Ab auf die Schulbank

Ich hadere mit dem Bild des Pastors als öffentliche Person. Auch deshalb wurde ich Lehrer
Foto: privat

Da steh ich nun, im Lehrermodus. Mein zweites Halbjahr läuft auf Hochtouren, ich bin nach wie vor topmotiviert, und meine Entscheidung fühlt sich genauso so richtig an. Vor etwa einem Jahr bin ich übergewechselt, aus der Evangelischen Kirchengemeinde Konstanz in den Schuldienst. Doch irgendwie schwirren sie immer noch in meinem Kopf herum, die Flashbacks aus meiner Zeit als Gemeindepfarrer. Was hat mich gestört, was passte nicht so recht ins Bild, wo knirschte es? Fragen aus der Vergangenheit, ja, das sind sie. Und ich nehme sie mit in die Zukunft. Ich grüble darüber, wie der Schul-Lernort die Kirche von morgen inspirieren kann, damit sie wieder attraktiv wird – nicht nur für Mitglieder und Gläubige, sondern allem voran für das göttliche Bodenpersonal, das hier viel Zeit und Energie investiert. Ich stelle mir so eine Art Experimentierfeld vor, für mutige „Moves“ – genau wie der, den ich gewagt habe, als ich dem Pfarramt ernüchtert den Rücken kehrte. Dabei wollte ich schon als kleiner Pimpf Pfarrer werden. Doch auf dem Weg dahin gab es dann erstmal einen großen Haufen kirchlicher Bürokratie im Beamtensystem.

Vergangenen Sommer stand ich das letzte Mal am Altar. Die Entscheidung, das Pfarramt aufzugeben, hatte sich schon länger abgezeichnet. Und während manche meinten, ich solle doch zufrieden sein – junger Pfarrer in Konstanz, Familie mit drei Kindern –, fühlte ich, dass das Bild vom gelungenen Leben irgendwie nicht so ganz passte. „Die Kirche verwaltet sich zu Tode“, finde ich. So nehme ich das wahr. Gremien, Sitzungen, Verordnungen – ich fühlte mich für alles verantwortlich und, Hand aufs Herz, einfach überfordert. Das, was ich als Kernaufgaben empfunden hatte, wie Predigen und Kasualien sowie mein Podcast „Wort Ottes“, geriet zur Nebensache. Trotz Rufen um Hilfe an die Kirchenleitung in Karlsruhe zusammen mit einem guten Dutzend weiteren Mitstreitenden, allesamt Pfarrer im „Probedienst“ und in den ersten Amtsjahren, fühlte ich mich alleingelassen. Meine Kritik an der Landeskirche habe ich in einem Thesenpapier zusammengefasst. Der Hauptpunkt: Die Ausbildung von jungen Menschen für die Gemeindeleitung ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Junge Pfarrer und Pfarrerinnen werden nicht ausreichend vorbereitet, finde ich. Kaum in der Gemeinde angekommen, verengen sich die Freiräume spürbar. Die Möglichkeit, neue, moderne Formate auszuprobieren, bleibt ihnen allzu oft verwehrt, kommt höchstens als nettes „Add-on“ daher.

Die interne Resonanz auf das eingereichte Thesenpapier blieb aus. Ein Redakteur vom Südkurier fragte mich, wie es mir mit meinem Transfer in die Schule eigentlich gegangen sei. Das hatte mich seitens der verfassten Kirche bis dato niemand gefragt. Und ich war überrascht über diese eigentlich ganz selbstverständliche Frage. So wurde ein Essay von mir im Südkurier über meinen Wechsel ins Lehrerleben ein persönliches Bekenntnis. Aber ja, ich habe noch mehr Träume! Diesmal war das Echo gewaltig. Ich bekam viel Resonanz aus anderen Landeskirchen, junge, fragende Kollegen, die sich nicht trauen, Verbesserungspotenziale anzusprechen, aus Furcht vor Nachteilen. Einige Babyboomer-Kollegen, die jetzt in den Ruhestand gehen, kritisierten mich und meinten, ich würde der Kirche schaden und sollte doch einfach meine Klappe halten.

Ich liebe meinen Kapuzenpulli, auf dem wogende blaue Wellen und ein zartes Papierschiffchen zu sehen sind, so betrete ich das Klassenzimmer. Symbolisch für die evangelische Kirche und mich selbst – das Schiff, sprich die Gemeinde, schaukelt durch die Stürme der Zeit. Ein bewusster Griff in den Kleiderschrank, der mehr aussagt, als es auf den ersten Blick erscheint. Heute stehe ich an zwei Konstanzer Schulen vor den Schülern und unterrichte Religion. Ich weiß, dass auch das anstrengend sein kann. Doch ich genieße es sehr, jetzt einer von vielen zu sein, im Lehrerzimmer.

Ich hadere mit dem klassischen Bild des Pastors als öffentliche Person. Alles wird kommentiert in der und von der Gemeinde. Das wollte ich nicht mehr. Im neuen Job, jetzt als Lehrer, ist es für mich deutlich leichter, mich als Teil, als Beitragender zu verstehen. Nein, wir sind keine Halbgötter im Talar, auch wenn uns manche noch dafür halten. In meinem Lehrermodus überlege ich nun, ob die Schule nicht so eine Art Rettungsboot sein kann, für engagierte und fähige, aber eben auch frustrierte Geistliche. Ein Ort, an dem die Last der kirchlichen Verwaltung abfällt und Raum für innovative Lehre geschaffen wird. Ein Ort, an dem Lehrer nicht nur Wissen vermitteln, so war es früher. Ich stelle mir viel mehr einen Raum vor für eigene Ideen und Projekte der Schüler. Um so Kompetenzen und „Skills“ zu entwickeln, und das nicht nur während der alljährlichen Projektwoche. Mein Schritt hierhin könnte ja ein Impuls von vielen sein, für einen neuen Ansatz im Bildungssystem, der Schule und Kirche gleichermaßen stärkt. Und wer weiß, vielleicht sind Schulen die Kirchen von morgen – ohne Verwaltungs-Wahnsinn, dafür aber mit ganz viel frischem Wind und neuen Ideen.

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Jan Thomas Otte

Jan Thomas Otte ist ordinierter Pfarrer und arbeitet als Religionslehrer der Evangelischen Landeskirche in Baden.


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