Der wahre Schatz der Kirche

Klartext

Große Familie

5. Sonntag nach Trinitatis, 17. Juli

Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. (1. Mose 12, 1)

Abram verlässt seine Heimat wegen der Verheißung eines Gottes, den er vorher nicht kannte. Und so wird ein Migrant zum Stammvater aller Menschen, die ihren Lebensweg Gott anvertrauen und seinem Ruf folgen. Damit sind nicht alle Fragen beantwortet, aber wir erfahren, dass in seinem Aufbruch ein besonderer Segen liegt. „Abraham“ heißt übersetzt „Vater vieler Völker“. Sein Segen reicht also über ihn und seine Sippe weit hinaus. So sind die drei monotheistischen Religionen durch Abraham trotz aller Konflikte eine Familie und gehören zusammen.

Der Ruf Gottes bedeutet für Abram Zumutung und Verlockung zugleich. Er soll sich trennen von Vaterland, Vaterhaus und Verwandtschaft. Doch Abram wird ein neues Land versprochen, von Gott ausgesucht, und ein großes Volk. Dabei sind er und Sarai kinderlos. Aber ihm gilt ein besonderer Segen, Glück über seine eigene Lebenszeit hinaus. Er soll auch für andere Menschen und Völker ein Segen sein. Und dieser Segensüberfluss ist von Gott an den Auszug aus der Heimat gebunden.

Als Abram das Wort Gottes hört, sieht er nichts. „Er wusste nicht, wohin er käme“, kommentiert der neutestamentliche Hebräerbrief. Abram wusste nur, dass im gelobten Land schon andere wohnten, mit denen er sich friedlich einigen musste. Die einzige Form der „Landnahme“ sind Altäre, die er an besonderen Stationen errichtet. Er ruft dort den einen Gott an, der zu ihm gesprochen hat und mit ihm gezogen ist, und vertraut Gott vollkommen, über seine Lebenszeit hinaus.

Mit Abraham hat alles begonnen: die Erwählung durch den einen Gott, aber auch die Versuchung durch ihn. Ein Kind hergeben zu müssen, ist eine Prüfung, die nicht jeder Glaube besteht. Mit Abraham hat begonnen der Glaube an Gott und – der Ungehorsam gegen ihn. So scheint es, ob Abraham alle Höhen und Tiefen der Geschichte des Gottessvolkes vorweggenommen hat.

Auch im Koran ist Abraham eine prominente Gestalt. Nach muslimischem Verständnis ist Ibrahim durch seinen Gehorsam der erste Muslim. Mit seinem Sohn Ismael habe er die Kaaba in Mekka eingerichtet, und auch die Wallfahrt nach Mekka gehe auf ihn zurück.

Und im Neuen Testament gehört Abraham zum Stammbaum Jesu. Und die leibliche Vaterschaft wird durch eine geistliche abgelöst: „Abraham vertraute Gott und glaubte seiner Zusage, dies und nichts anderes rechnete Gott ihm als Gerechtigkeit an“ (Römer 4, 3). Für Christen ist er „Vater des Glaubens“.

Mit der Entscheidung, nur an einen einzigen Gott zu glauben, hat Abraham den Glaubensweg für Juden, Christen und Muslime bereitet. So ist Abraham wie kein anderer die Symbolfigur für ein friedliches interreligiöses Gespräch von Juden, Christen und Muslimen.

Abrahamsglaube bedeutet, von Gott einen großen Namen zu bekommen und eine geistliche Familie zu sein an seinem Tisch. Glaube ist ein Segen ohne eigene Leistungsnachweise – siehe Taufe. Glauben ist nicht nur etwas für jüngere Leute, sondern ist auch leben gegen die Sorge, die Zukunft schon hinter sich zu haben. Glaube ist, das Zeitliche segnen, das Leben gutheißen, loslassen und weitergeben. Und so ist Abraham als Vater dieses Glaubens ein Segen für alle Völker – auch für uns.

