen und die Islamophobie als Volkskrankheit zu diagnostizieren. Die Stille in der Kirche muss jedoch beunruhigen, angesichts ostdeutscher Kleinstadtgemeinden, die Thilo Sarrazin bereitwillig in ihren Kirchen eine Bühne aufstellen und dafür Beifall von brauner Seite billigend in Kauf nehmen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland braucht eine neue Debatte um das Verhältnis zum Islam und zu den Muslimen, eine breit angelegte Selbstverständigung, die sich nicht in Schlagabtausch und anschließendem Schweigen erschöpft, die nicht zum Auseinanderbrechen der unterschiedlichen Frömmigkeitsmilieus führt. Aus guten Gründen scheuen die Verantwortungsträger diese Debatte. Sie geht an die Substanz. In der vierten Mitgliedschaftsstudie der EKD wurde den Befragten die Situation eines Moscheebau-Konfliktes vorgelegt. Die Mehrheit der Evangelischen lehnte den Moscheebau komplett ab. Auf die Frage nach einer christlichen Leitkultur hingegen reagierte die Mehrheit positiv, genauso wie auf die Aussage: "Welche Religion die Ausländer haben, interessiert mich nicht. Hauptsache, sie halten sich an unsere Gesetze." Und die meisten der befragten Evangelischen finden auch, dass es Aufgabe der Politik sei, sich um die Zuwanderer und deren Integration zu kümmern.

Auf dem Prüfstand

Zwar erklären Meinungserhebungen wie diese die momentane Zurückhaltung, aber um einen offenen und breiten Dialog über das Zusammenleben mit Muslimen kommen weder Landeskirchen noch Gemeinden herum. Denn dabei geht es nicht nur um den Islam, es geht um mehr. Auf dem Prüfstand steht die Positionierung der Kirche in einer religiös pluralen Gesellschaft. Den gleichen Realitätssinn, den das Reformpapier "Kirche der Freiheit" an den Tag legte, braucht es auch hier: Kirche wird institutionell schwächer, religiöse Sinnangebote werden pluraler sein. Akzeptieren Kirchen und Gemeinden diese Situation, oder beharren sie auf gesellschaftlichen Alleinvertretungspositionen in trauter konfessioneller Konkurrenz mit ihren katholischen Geschwistern? Vertretung in Rundfunkräten, universitäre Ausbildung, Religionsunterricht, Präsenz im öffentlichen Raum, Krankenhaus- und Militärseelsorge, religiöse Symbole in Schulen - die ganze Palette wird auf den Prüfstand kommen und einer ehrlichen Debatte darüber ausgesetzt werden müssen, wie das in Zukunft gestaltet sein soll.

In den Jahren nach der Wiedervereinigung hat sich ein Wandel vollzogen. Verunsicherung ist in die Kirchen eingezogen, nachdem das paternalistische Modell nicht mehr funktionierte, das Muslime im Wesentlichen als Adressaten diakonischer Fürsorge betrachtete. Nun, da die Muslime aus den Hinterhof-Moscheen heraustreten und ihren Platz im Vorderhaus beanspruchen, tritt Hilflosigkeit ein und Konkurrenzdenken auf. Denn die Gesellschaft ist verwirrend und unübersichtlich geworden. Noch immer gehört eine große Gruppe von Menschen muslimischen Glaubens zu den sozial Schwachen. Andererseits nehmen von den türkischen Musli- men nur 11 Prozent Hartz IV in Anspruch, wie eine Studie des Bundesamtes für Migration gezeigt hat. Das Modell der Fürsorge für die Zuwanderer passt nicht mehr, seit in den Großstädten von Hamburg bis Dortmund und München der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund die 50-Prozent-Marke überschreitet. Ein neues Paradigma muss her, das möglichst breite Akzeptanz innerhalb der evangelischen Kirche genießt.

Raus aus der Hinterhof-Moschee

Es reicht nicht, dass evangelische Christen die Rolle von Gesetzeswächtern einnehmen, auch wenn das offensichtlich einer großen Gruppe von Kirchenmitgliedern vorschwebt. Über die Einhaltung der Gesetze zu wachen, ist Aufgabe des Staates, nicht in erster Linie der evangelischen Kirche. Aufgabe der Kirche ist es, die Akzeptanz religiöser Symbole im vorpolitischen Raum zu stabilisieren. Wenn sich allerdings die evangelische Kirche an der Problematisierung und Diskriminierung der religiösen Symbole des Islam beteiligt, ob Kopftuch oder Minarett, dann sägt sie am Ast, auf dem sie selbst sitzt. Die Versuchung ist groß, das seit der Rede von der Rückkehr der Religion geöffnete Fenster zu nutzen, um christliches Leben gegen muslimisches zu profilieren. Der Erfolgsrausch wäre so hoch wie der Absturz tief. Das so genannte "Kopftuchurteil" hat schon angedeutet, in welche Richtung sich die Funktionseliten unserer Gesellschaft bewegen - Religion als Privatsache zu betrachten.

