Der Maschine vertrauen

Ohne Glauben geht es nicht. Aber dazu brauchen wir Transparenz
Foto: privat

Das theologische Buch des Jahres stammt für mich nicht von einem Pfarrer oder einer Theologin, sondern von einem säkularen Autor, nämlich Sascha Lobo. Das aktuelle Buch des Internet-Erklärers heißt „Die große Vertrauenskrise“ und erklärt, warum wir nicht mehr glauben. Bekanntlich sind „Glauben“ und „Vertrauen“ im Griechischen ja dasselbe Wort: „pistis“.

Dass das Wort „pistis“ in den Texten des Neuen Testaments mit „Glauben“ übersetzt wurde, ist vielleicht eines der größten Missverständnisse in der christlichen Kommunikation. Im heutigen Alltagsverständnis bedeutet „glauben“ so viel wie „für wahr halten“. Wenn Menschen aufgefordert werden, etwas „zu glauben“ denken sie, sie sollen etwas Unbewiesenes für wahr halten, zum Beispiel die Existenz eines Wesens namens „Gott“. Die meisten Theolog*innen wissen zwar, dass mit „pistis“ etwas anderes gemeint ist, leider behalten sie das aber oft für sich und reden weiterhin einfach vom „Glauben“. Nach dem Motto „never change a losing team“.

Unerlässliches Vertrauen

Das, was Sascha Lobo meint, wenn er über Vertrauen schreibt, kommt der eigentlichen Bedeutung von „pistis“ hingegen ziemlich nahe. Bei der von ihm diagnostizierten Vertrauens- beziehungsweise Glaubenskrise geht um eine gesellschaftliche Grundhaltung, in der immer mehr Menschen der Welt mit Misstrauen begegnen. Das konkrete Misstrauen gegenüber Vertreter*innen von Politik, Wissenschaft und Medien ist nur ein Teil davon. Hinzu kommt das generelle Fehlen von Zuversicht und der Erwartung, dass das Leben einen Sinn ergibt und die Dinge sich schließlich zum Guten wenden (können).

Ein solches Vertrauen ist aber unerlässlich für das Funktionieren der Gesellschaft. Es ist besorgniserregend, dass es schwindet. Laut dem Meinungsforschungsinstitut Allensbach ist das Vertrauen der Deutschen in die Zukunft seit 1990 drastisch gesunken, von 68 Prozent auf nur noch 19 Prozent. Dieser Vertrauensverlust ist nicht nur auf aktuelle globale Krisen zurückzuführen, sondern besteht schon länger. Verschwörungsmythen und ein generelles Misstrauen gegenüber „denen da oben“ machen konstruktives und pragmatisches Handeln inzwischen nahezu unmöglich.

Veränderte Grundlage

Woher kommt der grassierende Vertrauensverlust und was können wir dagegen tun? Laut Sascha Lobo hat das Problem strukturelle Ursachen, die auch mit den Veränderungen durch das Internet zusammenhängen. Hier liegt ein weiteres theologisches Missverständnis, dem die zur öffentlichen Verkündigung Beauftragten nicht entschieden und vernehmlich genug entgegentreten: Religiöser Glaube wird von vielen als individuelle Angelegenheit und persönliche Entscheidung verstanden. Glaube im Sinne von „pistis“ ist aber nur in Gemeinschaft möglich, auch wenn Einzelne Gemeinschaften natürlich prägen und gestalten können.

Sascha Lobos Buch hilft dabei, zu verstehen, wie Vertrauen funktioniert und warum sich heute die Grundlagen dafür verändert haben. Das, was er als „das alte Vertrauen“ bezeichnet, basierte auf Instanzen, Autoritäten und Institutionen, die über Informationen verfügten, die der breiten Masse der Menschen nicht verfügbar waren und auch rein technisch gar nicht sein konnten. Vor dem Internet blieb den Menschen gar nichts anderes übrig, als den Verantwortungsträgern zu vertrauen, jedenfalls im Großen und Ganzen.

Beweislast umgekehrt

Heutzutage kann im Prinzip alles transparent gemacht werden. Das hat die Beweislast umgekehrt. Wenn Informationen nicht öffentlich verfügbar sind, stellt unweigerlich jemand die Frage: Warum nicht? Was soll hier verheimlicht werden?

Lobo argumentiert nun, dass „neues Vertrauen“ nur auf der Grundlage von Transparenz entstehen kann. Das betrifft politische Institutionen, Universitäten, Medien und andere gesellschaftliche Instanzen genauso wie die Kirche (über die Lobo allerdings nicht schreibt). Ansprechbarkeit, niedrige Zugangshürden und die Bereitschaft, Prozesse und Entscheidungsgrundlagen transparent und leicht verständlich zu machen, sind laut Lobo die entscheidenden Faktoren, damit „neues Vertrauen“ entstehen kann.

Aber birgt das Internet nicht auch viele Gefahren? Müssten wir es nicht viel stärker kontrollieren? Was ist mit der russischen Troll-Propaganda oder einer unkontrollierten „Künstlichen Intelligenz“? Lobo nimmt solche Bedenken ernst. Viele dieser Befürchtungen sind nur allzu berechtigt. Warum? Auch das erfährt und versteht man bei der Lektüre des Buches. Lobo vermittelt auf unterhaltsame Weise ein besseres Verständnis für die neuesten Entwicklungen der Internettechnologie und ihre Folgen.

Mit der Technologie handeln

Doch selbst wenn die Gefahren real sind, lautete sein Appell: Wir müssen mit der Technologie handeln und nicht gegen sie. Ohne Vertrauen geht es nicht. Das „Maschinenvertrauen“, schreibt Lobo, entstehe „letztlich wie das gar nicht so unähnliche Gottvertrauen aus einer Mischung aus Selbstvertrauen, Wissen und Hoffen oder Glauben.“ Am Ende bleibt die Erkenntnis: Die Welt ist zu komplex für uns Menschen. Sie enthält immer Unwägbarkeiten, Unvorhersehbares, und wir müssen damit zurechtkommen, dass wir auf Dinge existenziell angewiesen sind, die wir nicht unter Kontrolle haben.

Genau das aber ist das Thema von Religion. Fromm sein bedeutet, auch angesichts einer so schwierigen Lage nicht zum Menschenfeind oder zur Egoistin zu werden, sondern nach besten Kräften daran mitzuwirken, dass die Welt ein lebenswerter Ort für alle sein kann.

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