Wer die von Thilo Sarrazin ausgelöste öffentliche Debatte noch im Ohr hat, wird mit Neugier und Interesse zu diesem Buch greifen. In vier Kapiteln geordnet - "Ausgangspunkte islamfeindlichen Denkens in der deutschen Gesellschaft", "die aktuelle Lage der Islamfeindlichkeit", "institutionalisierte Islamfeindlichkeit" und "personelle Islamfeindlichkeit" - finden sich hier 29 Artikel zum Teil sehr namhafter Autorinnen und Autoren, darunter Navid Kermani, Heiner Bielefeldt, Salomon Korn und Michael Brumlik, um nur einige zu nennen.
"Ziel dieses Buches ist es", so schreibt der Herausgeber in der Einleitung, islamfeindliche Strömungen und Vorurteile "unter wissenschaftlichem Vorzeichen aufzuspüren und zu dokumentieren". Es ist ohne Zweifel ein Gewinn, sich in diesen Band zu vertiefen; denn der Leser findet hier einen Spiegel zur Selbstprüfung: An welchen Stellen trifft die Darstellung und Analyse von Islambildern auch meine eigenen ausgesprochenen und unausgesprochenen Urteile?
In dem Beitrag von Heiner Bielefeldt, der zu den besten im Band gehört, werden die Begrifflichkeiten und Kategorien geschärft, wenn es beispielsweise heißt: "Die für eine liberale, aufgeklärte Diskussionskultur entscheidende Trennlinie verläuft deshalb nicht zwischen freundlichen und weniger freundlichen Darstellungen des Islam und seiner Angehörigen, sondern zwischen Klischee und Genauigkeit."
Bereitschaft zu selbstkritischer Prüfung
Sich dem zu stellen, bedeutet jedoch auch, sich intensiv zu informieren. Eine liberale, aufgeklärte Diskussionskultur setzt voraus, dass der Einzelne bereit ist, seine eigenen Einstellungen einer selbstkritischen Prüfung zu unterziehen und sie gegebenenfalls zu revidieren. Das ist leichter gesagt als getan, denn im gesellschaftlichen Alltag steuern Ängste und Befürchtungen oft die Einstellungen nachhaltiger als Vernunft und Argumente.
Sich mit dem Phänomen der Islamfeindlichkeit auseinanderzusetzen, ist eine aktuelle, notwendige und dringende Aufgabe. Jedoch dürfte es für den interessierten Normalleser nicht leicht sein, in der Vielzahl der Beiträge die Perlen zu finden, die ihm helfen, konkrete Antworten zu finden.
Die Fokussierung auf den Begriff der "Islamfeindlichkeit" lässt auch bei dem zur Selbstprüfung bereiten Leser die Frage offen, welche Kritik am Islam insgesamt und an welchen Gruppen und Erscheinungsformen des Islam denn ihre Berechtigung hat und welche nicht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich der Blick ausschließlich auf Phänomene der Islamfeindlichkeit richtet und der Islam nicht in den notwendigen Differenzierungen seiner Strömungen, Bewegungen und Gruppen bewertet wird.
Der Hinweis auf einen weiteren Band "Islamverherrlichung", den der Herausgeber ankündigt, mag nur für den hilfreich sein, der Zeit und Muße hat, sich im Korridor zwischen Feindlichkeit und Verherrlichung die Kriterien für seinen Standort zu erarbeiten. In Kapitel III finden sich unter dem Titel "Institutionalisierte Islamfeindlichkeit" das Internet, die CDU/CSU sowie die evangelische und die katholische Kirche gemeinsam wieder.
Abgesehen von der Frage, ob das Internet als eine Institution zu bezeichnen ist, ist diese Zusammenstellung einigermaßen befremdlich. So bezieht sich der Artikel über die katholische Kirche auf das von Papst Benedikt in seiner Regensburger Rede benutzte Zitat, das ja zu scharfen Protesten in der islamischen Welt geführt hatte. Abgesehen davon, dass der Artikel dieses Thema nach wenigen Abschnitten verlässt und sich anderen Fragen zuwendet, kann doch nicht aus diesem einen Vorfall auf eine "institutionalisierte Islamfeindlichkeit" geschlossen werden. Die katholische Haltung zu anderen Religionen seit dem II. Vatikanum, die zahlreichen christlich-muslimischen Dialoge, gemeinsame Kommissionen sowie zahllose andere Aktivitäten werden nicht mit einem Wort erwähnt.
Kirche und "institutionalisierte Islamfeindlichkeit"?
Ich schließe die evangelische und die orthodoxe Kirche ein, wenn ich daran erinnere, dass die Kirchen in Deutschland seit 1975 bundesweit die jährliche "Interkulturelle Woche" betreiben, 1976 auf Bundesebene die Islamisch-Christliche Arbeitsgruppe etabliert haben, also Jahrzehnte bevor die Bundesregierung die Deutsche Islamkonferenz ins Leben rief, Programme gegen Fremdenfeindlichkeit durchgeführt, Dialoge geführt haben und vieles mehr. Wenn Gruppierungen wie die Christliche Mitte, PRO NRW, PRO EUROPA und andere, die sich die Bekämpfung des Islam explizit auf die Fahnen geschrieben haben, nicht analysiert werden, dafür jedoch die Kirchen als solche unter "institutionalisierter Islamfeindlichkeit" verbucht werden, ist das schlicht unseriös. So hinterlässt das Buch, in dem sich zahlreiche Artikel finden, die man sehr zur Lektüre empfehlen kann, am Ende einen zwiespältigen Eindruck.
Thorsten Gerald Schneiders (Hg.): Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen. 2. akt. u. erw. Aufl., VS Verlag, Wiesbaden 2010, ca. 512 Seiten, Euro 49,95.
Martin Affolderbach