Neu justieren

Staat und Kirche

Als Heilige Allianz wird das Bündnis bezeichnet, das Russland, Österreich und Preußen nach dem Sieg über Napoleon Bonaparte 1815 schlossen – ein reaktionäres politisches Zweckbündnis, das mit „heilig“ in unserem heutigen Verständnis nicht viel zu tun hatte. Möglicherweise in Anspielung an diesen Begriff hat der katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller ein Werk unter dem Titel Unheilige Allianz vorgelegt. Doch auch wenn er das politische Bündnis im Sinne gehabt haben mag, ginge das Wortspiel in die Leere. Denn er hat keine politischen Staatenbündnisse im Sinn, sondern offenbart schon im Untertitel, worum es ihm geht: „Warum Staat und Kirche sich trennen müssen.“ Das ist mindestens sehr zugespitzt formuliert, als wären Staat und Kirche in Deutschland nicht getrennt, sondern als gäbe es immer noch eine Staatskirche. Doch eine solche Zuspitzung wie auch der Titel des Werkes insgesamt zielt vermutlich primär darauf ab, die erhoffte Aufmerksamkeit durch Provokation zu erhalten.

Dabei wäre das gar nicht nötig. Denn das Grundanliegen Schüllers, das er mit seinem Buch verfolgt, ist mehr als berechtigt. Wenn es auch keine „unheilige Allianz“ in Form einer so engen Verbindung gibt, dass sich Staat und Kirche „trennen“ müssten, arbeitet Schüller richtigerweise heraus, dass die Verflechtungen zwischen den beiden Institutionen an vielen Stellen viel zu eng sind. Schüller zeigt das an verschiedenen Feldern exemplarisch auf, die durchweg als neuralgische Punkte im Verhältnis von Staat und Kirchen zueinander gelten können. Er befasst sich in verschiedenen Kapiteln etwa mit dem Kirchlichen Arbeitsrecht, mit der (mangelhaften) Aufklärung sexualisierter Gewalt, mit den Staatsleistungen und der Kirchensteuer. Dabei legt er jeweils dar, warum es heilsam wäre, würden die Kirchen sich nicht in solch eine starke Nähe zum Staat begeben, sondern stärker auf sich selbst setzen. Zwar unterlaufen Schüller verschiedentlich sachliche Fehler, vor allem dort, wo es ans eingemacht weltlich Juristische geht. Aber die Kernaussagen sind klar verständlich formuliert und machen nachdenklich. Er ist dabei so ehrlich, gleich zu Beginn deutlich zu machen, dass er das Werk fast ausschließlich aus der katholischen Per­spektive und für die katholische Rechtslage schreibt. Hier wäre sicher ein auch evangelischer Blickwinkel gut gewesen und hätte dem Werk eine größere Wirkung geben können. Auch die verfassungsrechtlichen Grundlegungen zu Beginn sind unscharf und hätten einer Fundierung bedurft.

Doch all das schmälert die Überzeugungskraft der Grundaussage Schüllers nicht wesentlich. Sein Ansatz, dass die Kirchen sich aus ihrer zu engen Verflechtung mit dem Staat lösen müssen, ist genauso richtig wie das Einfordern einer konsequenten Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften durch den Staat. Die immer noch durch das alte, überkommene Denken erfolgende Ungleichbehandlung all derjenigen Religionen, die sich nicht in die Rechtsform einer Körperschaft fassen lassen (mögen), prangert Schüller völlig zu Recht an. Hier wird man innovativ denken müssen, um den Anforderungen des Grundgesetzes endlich gerecht zu werden. Die religiöse Pluralität und Diversität der Träger der Religionen müssen von staatlicher Seite wahrgenommen und für sein Handeln Leitlinie werden – und das ist, so Schüller, auch im Sinne der Kirchen geboten. Er warnt dabei zu Recht davor, einen Kahlschlag zu riskieren, also vor der Gefahr, dass es bei einem unkritischen „Weiter so“ irgendwann zu einem radikalen Bruch zwischen beiden Akteuren kommen könnte. Stattdessen plädiert er mit guten Gründen dafür, einen Transformationsprozess in Gang zu setzen, um hier und da vorhandene kirchliche Monostrukturen vor allem im sozialen Sektor abzulösen. Beide Seiten, Staat wie Kirchen, müssen insofern ein Interesse daran haben, ihr Verhältnis zueinander neu und unabhängiger voneinander zu justieren. Dem kann man ohne Einschränkung zustimmen.

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Foto: RUB Marquardt

Jacob Joussen

Jacob Joussen ist Professor für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der Ruhr-Universität Bochum.


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