Barmen und Erbarmen

Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider ergreift Partei
Nikolaus Schneider. (Foto: epd/Norbert Neetz)
Nikolaus Schneider. (Foto: epd/Norbert Neetz)
Eine Kirchenkarriere war dem Arbeitersohn aus einer atheistischen Ruhrgebietsfamilie nicht in die Wiege gelegt. Wohl aber das Herz für die kleinen Leute, das er sich bis in die höchsten Kirchenämter bewahrt hat. Im November ist Nikolaus Schneider als Nachfolger von Margot Käßmann in das Amt des EKD-Ratsvorsitzenden gewählt worden.

Eine Kirchenkarriere war dem Arbeitersohn aus einer atheistischen Ruhrgebietsfamilie nicht in die Wiege gelegt. Wohl aber das Herz für die kleinen Leute, das sich Nikolaus Schneider bis in die höchsten Kirchenämter bewahrt hat. Immer wieder hat er in seinem Berufsleben Solidarität mit Menschen demonstriert, deren Arbeitsplätze in Gefahr waren oder deren Löhne oder Sozialleistungen gekürzt wurden.

In den Achtzigerjahren engagierte er sich im heute legendären Kampf gegen die Schließung des Stahlwerks Duisburg-Rheinhausen und stand als Pfarrer mit auf der besetzten Rheinbrücke. Weihnachten 2006 feierte er Heiligabend mit streikenden Mitarbeitern einer Cateringfirma am Düsseldorfer Flughafen. Schneider kritisierte scharf die Arbeitsmarktreformen der Agenda 2010. Und auch zur Bankenkrise fand er deutliche Worte.

Herz für die kleinen Leute

Der leitende Geistliche der Rheinischen Kirche wird nicht müde, zu sagen, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht immer weiter auseinander gehen darf. Dass es nicht sein kann, dass wir uns dem Diktat des Wirtschaftens immer weiter unterwerfen und sich die Politik an dieser Stelle aufgibt.

Schneider denkt nicht ans Aufgeben an dieser Stelle. Im Gegenteil: Er sieht an solchen Punkten Grund für die Kirche, sich einzumischen ins politische Leben. Nicht um selbst Politik zu machen, sondern um der Politik - mit der Bibel und den Thesen der Barmer Theologischen Erklärung in der Hand - ihre Grenzen aufzuzeigen. Wenn es um die Existenzgrundlagen von Geringverdienern geht, Bundeswehreinsätze mit wackeliger ethischer Legitimation oder Zugeständnisse an die Atomlobby - dann können sich alle Parteien auf klare Wor­te des neuen EKD-Ratsvorsitzenden einstellen.

Immer wieder wird Schneider gefragt, ob er mit seinen Einstellungen wenn schon nicht Parteipolitiker, so doch Gewerkschaftsfunktionär hätte werden können. Der Geistliche hat einmal darauf geantwortet, er sei dafür zu sehr auf Integration bedacht und vertrete ungern einseitige Positionen. Bei aller Parteinahme für die Benachteiligten ist er deshalb einer, der auch das ­Gespräch mit Managern und Steuer­senkungs- und Hartz-IV-Kürzungsbefürwortern sucht, und zwar mit Erfolg.

Bekennender Rheinländer

Als bekennender Rheinländer fühlt sich Schneider mehr der Toleranz verpflichtet als der Profilierung. Der leidenschaftliche Protestant findet selbst mit dem konservativen Kölner Kardinal Joachim Meisner noch eine gemeinsame Basis. In der Ökumene wie auch im Dialog mit den Muslimen betont er gern die bereits erreichte Verständigung und setzt auf die Gesprächsbereitschaft der anderen und die persönliche Begegnung mit ihnen.

Auch wenn er Unterschiede und Streitpunkte benennt - Nikolaus Schnei­der ist ein Vermittler und ein Gesprächspartner, der zuhören kann und Fragen ernst nimmt. Das gilt für die Reformprozesse in der Kirche und ihre manchmal schmerzhaften Veränderungsforderungen an Mitarbeiter und Mitglieder. Das gilt aber vor allem im persönlichen Umgang. Bei dem neuen Ratsvorsitzenden mischen sich eine starke seelsorgerliche Ader und rheinisches Blut - Verständnis und die Fähigkeit, sein Gegenüber so zu nehmen wie es ist, prägen seinen Gesprächsstil. Schneider ist stets zugewandt, offen und nachdenklich.

So tritt er etwas bedächtiger auf als seine Vorgängerin Margot Käßmann oder deren Vorgänger Wolfgang Huber. Auch wenn der Fußballfan seine aktive Zeit am Ball schon eine Weile hinter sich hat und nicht zu den drahtigen Joggern zählt wie seine unmittelbaren Amtsvorgänger: in der auf Personen und Privates fixierten Medienwelt macht Schneider deshalb noch lange keine schlechte Figur. Wie gut er auch öffentlich mit privaten Schicksalsschlägen umzugehen vermag, zeigte er, als seine jüngste Tochter an Leukämie erkrankte und 2005 im Alter von 22 Jahren starb. Gemeinsam mit seiner Frau Anne schrieb er darüber ein Buch.

Nikolaus Schneider stellt sich bis heute die Frage, warum er und seine Frau ihr Kind verlieren mussten. Auch wenn ihm Gott da noch Antworten schulde - an seinem Glauben habe auch diese erschütternde Erfahrung nicht gerüttelt. Glaube ist für den Geistlichen kein theoretisches Konstrukt, sondern ein Gefühl des Geborgenseins und des Aufgehobenseins. Auch wenn Gott ihm die schwierigste Frage nicht beantwortet: an der Menschfreundlichkeit Gottes zweifelt Schneider nicht. Davon zu erzählen und diesen Halt im Leben ­wei­terzugeben, ist dem Menschenfreund ein großes persönliches Anliegen. Dass die evangelische Kirche wieder lernt, von diesem Glauben so zu erzählen, dass dies Menschen berührt und erreicht, sieht der EKD-Ratsvorsitzende als ihre vordringliche Aufgabe in der nächsten Zeit.

Christina-Maria Purkert ist Journalistin in Köln.

Christina-Maria Purkert

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