Bitterkraut als Süßspeise
Die Erklärung zur Segnung homosexueller Paare der Glaubenskongregation in Rom hat viel Resonanz erzeugt. Horst Gorski, bis Sommer EKD-Vizepräsident und Chef des Amtsbereichs der VELKD in Hannover, hat sich die Erklärung mit dem Blick „eines evangelischen Christen (…) und eines schwulen Theologen“ nochmal genauer angeschaut.
Ein bemerkenswerter Vorgang ist es allemal: Am 18. Dezember 2023, vor genau zehn Tagen, veröffentlichte der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Victor Manuel Fernández, mit Zustimmung von Papst Franziskus eine Erklärung „über die pastorale Sinngebung von Segnungen“, in der vorsichtig eine Öffnung der Segnungspraxis für „Paare in irregulären Situationen und gleichgeschlechtliche Paare“ zugestanden wird .
Bemerkenswert ist dies zunächst deshalb, weil Fernández‘ Vorgänger, Kardinal Luis Francisco Ladaria, keine drei Jahre zuvor, am 22. Februar 2021 und ebenfalls mit Zustimmung von Papst Franziskus, in einem „Responsum ad dubium“ auf die Frage einiger Kardinäle „Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen?“ mit einem klipp und klaren „Nein“ geantwortet hatte. Man kann annehmen, dass dies als Ende der Debatte gemeint war. Zwar hatte die Glaubenskongregation auch damals differenziert: „Die Antwort auf das vorgelegte Dubium schließt nicht aus, dass Segnungen einzelnen Personen mit homosexueller Neigung gespendet werden, die den Willen bekunden, in Treue zu den geoffenbarten Plänen Gottes zu leben, wie sie in der kirchlichen Lehre vorgelegt werden; sie erklärt jedoch jede Segnungsform für unzulässig, die dazu neigt, ihre Verbindungen anzuerkennen.“ Damit klargestellt, dass nicht nur liturgisch-ritualisierte Segnungen, sondern überhaupt Segnungen von Paaren ausgeschlossen seien.
Teile der Weltkirche waren damit zufrieden, in anderen Teilen, auch in Deutschland, gab es jedoch Widerspruch und ging die Debatte weiter. Zudem machte Papst Franziskus selbst immer wieder Bemerkungen, die offen ließen, ob er bei diesem Thema noch Spielraum sieht.
Diplomatischer Affront
Dies provozierte die Kardinäle Walter Brandmüller (Deutschland) und Raymond Burke (USA) zu neuen „dubia“ an den Papst. „Dubia“, zu Deutsch „Zweifel“, sind direkte Anfragen an den Papst. Hier waren sie als Kritik an Äußerungen gemeint, die den ultrakonservativen Kardinälen nicht klar genug schienen. Direkte Antworten von Päpsten auf „dubia“ sind nicht üblich. In diesem Falle jedoch antwortete Franziskus schon einen Tag später, am 11. Juli 2023, und zwar ausführlich. Zwar verneinte er die Frage, ob die Offenbarungswahrheiten der Kirche veränderbar seien, er wies am Beispiel der Sklavenhaltung und der Rolle der Frau jedoch darauf hin, dass die Kirche im Verständnis ihrer unveränderbaren Lehre „wachsen“ und kulturelle Veränderungen als Anregung nehmen müsse, „bestimmte Aspekte ihres überfließenden Reichtums besser zum Ausdruck zu bringen“.
Mit den Antworten waren die beiden Kardinäle nicht zufrieden. Gemeinsam mit weiteren Kardinälen veröffentlichten sie am 2. Oktober 2023, vor Beginn der Weltsynode, erneut ihre „dubia“. Vor allem die Segnung von homosexuellen Paaren und die Priesterweihe für Frauen wollten sie klargestellt haben. Dabei beriefen sie sich auf das übliche Prozedere, nach dem auf die Fragen nur mit Ja oder Nein geantwortet wird. Diesen Antworten folgen in der Regel Erläuterungen. Franziskus hatte im Juli jedoch nur Erläuterungen gegeben, ohne Ja oder Nein zu sagen. Auf diese erneuten „dubia“ reagierte der Papst nicht.
Dass gute zwei Monate später eine Erklärung „über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ veröffentlicht wird, in der die Antworten des Papstes vom Juli ausführlich rezipiert werden, muss man wohl als diplomatischen Affront für die beiden Kardinäle und das hinter ihnen stehende ultrakonservative Lager in der katholischen Kirche verstehen. In seiner „Präsentation“, einer Art Anschreiben, die der eigentlichen Erklärung vorausgeht, weist Kardinal Fernández darauf hin, dass „die Römische Kurie in erster Linie ein Instrument des Dienstes am Nachfolger Petri ist“. Dieser an sich überflüssige Hinweis ist offenbar ein Fingerzeig, wem die Loyalität der Glaubenskongregation gilt.
