Das ist eine Kirche, wie man sie sich wünscht: immer am Puls der Zeit, immer in den Medien! Am 2. Mai chaffte es die evangelische Kirche mal wieder in die Hauptausgabe der ARD-Tagesschau, und zwar mit der Schlagzeile: „Evangelische Kirche verliert Mitglieder“ und der von Sprecherin Julia Niharika-Sen kühl verlesenen Meldung: „Die evangelische Kirche hat im vergangenen Jahr fast 600 000 Mitglieder verloren. Ende 2023 gehörten noch etwa 18,6 Millionen Menschen der evangelischen Kirche an. Es sind 3,1 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Das geht aus einer heute veröffentlichten Statistik der EKD hervor. Grund für den Mitgliederschwund sind zu etwa gleichen Teilen Kirchenaustritte und Sterbefälle.“
Okay, die Fakten sind ja, wie sie sind, aber dass die evangelische Kirche diese Schlagzeile exklusiv hat, hat sie sich mit ihrem Kommunikationsgebaren selbst zuzuschreiben. Warum veröffentlicht sie wieder vorpreschend ihre Jahresstatistik als Solistin und nicht im Konzert mit den katholischen Geschwistern wie früher? Dabei ginge es ja nicht darum, wer nun zufällig ein paar Austritte mehr oder weniger zu verzeichnen hat, sondern dass man gemeinsam das traurige Thema mit einem Primetime-Auftritt abräumt. Gut, das mag eine Kleinigkeit sein. Das wahrlich Bemerkenswerte an dem stetigen und zumindest prozentual zunehmenden Abschmelzen der Kirchenmitgliedszahlen wurde in der Tagesschau gar nicht genannt: nämlich die Tatsache, dass diesmal auch die Kirchensteuer einbrach, und zwar um 5,23 Prozent gegenüber 2022 – das ist schon ein Schlag ins Kontor. Denn abgesehen von der ersten Corona-Welle 2020 waren die Einnahmen trotz Austritten immer weiter gewachsen. Wie es mit dem Geldschwund weitergeht, ist schwer zu sagen, denn der Verlust ist in erster Linie konjunkturbedingt. Doch die Aussichten sind nicht rosig, insofern stehen finanziell schwierige Jahre bevor. Auch hier hat nun endgültig die Zeitenwende begonnen. Die mittelfristige Finanzplanung der EKD muss wohl angepasst werden. Apropos Strategie: Die elf beziehungsweise zwölf Leitsätze der EKD, die 2020 kurz heiß diskutiert wurden, finden seitdem keine Erwähnung mehr, jedenfalls nicht öffentlich wahrnehmbar.
Die EKD und ihre Landeskirchen sind aber auch im Moment sehr mit anderen Dingen beschäftigt, zum Beispiel mit der Reaktion auf die ForuM-Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche und dem angemessenen Umgang damit, dem Bewältigen oder Aussitzen der evangelischen Chaostage auf und nach der vergangenen EKD-Synodaltagung in Ulm samt verstörendem Rücktritt der Ratsvorsitzenden Annette Kurschus.
Was tun? Im Moment wechseln lediglich Macher- und Aktivist:innen der „Halt, was du hast“-Fraktion routiniert die Argumente, und es rollt in einigen Social-Media-Regionen die x-te Grundsatzdiskussion um Beibehaltung oder Abschaffung des Sonntagsgottesdienstes inklusive eines getrosten Sterbenlassens alter Formen. Deshalb hier nur eine Bitte: Gebt das Austrittsdesaster nächstes Jahr doch bitte wieder gemeinsam mit den Katholiken bekannt! Wenigstens das …
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.