Große Klarheit

Erinnerung an Barbara Köhler

Der in Versalien gesetzte Titel dieser wirkmächtigen Erinnerung an die im sächsischen Burgstädt geborene Dichterin Barbara Köhler, die in vielerlei Hinsicht eine typisch mäandrierende DDR-Dichterinnen-Karriere ihrer Generation durchlaufen hat mit Berufsausbildung, Arbeit im Krankenhaus und im Theater, steht sinnbildlich für das Schaffen dieser so monolithisch und gleichermaßen verbindend im Treiben des Daseins schaffenden Frau. Er hält den Blick fest, weil man zunächst glaubt, sich verlesen zu haben – Schnittstellen? Nein: Schriftstellen! Und er aktiviert sofort alle Sensoren, weil er eine Einwortbotschaft mit großer Feldwirkung darstellt. Schriftstellen. Das suggeriert ein Tun und einen sprachlich eingenommenen Ort gleichermaßen. Genau das findet sich in diesem klug von Marie Luise Knott im Detail ausgewählten und mit einem Nachwort versehenen Band, der die 2021 gestorbene Autorin in ihrer ganzen Vielfalt zeigt.

Gleich mit dem Auftaktessay „Die Reise zum Mittelpunkt der Rede“ gibt Marie Luise Knott eine dezidierte Richtung vor. Auch hier stolpere ich wieder: „ … zum Mittelpunkt der Erde“? Nein, kein Jules Verne – Barbara Köhler, wie sie atmet, denkt und schreibt: „Die Reise zum Mittelpunkt der Rede“. Rede und Erde sind eins in diesem weiträumig dichten, sprachspielerischen Konglomerat aus Gedichten und Essays, Sprachspielen, Haltungs- und Achtungssequenzen, in denen das Ich so sehr Ich wie überpersönliches Wir-Ich ist – wie Haut und Mantel, bestimmt und unbestimmt eingepasst in die Halterungen der Sprache, mit der sie ihre Verortung preisgibt: „Rondeau Allemagne: Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd, / Mit einer Liebe, die mich über Grenzen treibt, / Zwischen den Himmeln. Sehe jeder, wo er bleibt; / Ich harre aus im Land und geh ihm fremd. // Mit einer Liebe, die mich über Grenzen treibt, / Will ich die Übereinkünfte verletzen / Und lachen, reiß ich mir das Herz in Fetzen / mit jener Liebe, die mich über Grenzen treibt. // Zwischen den Himmeln sehe jeder, wo er bleibt: / Ein blutig Lappen wird gehißt, das Luftschiff fällt. / Kein Land in Sicht; vielleicht ein Seil, das hält / Zwischen den Himmeln. Sehe jeder, wo er bleibt.“

Das ist resümierte Geschichte und Gegenwart, eine spiegelsichtige Zustandsbeschreibung von großer Klarheit, die kein Blatt vor den Mund nimmt, ohne dieses ehrlich zu beschreiben.

Im Kombinat ihrer sprachlichen Kombinationen hat Barbara Köhler viele ihrer Texte zugleich grafisch justiert und ins Lot gebracht – Schriftstellen markiert und installiert –, was einer doppelten Botschaft gleichkommt. So in Form gebracht, ist der Gedanke eingehaust, aber nicht gefangen. Im Gegenteil, er nutzt den Rahmen und überwuchert ungesehen Rand und Band aus innen. Er postuliert seine innere Freiheit in äußerer Ordnung. Das zeugt von großer Souveränität und stellt diese innere Freiheit auf eine neue Stufe, die Türen öffnet, die nicht sichtbar sind und doch vorhanden. Sie gelten einer Befreiung zur Begegnung, einem Gemeinsinn, einer Gleichheit ohne Gleichschaltung, einer Erfahrung von Zeit und Raum, „Wo sein ist, doch keines bleibens. Aber wo sind wir schon, wo sollten wir bleiben, wenn nicht in verbindung, we’ll keep in touch, bleiben in der flüchtigkeit von berührung, erinnern uns. An einander.“ 

Dieses schwingende Pendel markiert die immerwährende Bewegung, die sich durch alle Texte Barbara Köhlers zieht – als aus der Erkenntnis geschmiedetes Schutzschild und Schlüssel – als Wissen, das sich an der Wirklichkeit wundreibt und doch das Einverständnis mit ihr übt. Das stellt sich ein im wachen Einvernehmen mit sich selbst: „Ich übe das Alleinsein, und ich denke, ich habe es darin schon ziemlich weit gebracht. Ich rede mit der Sprache, manchmal antwortet sie. Manchmal antwortet auch jemand anders. Ich rechne nicht mehr damit, verstanden zu werden. Mathematik ist nicht mein Fach.“ Solch geistreicher Umgang mit sich ist entwaffnend und erbaulich zugleich.

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