Absteigender und aufsteigender Segen
Fernández war schon länger einer der engsten Vertrauten des Papstes und wurde anlässlich seiner Ernennung von konservativen Kreisen wegen seiner liberalen Moralvorstellung attackiert. Der Papst schrieb ihm zur Ernennung als Präfekt der Glaubenskongregation in einem Brief: Die Glaubenskongregation sei dazu da, „über die Lehre zu wachen, die sich aus dem Glauben ergibt, um Grund für unsere Hoffnung zu geben, aber nicht als Feinde, die auf andere zeigen und sie verurteilen.“ Vor diesem Hintergrund kann man annehmen, dass es der ausdrückliche Wunsch des Papstes war, von dem neuen Präfekten die Äußerung von dessen Vorgänger korrigieren zu lassen. Freilich diplomatisch.
Eines gilt unangefochten: Die Ehe ist ein Sakrament, das laut göttlicher Offenbarung nur Mann und Frau offensteht. Papst Franziskus hatte jedoch in seiner Antwort vom Juli pastorale Argumente für die Öffnung des Segensverständnisses ins Spiel gebracht. Wörtlich: Wir dürften „keine Richter sein, die nur verneinen, ablehnen und ausgrenzen“. „Dementsprechend muss die pastorale Klugheit richtig einschätzen, ob es Formen der Segnung gibt, die von einer oder mehreren Personen erbeten werden und die nicht eine falsche Vorstellung von der Ehe vermitteln.“ Allerdings dürften solche Segnungen nicht ritualisiert und zur Norm erhoben werden. Um nicht in Kasuistik zu verfallen, dürften Bischofskonferenzen oder Bischöfe für ihre Diözesen keine liturgischen Formulare erlassen.
Die Erklärung der Glaubenskongregation vom 18. Dezember 2023 rezipiert diese Äußerungen des Papstes ausdrücklich. Um die spezielle Art und Weise des Segens zu beschreiben, die für „Paare in irregulären Situationen und gleichgeschlechtliche Paare“ in Frage kommen kann, wird zwischen einem „absteigenden“ und einem „aufsteigenden“ Segen unterschieden. Der absteigende Segen wird von Gott durch seine Kirche erteilt. Der aufsteigende Segen ist der Dank und Lobpreis der Gläubigen an Gott. Wenn nun ein Paar in besagter Situation Gott dankt und ihn lobt, dann „könnten Klugheit und pastorale Weisheit – unter Ausschluss schwerer Formen des Skandals oder der Verwirrung unter den Gläubigen – es nahelegen, dass der Priester oder ein anderer Amtsträger der Kirche sich dem Gebet dieser Personen anschließt, die, obwohl sie sich in einer Verbindung befinden, die in keiner Weise mit der Ehe verglichen werden kann, sich dem Herrn und seiner Barmherzigkeit anvertrauen, seine Hilfe erflehen und zu einem besseren Verständnis seines Plans der Liebe und der Wahrheit geführt werden wollen.“ In solchen Fällen könnte sogar ein „herabsteigender“ Segen gespendet werden, sofern die betreffenden Personen damit keine Anerkennung ihres Status verbinden.
Kunstvolle Sprache der Diplomatie
Die Kernaussagen der Erklärung sind: 1. Die Ehe ist nach Gottes Plan ausschließlich Mann und Frau vorbehalten. Es darf nichts geschehen, das diese unveränderbare Tatsache unklar werden lässt und das Volk Gottes verwirren könnte. Sexualität ist nur innerhalb der Ehe sittlich legitim. / 2. Gleichgeschlechtliche (auch wiederverheiratete) Paare leben in Sünde. Ihr Verhalten verstößt gegen Gottes Plan und ist sittlich nicht legitim. / 3. Segnungen sind möglich als Anteilnehmen eines Priesters oder eines anderen kirchlichen Amtsträgers am Dank- und Lobgebet des Paares. Auf diese Weise fällt auch etwas vom herabsteigenden Segen, den die Kirche austeilt, auf dieses Paar. / 4. Es darf kein Anschein von Anerkennung des Status des Paares oder des Entstehens einer Norm erweckt werden. / 5. Es ist unzulässig, Segnungen im Gottesdienst durchzuführen oder liturgische Formulare zu ihrer Durchführung zu entwickeln. Bestenfalls werden Segnungen spontan erbeten oder geschehen bei Gelegenheit einer Wallfahrt oder anderer frommer Andachtsübungen.
Es ist die kunstvolle Sprache der vatikanischen Diplomatie, in der diese Inhalte dargeboten werden. Da es diplomatisch auf jedes Wort ankommt, birgt eine Zusammenfassung die Gefahr der Verfälschung. Andererseits macht die Übertragung in unsere normale Schriftsprache die Inhalte deutlicher. Allerdings, wenn man die Argumente ihrer sprachlichen Verzierung entkleidet, wirken sie ähnlich traurig wie ein Tannenbaum nach dem Abschmücken.
