Extreme Abgründe
Vor einem Monat fand eine NPD-Kundgebung in Aue statt, auf der in erschreckender Weise die christliche Botschaft instrumentalisiert und entstellt wurde. Wie kann sich die Kirche dagegen wehren?
In wenigen Tagen endet die Weihnachtszeit. Sie dauert länger als vielen bewusst ist. Erst mit dem Ende der Woche des letzten Sonntags nach Epiphanias, in diesem Jahr am 2. Februar, schließt sich offiziell der große Weihnachtsfestkreis. Besonders in Sachsen ist man traditionsbewusst. Das sieht man daran, dass in vielen sächsischen Kirchen des Landes Weihnachtsbäume und Krippen erst nach dem 2. Februar, dem Fest der Darstellung des Herrn, aus den Kirchen entfernt werden. Eine schöne Tradition!
Leider werden aus dieser Weihnachtszeit in Sachsen auch schlimme und unschöne Ereignisse in Erinnerung bleiben: Am 24. Dezember 2019 wurde auf der Heiligabendfeier der Nikolaikirchengemeinde Aue ein ehrenamtlicher Helfer der Gemeinde durch einen Messerstich schwer verletzt als er einen Streit schlichten wollte. Ein Vorfall, der zwischen den Jahren auch durch die Meldungen der überregionalen Presse ging!
Die Polizei hatte laut Bericht der Lokalzeitung Freien Presse, direkt nach der Tat einen 53-jährigen Syrer festgenommen, der mit einem Iraner in Streit geraten war. Er war des Hauses verwiesen und dann später mit einer Gruppe anderer Männer – „augenscheinlich Personen aus dem arabischen Raum“ zur Feier zurückgekommen. Als ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Gemeinde den erneut aufflammenden Streit schlichten wollte, wurde er durch einen Messerstich schwer verletzt und musste ins Krankenhaus. Das konnte er nun vor einiger Zeit schon wieder verlassen, wie der Auer Superintendent Dieter Bankmann zeitzeichen in einem Telefonat mitteilte. Allerdings sei die Stimmung in der Stadt und in der Gemeinde natürlich noch recht aufgewühlt und viele seien beunruhigt, denn es konnte nicht ermittelt werden, wer der Täter gewesen ist und dementsprechend wurde auch noch kein Täter verhaftet. Eine schwierige Situation für die Gemeinde, die in einer Erklärung auf »ungezählte gute Erfahrungen mit Migranten« hinwies, die dieser Tat gegenüberstünden. Man verwahre sich dagegen, »diese Straftat zum Anlass zu nehmen«, um alle Migrantinnen und Migranten zu kriminalisieren. Auch der verletzte Helfer erklärte, keinen »Hass zu empfinden« und sich weiter engagieren zu wollen. Vor einigen Tagen wurde nun ein Verdächtiger ermittelt, es ist der Sohn des zunächst verhafteten 53-jährigen Syrers.
Vier Tage nach den Vorfällen, am 28. Dezember, organisierte die NPD als Reaktion auf den Vorfall eine Kundgebung unter dem Titel „Heimat bewahren“ auf dem Altmarkt von Aue-Bad Schlema, zu der über 2000 Menschen kamen. Die Kundgebung, die mit einer Rede des NPD-Stadtverordneten Stefan Hartung begann und mit dem Absingen von Volksliedern endete, enthielt in der Mitte einen Auftritt des Pro-Chemnitz-Aktivisten Martin Kohlmann, der eine Bibel aus der Tasche zog, um eine „Predigt“ zu halten. Dabei kritisierte er zunächst, wie zuvor auch schon NPD-Mann Hartung, dass der Auer Superintendent nicht auf der NPD-Kundgebung sprechen wollte. Und dann hielt er eine „Predigt“, die es in sich hatte: Im gemütlichen Plauderton entwickelte Kohlmann anhand der Bibel nach und nach fremdenfeindliche Gedanken, die in einer bizarren Auslegung des Zweiten Johannesbriefes gipfelte, nachdem Muslime in kirchlichen Veranstaltungen nichts zu suchen hätten. Die gesamte Veranstaltung ist auf YouTube zu sehen, die „Predigt“ von Kohlmann beginnt etwa bei Minute 24 und endet etwas nach Minute 34. Der ganze Text dieser „Predigt“ ist unten, am Ende dieses Textes, im Wortlaut dokumentiert.