 

Fest des Lebens

6. Sonntag nach Trinitatis, 24. Juli

Haltet euch für Menschen, die der Sünde gestorben sind und für Gott leben in Christus Jesus. (Römer 6,11)

In unserem Kirchenfenster prangt ein blaues Wasserkreuz. Das ruft in Erinnerung, dass Jesus unsere Sünde in seinen Tod versenkt hat. Und sie muss nicht wieder auftauchen. Denn in der Taufe sind wir mit Jesus durch seinen und durch unseren Tod hindurch verbunden.

Dazu eine kleine chinesische Geschichte: Ein Mandarin hat zum Fest eingeladen. Als es beginnt, fängt es an, in Strömen zu regnen. Ausgerechnet vor dem Palast des Mandarins hat sich eine riesige Pfütze gebildet, und die Gäste wissen nicht, wie sie trockenen Fußes in den Festsaal gelangen. Der erste Gast fährt mit seiner Kutsche so nahe wie möglich an den Eingang des Palastes. Aber als er aus der Kutsche auf die Treppe springt, die zur Tür führt, bleibt er mit dem Mantel an der Kutsche hängen und fällt der Länge nach in die Pfütze. Der Mandarin kommt ihm entgegen, heißt ihn willkommen und bietet ein trockenes und sauberes Gewand an. Aber der Gast geniert sich und meint, mit der nassen und schmutzigen Kleidung wolle er den anderen Gästen nicht unter die Augen treten. Daraufhin wirft sich der Gastgeber in die Pfütze, wird nass und dreckig wie sein Gast. Den nimmt er an der Hand, führt ihn in den Palast und versichert ihm, dass alles bereit sei für das Fest des Lebens.

Jesus gleicht diesem Mandarin. Er ist ein sterblicher Mensch wie wir, ist uns gleich geworden und gestorben. Aber er zieht uns durch jedes Wasser und sogar durch den Dreck und macht uns neu. Er lebt. Und wir sollen auch leben.

 

Voller Sehnsucht

7. Sonntag nach Trinitatis, 31. Juli

Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten. (Johannes 6,11)

Bethlehem heißt „Haus des Brotes“. Man könnte den Ort also auch Brothausen nennen. Und das passt zu Jesus, ist er doch Brot vom Himmel, erfahrbar im Abendmahl.

Johannes beginnt sein Evangelium allerdings nicht in Brothausen. Er erzählt weder von Weihnachten, noch vom Brotbrechen beim Abendmahl. Und auch das Vaterunser taucht bei Johannes nicht auf.

Ein Christsein ohne Weihnachten, Abendmahl und Vater unser? Seltsam. Dafür gibt uns Johannes das Wort Jesu: „Ich bin das Brot des Lebens“ (Johannes 6, 35). Jesu Abendmahlsrede steht etwas verfrüht im Anschluss an die „Speisung der Fünftausend“ (Johannes 6, 1–15). Diese wird von anderen mit der Speisung durch das Manna verglichen, das Gott dem Volk Israel in der Wüste schickte, als es vor lauter Hunger gegen Mose murrte und nach Ägypten in die Gefangenschaft zurückkehren wollte.

Aber Jesus lehnt den Vergleich mit Mose ab. Denn die Leute seien trotz des Genusses des Manna gestorben, sagt er provozierend zu den Gesprächspartnern, die ihm eine Verständigungsbrücke bauen wollen. Aber das Manna habe die Menschen gelehrt, dass Himmelsbrot nicht auf Kosten der anderen gesammelt und gehortet werden kann. Denn es ist vergänglich, nicht haltbar, wie das Volk in der Wüste schnell feststellen muss. Und es gibt noch einen anderen Vergleichspunkt zwischen dem Manna in der Wüste und dem Brot des Lebens: Die Speisung Jesu und das Wort vom Fleisch, erzeugt Murren und Unverständnis, so dass sich viele abwenden. Aber schließlich bekennt Petrus: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens“ (Johannes 6, 68). In der Zusammenfassung ist die Brotrede umstritten, aber kurz: Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Denn das Brot, das Jesus gibt, ist er selbst.