Auch der Trend, der aus Richtung EU kommt, ist eindeutig: Religion gehört in den privaten Bereich. Die öffentliche Präsenz von Religion ist begründungsbedürftig und wird hinterfragt. Ohne prophetische Gaben lässt sich sagen, dass die Zurückdrängung des öffentlichen Islam mit einer Zurückdrängung des öffentlichen Christentums einhergehen wird. Kein Muezzin, kein Glockenläuten, ein Kopftuch, keine Schwesterntracht und keine Kruzifixe in der Schule. Kirchenglocken, Staatsleistungen, Lehrstühle - all das wird schon heute in Frage gestellt.

Deshalb muss dem Dialog mit den Muslimen ein Dialog innerhalb der Kirche an die Seite gestellt werden, der Klarheit darüber schafft, wie sich Kirche in Zukunft innerhalb der faktisch multireligiösen Gesellschaft positionieren will. Davon hängt ab, wie und worüber der Dialog mit den Muslimen geführt wird.

Die Ausgangsbedingungen für einen solchen Verständigungsprozess sind sehr unterschiedlich. Während im Rheinland und in Westfalen eine lange Tradition des christlich-muslimischen Dialogs und auch der innerkirchlichen Selbstverständigung durch synodale Beschlüsse existiert, ist in der berlin-brandenburgischen Landeskirche bislang nicht einmal bekannt gewesen, welche Dialoginitiativen es überhaupt gibt, und in Sachsen liegt der Anteil der aus der Türkei stammenden Bewohner bei 0,3 Prozent, das ist die höchste Quote in Ostdeutschland.

Gemeinsame Strategie

Die Synoden und Kirchenleitungen sind gefordert, gemeinsam an einer Strategie zu arbeiten, an der diejenigen genauso mitwirken, bei denen die Mehrheit der Muslime lebt, wie die, bei denen der Anteil der Muslime unter einem Prozent liegt. Elemente einer solchen Strategie könnten sein:

1. Ein Bekenntnis des Rates der EKD im Sinne des Bundespräsidenten: Der Islam gehört zu unserer Gesellschaft wie die christlichen Kirchen und die jüdischen Gemeinden. Dabei wird es darauf ankommen, extremen Positionen auf beiden Seiten zu widerstehen: Den einen wäre eine solche Meinungsäußerung bei weitem zu wenig. Die sich um die Idee scharen, dass Abraham als verbindende Figur intensivere Gemeinsamkeit zwischen den Religionen schaffen kann, werden mehr erwarten. Die anderen werden wiederum den Vorwurf der Naivität erheben: Der Rat der EKD habe keine Ahnung, was sich an Gewalt und Frauenfeindlichkeit im Islam verstecke, es sei grenzenlos naiv, dies nicht zu erkennen und auf die Verstellungskünste der Muslime hereinzufallen. Zwischen diesen relativierenden und fundamentalisierenden Positionen muss sich die evangelische Kirche einen Weg zu angstfreier Kommunikation bahnen. So, wie extreme Positionierungen auch im ökumenischen Dialog zurückgedrängt werden, sollte eine Kirchenpolitik der Mäßigung sie auch im interreligiösen Dialog zähmen.

2. Evangelische Kirche kann eine Vorreiterrolle bei der sorgfältigen Unterscheidung von sozialen, theologischen, und religiösen Themen der Integration spielen. Zu jedem dieser Problemfelder haben Kirche und Diakonie Substanzielles beizutragen. Die Kompetenzen dürfen nicht dazu benutzt werden, ein Thema gegen ein anderes auszuspielen.

3. EKD-weit braucht es eine Strategie für die Gemeindeebene. Einstweilen heißt die Devise noch immer: Begegnung, Begegnung, Begegnung. Seit 25 Jahren organisieren Kirchentage gemeinsam mit den Moscheegemeinden vor Ort Begegnungsprogramme. In München 2010 waren die muslimischen Gemeinden überrascht, wie viele Kirchentagsbesucherinnen und -besucher kamen. Das zeigt, dass hier ein großer Acker wartet, der bestellt werden kann.

4. Ein viertes Element wäre eine Positionierung der evangelischen Kirche zum Thema "Leitkultur". Der Begriff ist in der Welt und wird gefüllt. Die Frage ist, wer füllt ihn? Eine christliche Leitkultur ist besser als eine materialistische Leitkultur. Aber was eine christliche Leitkultur ist, das muss in einem offenen Prozess ausgehandelt werden. Es darf nicht denen überlassen bleiben, die den Begriff politisch instrumentalisieren oder allein evangelikal füllen wollen.