Wahrscheinlich ist es die Pointe vatikanischer Diplomatie, dass man am Ende nicht weiß, wer sich mehr zu ärgern hat. Diejenigen, die hofften, mit dem Responsum von 2021 sei das letzte und endgültige Wort gesprochen. Oder diejenigen, die auf Anerkennung und nicht nur pastorale Herablassung gehofft hatten. Der kleine Schritt der Öffnung wird teuer erkauft mit der abermaligen Feststellung, dass gleichgeschlechtliche Paare in Sünde leben. Aus Sicht eines evangelischen Christen wirkt der Duktus insgesamt herablassend, was durch seine pastoralen Töne nicht besser, sondern eher unangenehmer wird. Der Text klingt, als werde ein Bitterkraut als Süßspeise angeboten.
„Gesten des tiefen Vertrauens“
In seinem Anschreiben nennt der Präfekt mit Bezug auf die Anfangsworte der Erklärung „fiducia supplicans“ – „flehendes Vertrauen“ die Erklärung ein „Geschenk an das gläubige Volk Gottes …, das den Herrn mit so vielen Gesten des tiefen Vertrauens in seine Barmherzigkeit anbetet und mit dieser Haltung immer wieder die Mutter Kirche um den Segen bittet.“
Mein Blick ist nicht nur der eines evangelischen Christen, sondern zudem der eines schwulen Theologen. Von daher ergibt sich ein engagiertes Interesse an der Situation auch in der römisch-katholischen Kirche. Im Rahmen der evangelischen Kirche in Deutschland wurde in den letzten 40 Jahren ein weiter und konfliktreicher Weg beschritten. Einfach war es auch dort nicht. Und manche Themen ähneln sich. Dass Segnungen nicht mit einer Eheschließung verwechselbar sein dürften, galt bis 2017 in den meisten Landeskirchen als selbstverständlich. Erst die Gesetzesnovelle durch den Bundestag im Juni 2017 hat bewirkt, dass heute in fast allen Landeskirchen zwischen Segnung und Trauung nicht mehr unterschieden wird. Übrigens gab es hier und da auch den Ton pastoraler Herablassung. Wenn zumeist auch nicht so kunstvoll formuliert.
Der Blick auf die römisch-katholische Kirche setzt als Vergleich aber nicht die deutsche Situation voraus, sondern die globale. Als Lutheraner denke ich dabei an den Lutherischen Weltbund. Er tut sich mit der Lebensformenthematik seit Jahren extrem schwer. Statt einer Annäherung ist eine zunehmende Entfernung der Positionen zu erkennen. Dabei entspricht die Theologie im Wesentlichen den kulturellen Traditionen am jeweiligen Ort. Besonders die afrikanischen, die asiatischen und einige US-amerikanische Kirchen lehnen Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare ab.
Heikle Situation in Afrika
Erst kürzlich nahm ich an einer Tagung zu LGBTQ+ mit Vertretern afrikanischer Kirchen teil. Ein Gespräch scheint derzeit kaum möglich. Nur mit Schmerz waren die Berichte schwuler Theologen aus Afrika über ihre heikle Situation zu hören. Etliche lutherische Kirchen in Afrika bestärken die Regierungen ihrer Länder sogar in dem Bestreben, die Gesetzgebung gegenüber Homosexualität zu verschärfen. Zwischen den Kirchen gerät die Auseinandersetzung in die Meta-Debatte über den Postkolonialismus. Die Erwartung der deutschen und anderer Kirchen, die afrikanischen Kirchen müssten sich öffnen, wird als neue Form des Kolonialismus zurückgewiesen. Demgegenüber kann es sogar charmant wirken, dass eine Weltkirche mit Berufung auf eine über-kulturelle, ewig unveränderbare Lehre gewissermaßen einen archimedischen Punkt außerhalb aller Debatten hat. Oder zu haben meint. Denn dass auch die römische Weltkirche von der Postkolonialismus-Debatte eingeholt wird, zeigt die Tatsache, dass unmittelbar nach Erscheinen der vatikanischen Erklärung einige Bischofskonferenzen oder Diözesen in Afrika und Asien für ihren Bereich die vom Vatikan zugelassene Form der Segnung verboten haben.
Ein persönliches Wort zum Schluss: Je älter ich werde und je länger ich mich mit der Lebensformenthematik beschäftige, desto absurder kommt mir die Diskussion vor. Ich sehe mich als liberalen Theologen, bin aber durchaus der Meinung, dass wir Gott nicht zum „lieben Gott“ verharmlosen dürfen. Wir haben auch von Gottes Zorn zu reden. Wenn ich mir vor dem Horizont des Evangeliums versuche vorzustellen, worüber Gott zornig sein könnte, dann darüber, dass Menschen Menschen töten, als Geiseln nehmen, foltern, aus ihrer Heimat vertreiben, verdursten, verhungern oder ertrinken lassen. Aber dass Gott darüber zornig sein sollte, dass Menschen Menschen lieben – wie absurd!
Horst Gorski
Dr. Horst Gorski ist Theologe und war unter anderem von 2015 bis Juli 2023 theologischer Vizepräsident der EKD und Leiter des Amtsbereiches der VELKD in Hannover.