Keine metaphysische Spekulation

Warum das Konzil von Nicäa vor 1 700 Jahren für unseren heutigen Glauben noch wichtig ist
Eine Ikone in Erinnerung an das Konzil von Nicäa: Kaiser Konstantin (mit Krone) steht hinter dem Glaubensbekenntnis „Nicäno-Konstantinopolitanum“.
Foto: Public Domain
Eine Ikone in Erinnerung an das Konzil von Nicäa: Kaiser Konstantin (mit Krone) steht hinter dem Glaubensbekenntnis „Nicäno-Konstantinopolitanum“.

Im kommenden Jahr jährt sich das Konzil von Nicäa zum 1 700 Mal. Das nach diesem Ort benannte Glaubens­bekenntnis erklärte die Dreifaltigkeit Gottes zum Herzstück christlicher Rechtgläubigkeit. Aber welche Rolle spielt der Trinitätsglaube heute noch? Eine Erkundung von Ulrich H. J. Körtner, Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien.

Im kommenden Jahr steht ein Jubiläum ins Haus, das in seiner Bedeutung für die Geschichte des Christentums kaum zu überschätzen ist, dessen Anlass und Inhalt aber von der religiösen Situation der Gegenwart denkbar weit entfernt scheinen. Vor – im nächsten Jahr – 1 700 Jahren wurde auf dem Konzil zu Nicäa das nach diesem Ort benannte Glaubensbekenntnis feierlich beschlossen, durch welches nach langen dogmatischen Streitigkeiten die Lehre von der Dreieinigkeit oder Dreifaltigkeit Gottes zum Herzstück christlicher Rechtgläubigkeit erklärt wurde. 381 n. Chr. wurde das nicänische Glaubensbekenntnis auf dem Konzil zu Konstantinopel überarbeitet.

Als Nicäno-Konstantinopolitanum ist es heute weltweit das einzige ökumenische Glaubensbekenntnis, das die Kirchen der westlich-abendländischen Tradition und die orthodoxen Kirchen des Ostens verbindet, und Nicäa ging als erstes ökumenisches Konzil in die Geschichte ein. Grund genug für den Ökumenischen Rat der Kirchen, das 1 700-jährige Jubiläum des Konzils im kommenden Jahr mit zahlreichen Aktivitäten zu feiern. Nicäa, so heißt es, sei ein entscheidender Moment in der Geschichte des christlichen Glaubens und für die ökumenische Bewegung heute.

Unter den monotheistischen Religionen ist der Glaube an die Dreieinigkeit Gottes das Alleinstellungsmerkmal des Christentums. Christen glauben an den dreieinigen Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Viele Christen tun sich mit dieser Lehre allerdings schwer. Die lutherischen Bekenntnisschriften stellen dem Nicäno-Konstantinopolitanum und dem Apostolischen Glaubensbekenntnis das Athanasianum, nach seinen Einleitungsworten auch Quicumque genannt, zur Seite. Bei diesem augustinischer Tradition zuzuordnenden Bekenntnis handelt es sich um eine Kompilation von Zitaten lateinischer Kirchenväter, die vermutlich im 6. Jahrhundert n. Chr. entstanden ist.

Drei Personen

Das Quicumque formuliert ausdrücklich ein Bekenntnis zur Dreieinigkeit Gottes: „Dies ist aber der rechte christliche Glaube, daß wir ein einigen Gott in drei Personen und drei Personen in einiger Gottheit ehren und nicht die Personen in einander mengen, noch das göttlich Wesen zertrennen.“ Das wird nun im Einzelnen ausgeführt, bevor es heißt: „Wer nu will selig werden, der muß also von den drei Personen in Gott halten.“ Darauf folgt noch eine bekenntnishafte Darstellung der chalcedonensischen Zweinaturenlehre. Auch von ihr heißt es zum Schluss: „Das ist der rechte christliche Glaube; wer denselben nicht fest und treu gleubt, der kann nicht selig werden.“

So formuliert, dient die Trinitätslehre eindeutig der kirchlichen Identitätsstiftung nach innen und der Abgrenzung nach außen, zur Entstehungszeit gegenüber christlichen Häretikern und wohl auch gegenüber dem Judentum, in späterer Zeit aber auch gegenüber dem Islam.