Besonders erstaunlich und erschreckend war, dass die Ansprache Kohlmanns von der großen Menge auf dem Marktplatz scheinbar gleichmütig und auch mit Zustimmung zur Kenntnis genommen wurde. Ein erschreckendes Zeichen rechter Hegemonie im öffentlichen Raum, die in manchen Regionen, besonders in Sachsen, schon selbstverständlich geworden zu sein scheint! Es war sicher absolut richtig, dass Superintendent Bankmann nach dem Friedensgebet nicht auf der Kundgebung gesprochen hat. Von der prinzipiellen Schwierigkeit, sich auf einer NPD-Kundgebung instrumentalisieren zu lassen, einmal abgesehen, wäre es nicht ratsam gewesen, das Wort zu ergreifen, denn im „liturgischen Umfeld“ von Hassreden, demagogisch zugespitzter Verdrehung von Bibel und Religionsgeschichte sowie pseudoreligiöser Instrumentalisierung von Hymnen wäre eine den Menschen zugewandte freundliche Ansprache als Komplizenschaft mit den Veranstaltern ausgelegt worden, eine konfrontative Gegenrede wäre im Umfeld chancenlos gewesen.
Es stellt sich aber verschärft die Frage, wie auch im Raum der Kirche rechten Provokationen und Versuchen, die christliche Verkündigung in ihrem Sinne umzudeuten, sinnvoll und möglicherweise auch konfrontativ widerstanden werden kann. Zwar ist es selten, dass völkische „Predigt“ so scheinbar professionell umgesetzt wird, wie durch den geschickten Demagogen Kohlmann am 28. Dezember in Aue, aber die Verbrämung biblischer Motive verbunden mit einer Kampfansage an die Kirche ist bei rechten Kundgebungen immer häufiger anzutreffen.
Was ist zu tun? Der Journalist und Buchautor Arnd Henze, Redakteur beim WDR, hatte wenige Tage nach dem Vorfall in Aue auf Facebook festgestellt, dass öffentliche Rede im Konflikt und besonders unter den Bedrohungen von Hass und Hetze eine homiletische Herausforderung bedeutet, für die Pfarrerinnen und Pfarrer bisher nicht ausgebildet sind. Er hält es aus verschiedenen Gründen nicht ratsam, auf öffentlichen Kundgebungen von Rechtsradikalen, gar der NPD, als Kirche aufzutreten. Andererseits aber schaffe diese aus Unsicherheit und Ratlosigkeit resultierende Zurückhaltung, sich im öffentlichen Raum zu äußern, auch ein Vakuum, das dann von den Hasspredigern gefüllt wird. Insofern ist Aue 2019 ist ein Menetekel, das den Kirchen zu denken geben sollte! Es brauche auf jeden Fall Strategien um der rechten Vereinnahmung auch der christlichen Tradition aktiv entgegenzutreten.
Mit der „Predigt“, von Martin Kohlmann, so Henzes Ratschlag, sollten sich möglichst viele Pfarrkonvente befassen, um zu erkennen, mit welcher Raffinesse die Botschaft von Menschenfreundlichkeit und Versöhnung im Dienste einer völkischen Hetze umgedeutet wird!
Dokumentation der „Predigt“ des Pro-Chemnitz-Aktivisten Martin Kohlmann vom 28. Dezember 2019 auf dem Altmarkt von Aue-Bad Schlema (Transkription nach YouTube):
ZITAT: „(…) (W)ir haben so ein bisschen scherzhaft vereinbart, dass ich heute eher so die Sache mit dem Pfarrer beleuchten werde, dass ich hier quasi hier heute de Predigt halte. Das mach ich wirklich. Also erstmal: Ich finde das gut, dass die ein Friedensgebet machen, denn für den Frieden zu beten, ist nie falsch. Ich finde es aber schlecht, dass der Pfarrer danach nicht herkommt, um mit uns hier zu reden, denn wenn er uns nicht die Deutung der Ereignisse überlassen möchte, warum nimmt er dann die Einladung nicht an, hier seine Deutung der Ereignisse und voralldingen die Schlussfolgerung, die er vielleicht draus zieht, uns hier mitzuteilen?
