Resonanzen

Hélène Grimaud deckt ungewöhnliche Verbindungen auf
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Die Künstlerin bricht zu einer gewagten Suche ungewöhnlicher Verbindungslinien auf. Gewagt deshalb, weil so unterschiedliche Komponisten wie Mozart, Berg, Liszt und Bartók unter dem Dach der Habsburger Doppelmonarchie in Österreich und Un­­garn verortet werden.

Die Begegnung mit Hélène Grimauds Musik beginnt auf dem CD-Cover. Ihre Augen blicken den Betrachter des Booklets mit genau der kristallinen Intensität an, die man auch in der Musik der französischen Pianistin kennt und liebt. Resonances heißt das neue Album, und die erste Resonanz ist bereits entstanden, bevor der CD-Player das erste Stück gestartet hat.

Diesmal bricht die Künstlerin zu einer gewagten Suche ungewöhnlicher Verbindungslinien auf. Gewagt allein deshalb, weil so unterschiedliche Komponisten wie Mozart, Berg, Liszt und Bartók unter dem Dach der Habsburger Doppelmonarchie in Österreich und Un­­garn verortet werden, "auch wenn Mozarts Salzburg offiziell gar nicht zu Österreich gehörte und Bartók sich streng gegen diese Vereinnahmung verwahrt hätte", wie sie selbst sagt. Die Diskrepanz ist ihr also sehr wohl bewusst.

Gewagt

Man muss dieser geografisch-politisch-zeitgeschichtlichen Einordnung zum Glück gar nicht folgen, die Resonanzen und Verbindungslinien treten beim Hö­ren unmittelbar zutage. Vergessen wir die Habsburger und schauen, was die Mu­sik uns zu sagen hat.

Den Anfang macht Mozart, wer sonst? Leichtfüßig kommt seine a-moll-Sonate heranspaziert, aber schon im Harmlosigkeit antäuschenden Auftakt schwingt eine zweite Ebene mit, die sich nicht auf Anhieb bestimmen lässt. Was mag unter der galanten Oberfläche schlummern? Die Antwort liefert Mozart selbst in den nachfolgenden Sätzen.

Doch das Faszinierende an Hélène Grimauds Zusammenstellung ist, dass auch all die anderen Komponisten sich direkt auf Mozart zu beziehen scheinen. Es ist, als wollten sie ihm beistehen, während er sich - noch im ersten Satz - vom blauen Himmel abwendet und forschend in einen tiefen, labyrinthischen Wald eindringt. Eine verblüffende Verwandtschaft wird offenkundig, die besonders in der emotionalen Nähe besteht.

Hélène Grimaud hebt die dramatische Dimension der vier Kompositionen hervor. Es sind gewissermaßen vier Opern für Piano solo, bei denen sie Regisseurin und Akteurin in Personalunion ist und eine einzige, große Fortsetzungsgeschichte erzählt. Bergs Klaviersonate op. 1 wird zur logischen Fortführung dessen, was Mozart begonnen hat. Dann ein Zeitsprung zurück, doch Liszt (Sonate in h-moll) ist ein perfektes Bindeglied zu Bartok. Es mag eine Sinnestäuschung sein, doch inmitten seiner rumänischen Volkstänze glaubt man ei­nen Menschen zu erkennen, der mit geläutertem Geist einen dunklen Wald hinter sich lässt.

Hélène Grimaud - Resonances. DGG 4778766

Ralf Neite

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