Audiophiles

Nachkriegsjahre beim RIAS
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In seinen frühen Berliner Jahren, hatte Sergiu Celidibache durchaus nicht nur ein Herz für Klassiker und Romantiker, die seine Spätphase in München prägten, sondern er war auch an zeitgenössischer Musik interessiert.

In einem Fernsehportrait, das wenige Jahre vor Sergiu Celibidaches Tod entstanden ist, durfte man den Maestro in seinem Element erleben: Er arbeitet gerade mit einem Nachwuchsorchester, als ihn der Reporter nach seiner Einstellung zu zeitgenössischer Musik fragt. Celibidache antwortet nicht, sondern wendet sich an das Orchester. Er bittet die jungen Musiker, Töne zu spielen, die ihnen gerade in den Kopf kommen. Celibidache gibt den Einsatz. Nachdem der letzte Ton verklungen ist, dreht sich Celibidache zum Reporter um und sagt etwas in der Art wie: "Sehen Sie, da würde nun ein Kritiker schreiben, dass jemand eine sehr kluge Komposition geschrieben hat."

Celibidache (1912-1996) war ein eigenwilliger Künstler, nicht erst in seinen späten Jahren. Manche Überzeugungen hat er sein ganzes Leben lang vertreten - wie zum Beispiel die, dass Musik nur dem Augenblick gehöre. Reproduktionen dieses einzigartigen Moments, also Schallplatten- oder CD-Veröffentlichungen, lehnte er rundheraus ab.

Nun ist er tot und kann sich nicht mehr wehren. Für die Musikfans ist es allemal eine Lust, Nicht-Erlebtes zumindest in Konservenform nachholen zu dürfen. Wie mit dieser neuen Dreier-CD-Box, die die vollständigen Aufnahmen aus der Zeit versammelt, in der Celibidache dem RIAS-Orchester vorstand - als Statthalter für den mit einem Dirigierverbot belegten Furtwängler.

Und siehe da: In jenen frühen Berliner Jahren, von 1948 bis 1957, hatte "Celi" durchaus nicht nur ein Herz für Klassiker und Romantiker, namentlich die großen B's - Beethoven, Brahms, Bruckner -, die seine Spätphase in München prägten, sondern er war auch an zeitgenössischer Musik interessiert, sehr sogar: Deutsche Komponisten des 20. Jahrhunderts - Paul Hindemith, Heinz Thiessen, Harald Genzmer, Reinhard Schwarz-Schilling - dominieren auf der Kompilation. Dazu gesellen sich George Gershwin, Aaron Copland, Ferruccio Busoni und Maurice Ravel: Allesamt Künstler, deren Schaffen mindestens ins 20. Jahrhundert hineinreicht. Der einzige echte "Oldie" in der Auswahl ist Luigi Cherubini.

Das kleine audiophile Label audite hat die Originalbänder verwendet und Störgeräusche digital herausgefiltert. Herausgekommen ist eine erstaunliche Klangqualität, ein wirkliches Hörvergnügen. Mitunter ist allerdings ein tiefes Brummen zu vernehmen, das durchaus kein Bandfehler ist, sondern von Flugzeugen stammt. Der Flugverkehr war - zumal während der Zeit der Luftbrücke von Juni 1948 bis Mai 1949 - extrem hoch. Man hätte auch dieses Brummen entfernen können, doch Produzent Ludger Böckenhoff hat sich aus dokumentarischen Gründen entschieden, es dabei zu belassen.

Sergiu Celibidache - The complete RIAS recordings. 3er CD-Box. audite 21.406

Ralf Neite

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