Also … Also, wenn mich die Kirche oder die Linkspartei oder wer auch immer, mich einladen würde, meine Sicht der Dinge darzulegen, dann würde ich da natürlich hingehen. Aber umgekehrt ist es anders. Nun, er will uns nicht die Deutung dieser Ereignisse überlassen, und ich mach heut die Predigt, deswegen habe ich meine Bibel mitgebracht. Ich bin immer weniger bereit, dieser etablierten Pfarrerschaft in großen Teilen die Deutung des christlichen Glaubens und der Bibel zu überlassen.
Ich … also in der Kirche geht’s ja theoretisch oft um die Bibel, eigentlich immer, und ich geh oft in die Kirche, ich muss aber feststellen, da geht‘s eigentlich nur um zehn Prozent von der Bibel, also von dem Buch (zeigt auf seine mitgebrachte kleine Bibel und blättert darin) … hier … so ein Stück. Der Rest wird weggelassen. Also, ich hab lange nichts mehr von dem Bischof zum Beispiel dazu gehört, was die Bibel dazu sagt, was eine Familie ist und was umgekehrt keine Familie ist.
Ich hab auch lange nichts davon gehört wie das Zusammenleben mit auch fremdländischen Leuten zu funktionieren hat – ja denkt nicht so, die Bibel ist langweilig, weil viele haben ja die Meinung, was, in der Bibel, da stehen ja nur solche Dinge, dass wir nette Menschen sein sollen und dass wir zu Ausländern lieb sein sollen … Halt! … Also im Alten Testament wird immer aufgerufen, dass man zu den Fremdlingen, so hat es Luther übersetzt, zu denen soll man freundlich sein, die soll man beschützen, denen soll man helfen, die wär’n auch immer in einer Reihe mit quasi Hilfe bedürftigen Personen benannt, da geht’s um die Witwen und die Waisen und die Fremdlinge, die sollst du nicht bedrücken, … Aber! … Der Herr Luther hat freundlicherweise die Begriffe auch erklärt, die er verwendet hat, und ein Fremdling in diesem Sinne, im alttestamentarischen Sinne, das war einer, der nicht nur integriert war, sondern der assimiliert war, der nicht nur im öffentlichen Raum die Gesetze komplett geachtet und eingehalten hat, sondern der sogar im privaten Leben vollständig den rituellen Vorschriften des Gastlandes gefolgt ist.
Für solche Leute gilt natürlich der Aufruf, sie zu schützen, sie nicht zu bedrücken – das entspricht ja genau dem, was der Stefan auch gesagt hat – und demgegenüber gibt es auch im Alten Testament das Wort, was Luther mit „Ausländer“ übersetzt hat ,und da kommt dieser Zusammenhang nie, sondern die werden eigentlich oft als „Strafe Gottes“ bezeichnet, wenn’s zu viele davon gibt, … und … das sehe ich gar nicht so falsch, diesen Ansatz.
In der Bibel stehen noch viel, viel, viel mehr spannende Dinge, da steht über Staatsversagen, Vetternwirtschaft und dass daraus auch folgt, dass Leute zur Selbstjustiz greifen. Keine Langeweile – das steht alles schon in der Bibel! Und wenn sie uns irgendwie weismachen wollen, wenn man von Umvolkung redet, dann ist man ein Verschwörungstheoretiker … wer die Bibel liest, weiß es besser! Umvolkung haben die Mächtigen vor zweieinhalbtausend Jahren und noch davor schon gemacht. Die nämlich verschiedene so Großreiche hatten, die verschiedene Länder beherrscht haben, die haben da gezielt und offen die Bevölkerung ausgetauscht, die haben also ganze, von Stämmen beherrschte Schichten komplett in eine andere Gegend verfrachtet. Die haben zum Beispiel, das ist ein bekanntes Beispiel von Israel, die komplette Oberschicht nach Babylon verfrachtet. Dann haben sie von anderswo die Unterschicht nach dorthin verfrachtet. Das war ein zielgerichteter Plan, den haben viele Großreiche angewendet, aber heute ist es Verschwörungstheorie, auch wenn’s offen sichtbar stattfindet.