Folgt man den scharfen Worten des Athanasianum, dürften wohl viele Kirchenmitglieder, gleich welcher Konfession, heute kaum darauf hoffen, selig zu werden. Grundkenntnisse der christlichen Überlieferung sind in weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr vorhanden und auch im Religionsunterricht kaum mehr vorauszusetzen. „Trinität“ ist für die meisten ein Fremdwort. Laut einer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Auftrag gegebenen Studie glaubten 2021 nur noch 46 Prozent der Bevölkerung an einen Gott. Selbst unter evangelischen Kirchenmitgliedern lag der Anteil derer, die noch an Gott glauben, laut einer vom Spiegel 2019 in Auftrag gegebenen Studie lediglich bei 67 Prozent. Im Jahr 2005 waren es noch 79 Prozent gewesen.

Die kirchliche Lehre von der Trinität Gottes spielt für die meisten Menschen gar keine Rolle. Sofern sie die christliche Dreiheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist kennen, dürften sie deren Verhältnis zueinander wohl eher im Sinne des Arius bestimmen, eines Presbyters aus Alexandria, der vermutlich wenige Jahre nach dem Konzil zu Nicäa gestorben ist. Im strengen Wortsinn ist demnach allein die als Vater bezeichnete göttliche Person Gott, der Sohn hingegen ist von Gott geschaffen und ihm untergeordnet.

Sind schon die Kenntnisse, was die christliche Trinitätslehre betrifft, gering, so dürfte der persönliche Glaube an einen dreieinigen Gott, der sich in einer entsprechenden Glaubenspraxis – zum Beispiel einer trinitarischen Gebetspraxis – zeigt, erst recht eine Seltenheit darstellen. Ein Titel wie Friedrich Gogartens Ich glaube an den dreieinigen Gott, erschienen 1926, ist auf dem heutigen Buchmarkt nicht anzutreffen.

Hauptangelpunkt

Im Gegensatz zu Karl Barth (1886–1968) hat Friedrich Schleiermacher (1768–1834) die Trinitätslehre in seiner Glaubenslehre erst am Ende behandelt, weil sie „in ihrer kirchlichen Fassung […] nicht eine unmittelbare Aussage über christliches Selbstbewußtsein, sondern nur eine Verknüpfung mehrerer solcher“ sei. Wohl würdigt Schleiermacher die Trintitätslehre „als den Schlußstein der christlichen Lehre“. Sie sei aber nicht „als eine unmittelbare oder wohl gar notwendige Verknüpfung von Aussagen über unser christliches Selbstbewußtsein anzusehen“, weil doch der „Hauptangelpunkt … der kirchlichen Lehre, Sein Gottes in Christo und in der christlichen Kirche“, unabhängig von der Trinitätslehre bestehe. Schleiermacher kritisiert, dass die Trinitätslehre in der evangelischen Kirche bis zu seiner Zeit „keine neue Bearbeitung erfahren“ habe und hält „eine auf ihre ersten Anfänge zurückgehende Umgestaltung“ derselben für unumgänglich.

Tatsächlich gibt es in Geschichte und Gegenwart des Christentums nicht nur unterschiedliche Ausformungen der Trinitätslehre, sondern auch christliche Gruppierungen, welche die Trintitätslehre ablehnen. Aus der Reformationszeit sei an die Anhänger Fausto Sozzinis und an Michael Servet erinnert, der unter Beteiligung Calvins und nachträglicher Billigung Melanchthons in Genf hingerichtet wurde. Dieses Ereignis gehört zu den dunklen Kapiteln der Reformationsgeschichte.