5. Das Thema "Mission und Dialog" sollte in der Kirche nicht weiter überschätzt werden. Einer der heftigsten Vorwürfe an die EKD-Handreichung "Klarheit und gute Nachbarschaft" richtete sich gegen die Tendenz, aus dem "Zusammenleben mit Muslimen" das Thema "lieber Mission als Dialog" gemacht zu haben. Selbst wenn diese Rechnung aufginge, wird es immer nur eine Minderheit sein, die sich in die eine oder andere Richtung überzeugen lässt. Der potenzielle Anteil der Muslime, die sich taufen lassen würden, ist verschwindend gering gegenüber dem Anteil der Muslime, die hier in dieser Gesellschaft mit ihrem Glauben ihren Platz finden wollen. Im ernstgemeinten Dialog mit Muslimen kann über Mission gesprochen werden, muss aber nicht. Wer Mission meint, soll Mission sagen. Wer Dialog meint, soll vom Dialog sprechen.

Fragen der Ethik

Angenommen, es gäbe diesen breiten Verständigungsprozess - der Dialog mit den Muslimen sähe anders aus. Entfiele die Engführung auf Mission und Dialog, auf institutionelle Aspekte, dann öffnete sich das gesamte Spektrum sozialer und religiöser Themen, allerdings mit der klaren Maßgabe, das eine nicht gegen das andere auszuspielen. Bildungsfragen gehören zu den wichtigsten und auch zu den im Dialog besterprobtesten. Die Gleichberechtigung von Männern und Frauen in Religion und Gesellschaft ist ein Schlüsselthema des Dialogs, und wer unter den christlichen Konfessionen sollte dieses Thema glaubwürdiger einbringen als die Evangelischen?

Am vielversprechendsten sind die Fragen der Ethik. Vom Zentrum Muslime und Christen des Münchener Ökumenischen Kirchentages ging ein Aufruf zu einer christlich-muslimischen Stellungnahme zur Sterbebegleitung aus. "Wir haben Gemeinsamkeiten, die wir in die Gesellschaft einbringen können. Eine Kultur der Barmherzigkeit, eine Kultur der versöhnten Vergänglichkeit, eine Kultur der Freundschaft und des antisuizidalen Klimas", so der beteiligte Sozialethiker Peter Dabrock.

Viel von der "Pathologie des Dialogs", die der katholische Theologe und ausgezeichnete Dialogkenner Christian Troll diagnostiziert, hat damit zu tun, dass Dialogpartner aneinander vorbei reden und sich aneinander vorbei profilieren. Was gemeint ist, beschreibt Tamin Ansary, ein aus Afghanistan stammender und in Amerika lebender Autor in seiner Globalgeschichte aus islamischer Sicht anhand der von ihm abgelehnten These, der muslimisch-christliche Konflikt sei ein Religionsstreit zwischen Fundamentalisten auf beiden Seiten. Hinsichtlich der Anzahl der zu verehrenden Götter seien christliche Fundamentalisten keineswegs anderer Meinung als islamische Fundamentalisten. Es gebe nur einen Gott!

Pathologie des Dialogs

Aber die christlichen Fundamentalisten glauben nicht, dass das die entscheidende Frage ist. Die entscheidende Frage ist, ob Christus als Erlöser anerkannt wird. Damit reduziert sich die Diskussion zwischen christlichen und islamischen Fundamentalisten auf die Frage: "Gibt es nur einen Gott - oder ist Christus der Erlöser?" Es handelt sich nicht um unterschiedliche Positionen zu derselben Frage, sondern um zwei Gruppen, die in unterschiedlichen Welten Selbstgespräche führen.

Ob es möglich ist, im Dialog etwas zu erreichen, hängt nicht vom Missionsverständnis ab, sondern davon, ob die Gesprächspartner in der Lage sind, die Perspektive des je anderen wirklich zu verstehen. Wer sich darum bemüht, braucht Übersetzerinnen, die in beiden Kulturen zu Hause sind, die die verwirrende und beängstigende Vielfalt islamischer Positionen zu deuten und zu übersetzen wissen. Solche Übersetzer haben vor wenigen Wochen das "Manifest der Vielen" veröffentlicht. Auf die Vermittlung dieser Personen sind wir angewiesen, wenn wir wollen, dass der Dialog Ergebnisse zeitigt. Die Windstille in der Evangelischen Kirche kann nur vorübergehend sein.

Ellen Ueberschär

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