Wer die Bibel liest, weiß es besser! Der wird da nicht nur jede Menge tolle Dinge finden, die sein persönliches Leben betreffen, sondern auch vieles, was die Zustände in unserem Land komplett wiedergibt, dass man denkt: „Mensch, die müssen doch unser heutiges Land vor den Augen gehabt haben, als sie das geschrieben haben vor über zweitausend Jahren …
Und es steht auch vieles drin, was Hoffnung macht. Abspaltung zum Beispiel: Als nämlich das israelische Reich, was damals auch hinreichend mächtig war, sich in eine doch ganz schlechte Richtung entwickelt hat, da hat ein Teil, sogar der kleinere Teil, gesagt: „Da wollen wir nicht mehr mitmachen, wir erklären uns für selbstständig!“ Auch das halte ich für sehr bedenkenswert in der heutigen Zeit, uns zum Beispiel zu nehmen: Wenn der Westen untergehen will, dann wollen wir nicht mit! Und wenn man einem anderen Land beitreten kann, dann kann man auch wieder austreten.
So, ich will aber meine Predigt gar nicht in die Länge ziehen, denn man kann ja über alles predigen, aber nicht über 15 Minuten (…) überall gibt’s Bibeln, ihr könnt die selber lesen, die Weihnachtszeit lädt davon ein, ihr werdet die tollsten und spannendsten Dinge drin finden.
Ich möchte aber jetzt noch dem Pfarrer konkret sagen, dass er, wenn er nicht nur immer die zehn Prozent, die offen quasi Mode sind in seinen Gottesdiensten verwendet, sondern auch mal die restlichen neunzig Prozent, dass es den Vorfall ja gar nicht gegeben hätte am Heiligen Abend. Das ist ja kein neues Phänomen, dass, dass vielen auch Kirchenleuten in der Bibel vieles nicht gefällt und da wird das dann einfach weggelassen. Im Dritten Reich haben dann auch die Kirchen, die sich der Macht angebiedert haben, die haben dann einfach die Stellen weggelassen, wo zu viele Juden drin vorkamen, weil das eben damals nicht chic war, und heute lässt man eben das weg, was dem Multi-Kulti-Miteinander entgegensteht. Aber ich les mal vor aus einem Buch der Bibel, was ganz selten vorkommt im Gottesdienst, nämlich aus dem 2. Johannesbrief: „Wer darüber hinausgeht und bleibt nicht in der Lehre Christi, der hat Gott nicht. Wer in dieser Lehre bleibt, der hat den Vater und den Sohn. Wenn jemand zu Euch kommt und bringt diese Lehre nicht, so nehmt ihn nicht ins Haus. Das steht klar in der Bibel: Ein Moslem hat zu einer kirchlichen Veranstaltung nichts zu suchen! Und das ist keine „Pro-Chemnitz-Forderung“, sondern das steht in der Bibel seit zweitausend Jahren!
Wir müssen auch uns bewusst sein, dass der Herr Martin Luther sich das nicht so vorgestellt hat, dass nur die Pfarrer die Bibel auslegen sollen, sondern im Gegenteil, er hat sie ins Deutsche übersetzt, dass wir sie alle verstehen können und er hat sogar was eingebaut in die Kirchenordnung, dass jeder, der Kirchenmitglied ist, und der feststellt, dass die Predigt des Pfarrers gegen die Bibel verstößt oder dem nicht gerecht wird, was da drin steht, und dem widerspricht, dass der auf der Stelle aufstehen kann, nach vorne gehen kann und eine Gegenpredigt halten kann. Ich würde mal dazu aufrufen, das ab und zu zu machen. Ich würde Wetten abschließen, dass auch diese uralten kirchlichen Vorschriften dann sehr schnell geändert werden, wahrscheinlich, wenn das um sich greift, diese Angewohnheit.
Aber ich wiederhole es zum Abschluss: Einige Kirchenkreise wollen uns nicht die Deutung der Ereignisse in unserem Land überlassen, das müssen sie auch nicht. Wir möchten denen nicht länger, erstens natürlich auch nicht die Deutung der Zustände in unserem Land überlassen, aber wir möchten ihnen auch nicht mehr die Deutung unseres Glaubens und unserer heiligen Schriften überlassen, wir sind schlau genug, wir können selber lesen. Tut es! Danke!“ ZITATENDE
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.