Biblische Gründe

Im 18. Jahrhundert entstand in Nordamerika die Bewegung der Unitarier, welche nicht nur die christliche Trinitätslehre ablehnt, sondern auch die Göttlichkeit Jesu bestreitet. Die heute bestehende Unitarian Universalist Association steht auch nichtchristlichen und selbst agnostischen Anschauungen offen gegenüber. Teils unter täuferischem, teils unter sozinianischem Einfluss entstanden bereits in der Reformationszeit in Polen-Litauen, in Ungarn und in Siebenbürgen unitarische Kirchen. In Rumänien ist die Unitarische Kirche heute eine der anerkannten Religionsgemeinschaften.

Feststellen lässt sich, dass sich die mit Karl Barth einsetzende Renaissance der Trinitätslehre umgekehrt proportional zum Schwinden des Trinitätsglaubens in der Gegenwart verhält. Soll der Glaube an den dreieinigen Gott mit Leben erfüllt werden, müssen seine biblischen Gründe und seine Ausprägungen im Leben der Kirche, in Liturgie und Frömmigkeit, für Christenmenschen erschlossen werden, die kein Theologiestudium absolviert haben. Man denke nur daran, dass der Gottesdienst üblicherweise mit den Worten „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ beginnt, dass die Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes vollzogen wird und dass auch gottesdienstliche Gebete eine trinitarische Struktur haben, wenn sie Gott den Vater adressieren und mit der doxologischen Formel schließen: „der du mit dem Sohn und dem Heiligen Geist lebst und regierst in Ewigkeit.“ Ebenso kann Christus der Adressat eines Gebets sein, von dem in entsprechender Weise am Ende doxologisch gesagt wird, dass er mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.

Bedenkt man den Zusammenhang von Taufe, Trinität und Theologie der Namen Gottes, dann spielt die Trinitätslehre für die Existenz der Glaubenden und ihre Erschließung durchaus eine zentrale Rolle. Deutet man die Taufe mit Luther existential als tägliches Absterben des alten Menschen und tägliches Auferstehen des neuen Menschen und sucht nach praktischen Möglichkeiten der Tauferinnerung, kann man nicht behaupten, dass es sich bei der Trinitätslehre lediglich um eine sekundäre dogmatische Theorie handelt, der keine Glaubenserfahrung entspricht. Wilfried Härle fasst den Trinitätsgedanken folgendermaßen zusammen: „Christen glauben an den dreieinigen Gott, dessen Wesen Liebe ist, indem sie aufgrund der Begegnung mit Jesus Christus durch Gottes Geist an Gott als den Vater glauben.“

Erschließungsqualität

Die Trinitätslehre hat eine hermeneutische Erschließungsqualität. Sie lässt sich nicht nur als Hermeneutik christlicher Gotteslehre, sondern auch als hermeneutische Erschließung christlicher Existenz verstehen. Die Trinitätslehre der Alten Kirche versucht, wie auch ihre neueren Interpretationen, das biblische Reden von Gott begrifflich zu erfassen. Sie geht aber in ihrer lehrhaften Gestalt über den Wortlaut der biblischen Texte hinaus. Das Neue Testament gebraucht zwar triadische Formeln und enthält bei Paulus und in den johanneischen Schriften Reflexionen, die implizit trinitarisch sind. Es enthält aber keine expliziten trinitätstheologischen Formulierungen.

Mag man auch über die in der Alten Kirche entwickelte, philosophisch geschulte Begrifflichkeit streiten, so ist doch auf elementare Weise eine trinitarische Struktur nicht nur dem Christusglauben, sondern auch dem christlichen Bibelkanon eingeschrieben. Trinitarisches Gottesverständnis und biblischer Kanon bilden einen hermeneutischen Zirkel.

Auslöser und Kern der Trinitätslehre ist das Problem der Christologie. Wir können auch sagen, dass die Trinitätslehre eine Funktion der Christologie ist, welche die Frage zu beantworten versucht, was es heißt, an Jesus von Nazareth als letztgültige Offenbarung Gottes und seines Namens zu glauben. Er ist nach neutestamentlichem Zeugnis mehr als nur ein Zeuge oder Prophet des Gottes, der sich in der Geschichte des alttestamentlichen Israels offenbart hat.