Jesus muss sterben, um von seinem irdischen Leib befreit zu werden. In der Auferstehung hinterlässt er uns seinen Geist, seinen Helfer, seinen Tröster, seine Lebenskraft. Von Anfang an gibt er sich uns. Er wurde ein Mensch aus Fleisch und Blut, sterblich und zugleich Weg und Brücke für uns in die Ewigkeit.

Fleisch und Blut können das nicht verstehen. Daher muss Gott selbst in uns diese Erkenntnis erwecken. Sein Geist muss uns lebendig machen.

Jesus, das Brot des wahren Lebens, hält in uns die Hoffnung wach, dass wir durstig und hungrig, voller Sehnsucht bleiben, aber uns nicht auf Kosten anderer totfressen, sondern uns gemeinsam auf den Weg machen, gestärkt in seiner Gegenwart, genährt für die Ewigkeit, schon jetzt aufstehen.

 

Wichtige Aufgaben

8. Sonntag nach Trinitatis, 7. August

Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten eingelegt als alle, die etwas eingelegt haben. Denn diese haben alle von ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles was sie zum Leben hatte. (Markus 12,44)

Jesus sieht die Witwe, die sonst unsichtbar bleibt und stellt sie in die Mitte seiner Lehre von der Tempelkollekte. Er sagt uns, dass die Gesinnung wichtiger ist als die Höhe der Spende.

Und die Witwe macht es vor. Sie gibt alles und hofft auf Gottes Hilfe.

Ich persönlich hätte ihr wahrscheinlich geraten, die Hälfte fürs tägliche Brot zurückzulegen oder hätte ihr erklärt, dass die Tempelsteuer an der Einkommenssteuer hängt, sie also gar nichts zahlen muss. Dann hätte sie wenigstens noch etwas für den nächsten Tag gehabt. Aber vielleicht hätte sie mir geantwortet: „Du hast keine Ahnung. Was heute ein Brot kostet, dafür kann ich auch gleich beide Schärflein geben und auf Gott hoffen. Aber vielleicht hast du ja eine Aufgabe für mich?“

Tatsächlich hat die christliche Gemeinde in Jerusalem ihren Witwen nicht nur Brot gegeben, sondern auch Aufgaben übertragen. Denn der wahre Schatz der Kirche ist nicht ihr Reichtum, sondern sind Menschen, die Gott dienen mit allem, was sie sind und haben.

In 1.Timotheus 5 wird die besonderen Möglichkeiten des Alters erkannt: Der richtige Zeitpunkt für das neue Ehrenamt der Witwe kommt, wenn die eigene Familienphase – und heute auch die Erwerbsphase – überstanden ist.

Im ordo viduarum, einer Regel für Witwen um das Jahr 200 in Karthago, erfahren wir, dass die Witwen während des Gottesdienstes Ehrenplätze einnahmen. Und welche ehrenamtlichen Aufgaben fanden sie? Gebet und Fürbitte, Taufunterricht und Assistenz bei erwachsenen Taufbewerberinnen, Besuchsdienst im Gefängnis, Krankenpflege, Organisation von Begräbnissen und praktische Hilfe bei der Bewirtung von Wanderpredigern.

Das Amt der Witwen hat sich zu einer sichtbaren Einrichtung der Gemeinde entwickelt. Die moderne Alternative von Geber und Empfänger greift dabei zu kurz. Die altkirchliche Sozialfürsorge funktionierte als Dienst von Armen für Arme, als Hilfe zur Selbsthilfe. Staatliche Unterstützung für Witwen gab es noch nicht. Heidnische Wohltäter stifteten zwar Bäder, Bibliotheken, Tempel und Volksfeste, aber das soziale Gefälle blieb erhalten. Erst in der Nachfolge Jesu wurden die Witwen öffentlich sichtbar und bekamen ihren Platz in der Gemeinde.

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