Gott offenbart sich nicht etwa nur in den Worten und Taten Jesu, sondern in seiner Person, wie Paulus in 2. Korinther 5,19 schreibt: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst.“ Letztgültig hat sich Gott in Leben, Sterben und Auferweckung des Gekreuzigten offenbart. So kann man sagen: Jesus als der Christus ist Gottes Wort in Person. Das aber bedeutet, dass sich nach christlichem Verständnis von Gott nur reden lässt, indem zugleich von Jesus von Nazareth gesprochen wird. Wiederum lässt sich zum Gott Jesu Christi nur sprechen, indem im Namen Jesu gebetet wird.

Horizont Gottes

Von Jesus wiederum lässt sich angemessen nur sprechen, wenn im Blick auf seine Person und sein Leben zugleich von Gott gesprochen wird, so dass der Sinn seines Lebens im Horizont Gottes offenbar wird, wie umgekehrt das Wort „Gott“ erst in Verbindung mit dem Leben Jesu seine letztgültige Bedeutung gewinnt. Das Geschick Jesu macht offenbar, dass das Wesen Gottes Liebe ist. Worin aber die Liebe besteht, die Gott ist, lässt sich nur im Verweis auf den Lebensweg Jesu bestimmen.

Folglich gewinnt das Wort „Gott“ seinen christlichen Sinn, indem die Namen „Gott“ und „Jesus“ zusammengesprochen werden. Das geschieht aber so, dass vom alttestamentlich bezeugten Gott Israels als dem Vater, von Jesus als dem Sohn und vom Heiligen Geist als dem Geist des Vaters und als dem Geist Christi, mit anderen Worten: dass von Gott trinitarisch gesprochen wird. So verstanden ist die Trinitätslehre keine metaphysische Spekulation über Gott, sondern die Hermeneutik christlicher Gottesrede.

Verbreitet ist heute dagegen eine christologisch unterbestimmte Rede von Gott, die letztlich auf eine Jesulogie anstelle einer Christologie hinausläuft. Auch unter Kirchenmitgliedern ist eine Sichtweise Jesu als Religionsstifter anzutreffen, die der islamischen Sicht Jesu als Prophetengestalt weit eher entspricht als den neutestamentlichen Versuchen, Jesu Existenz, Sterben und Auferstehung als schlechthinniges Heilsereignis begreiflich zu machen.

Der Heilsbringer

Das Christentum unterscheidet sich nun einmal von allen sonstigen Formen von Religion durch das Bekenntnis zu Jesus Christus als Heilsbringer. Eben darum wurden und werden die an ihn Glaubenden Christen genannt. Dieses Bekenntnis aber schließt den Glauben an den von Jesus verkündigten Gott ein, der wiederum der Gott Israels ist. Nicht eine vage Spiritualität oder Gottoffenheit, sondern das Christusbekenntnis ist der entscheidende „Marker“, an dem das Label „Christentum“ auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten erkannt wird. Von hier aus ist die Identität von Glaube und Kirche zu bestimmen.

Ohne klaren christologischen Kern wird nicht nur die Rede von Gott, sondern auch diejenige vom göttlichen Geist nebulös. Die Folge ist ein Christentum ohne Christus, in welchem sich auch die Rede vom göttlichen Geist zu einer diffusen Spiritualität und synkretistischen Schöpfungsfrömmigkeit verflüchtigt. Demgegenüber ist auch in den heutigen Spiritualitätsdiskursen neu zu bedenken, was es bedeutet, dass der Geist Gottes im Neuen Testament nicht als pantheistischer Schöpfergeist, sondern als Geist Christi beschrieben wird, so dass auch die Lehre vom Heiligen Geist in der Christologie ihr Kriterium hat. Mit dessen Hilfe gilt es, die Geister zu prüfen und zu unterscheiden. 

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