Essen für jeden Tag

Im Südosten Afrikas sorgt ein ganzheitlicher landwirtschaftlicher Ansatz für Ernährung
Malawi
Foto: Jörg Böthling

Im afrikanischen Malawi will die Organisation Scope ein großes Problem bekämpfen: Hunger. Mit Hilfe von Permakultur ermöglicht sie den Menschen, das Beste aus ihrem Boden herauszuholen und regelmäßig frisches Obst und Gemüse zu ernten. Ein Besuch der Journalisten Sara Mously und Jörg Böthling.

Fest umklammern seine Finger den Griff, die Hacke saust hinab. Rötlich-braune Erde bricht, Staub steigt auf, Chimwemwe holt aus zum nächsten Hieb. 

Chimwemwe ist 13 Jahre alt. Er hat feine Gesichtszüge, ist zart für sein Alter. Wie die zehn anderen Kinder und Jugendlichen, mit denen er heute zusammenarbeitet, hat er kurz geschorene Haare, seine Füße stecken in Plastiksandalen. Die Jungen und Mädchen gehören zum „Permakultur-Club“ an der Schule von Mantchewe, einem Dorf im bergigen Rumphi District im Norden Malawis.

Malawi
Foto: Jörg Böthling
 

Es ist ungewöhnlich heiß an diesem Freitagnachmittag. Alle warten auf das Ende der Trockenzeit, auf „Chizimyalupsa“, den „Regen, der die Spuren des Feuers entfernt“. Doch noch brennt die Sonne vom Himmel. Konzentriert arbeiten Chimwemwe und die anderen, sie erneuern Gräben, die quer zu dem Abhang hinter ihrer Schule verlaufen. Damit das Regenwasser, wenn es kommt, nicht ungebremst den Hang hinabstürzt, damit es nicht die sorgfältig angelegten Wege und Beete zerstört. Damit sie es umleiten und auffangen können, nutzbar machen für ihre Bäume und Gärten.

Malawi
Foto: Jörg Böthling

 

Die Kinder des Permakultur-Clubs holen sich ihren Boden zurück. Das ist dringend nötig in Malawi, im Südosten Afrikas zwischen Sambia, Tansania und Mosambik. Zwanzig Millionen Menschen leben dort, rund achtzig Prozent auf dem Land. Die Hälfte der Bevölkerung führt ein Leben unterhalb der Armutsgrenze, ist abhängig vom Boden und seinen Erträgen. Umso heftiger trifft sie die Klimakrise, die ihnen immer extremere Wetterphänomene beschert: Dürren ziehen sich in die Länge, Regenfälle fallen immer heftiger aus.

Malawi
Foto: Jörg Böthling

 

Laut Welthungerindex ist die Ernährungssituation in Malawi ernst: 17 Prozent der Kinder sind unterernährt, bei vierzig Prozent werden Wachstumsverzögerungen festgestellt. Viele Familien müssen ihr Getreide zum Ende der Trockenperiode rationieren und Mahlzeiten ausfallen lassen, es gibt ein Wort für diese Zeit des Jahres: „hunger season“, Hungersaison.

Die Not der Menschen rief Saatgutkonzerne auf den Plan. Unterstützt durch Regierungsprogramme verkaufen sie der Bevölkerung hybride Maissorten, preisen sie als besonders ertragreich an. Maisbrei, in Malawi Nsima genannt, stieg auf zum Hauptnahrungsmittel – und brachte neue Probleme. Nicht nur enthält der Brei weniger Nährstoffe als viele gesunde, traditionelle Feldfrüchte wie Sorghumhirse. Der Mais treibt die Kleinbauern weiter in die Armut. Denn er benötigt Düngemittel und muss jährlich neu gekauft werden – selbst geerntete Samen taugen nicht für den Anbau.

Hauptnahrungsmittel Maisbrei

„So kann es nicht weitergehen“, sagt Chifundo Khokwa energisch. „Der Staat sollte das Wohl der Menschen im Blick haben, nicht die Profite der Unternehmen.“ Doch statt auf ein Umdenken der Regierung zu warten, wird die 36-jährige Agrarwissenschaftlerin lieber selbst aktiv: Als Leiterin der Nichtregierungsorganisation (Non-Governmental Organisation/NGO) Scope Malawi.

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Scope, Schools and Colleges Permaculture Programmes, wurde im Jahr 2007 gegründet: Nach dem Vorbild der gleichnamigen NGO in Simbabwe, die dort seit 1994 arbeitet. Inzwischen gibt es Ableger in Sambia, Kenia und Uganda. Ihr Ziel ist es, Menschen unter schwierigen Bedingungen den Anbau vielfältiger Lebensmittel zu ermöglichen. Als ganzheitlicher landwirtschaftlicher Ansatz werden die Prinzipien der Permakultur genutzt. Den Kontakt zur Bevölkerung sucht Scope über die Schulen: „Dort erreichen wir zwei Generationen auf einmal: Kinder und ihre Eltern“, erklärt Chefin Khokwa. „Außerdem gibt es dort Platz, um zu demonstrieren, wie schön und einfach es ist, frisches Obst und Gemüse wachsen zu sehen, es zu ernten und schließlich in den Händen zu halten.“ Fünfzig Schulkooperationen hat Scope inzwischen in ganz Malawi, vierzig davon finanziert durch Brot für die Welt.

Malawi
Foto: Jörg Böthling

 

Im Jahr 2012 begann die Partnerschaft mit der Mantchewe Primary School, die, wie alle malawischen Grundschulen, acht Jahrgänge umfasst. Hier besucht Chimwemwe, der Junge mit der Hacke, die fünfte Klasse. Rund um die vier langgezogenen Ziegelbauten, die die Klassenräume beherbergen, sah es zu Beginn des Projekts trostlos aus: Der Hof bestand aus trockener, festgetretener Erde, außer eine Handvoll Bäume wuchs dort nichts. Nun wechseln sich gepflegte Beete ab mit Flächen, auf denen die Jungs in der Pause Fußball spielen und die Mädchen Netball, eine Basketball-Variante. Pinien spenden Schatten, am Rand des Schulhofs gedeihen Mangos, Bananen und Masukus, auch Zuckerpflaumen genannt, im Gemüsegarten wachsen Salat und Chinakohl, Auberginen, Tomaten und Zitronengras. Neben den Abflussgräben, die die Kinder aus dem Permakultur-Club an diesem Nachmittag erneuern, gibt es dank Scope noch ein zweites Wasserprojekt; Über das Dach eines der Schulgebäude wird Regenwasser in einen zehntausend Liter fassenden Tank geleitet. Ein zweiter, 55 000 Liter großer Tank, wird gerade fertiggebaut.

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Foto: Jörg Böthling

 

Startet eine Schule neu im Programm, werden erst einige der Lehrkräfte trainiert. Sie lernen das Permakultur-Konzept kennen, das in den 1970er-Jahren in Australien entwickelt wurde und sich an den Wirkmechanismen der Natur orientiert, indem man natürliche Dünger und Pestizide herstellt, ausgelaugte Böden reanimiert sowie Regenwasser durch Gruben und Grabensysteme versickern lässt, um den Grundwasserspiegel zu erhöhen. Zum Wissensschatz der Permakultur gehört auch, dass Pflanzen in gemischten Beeten besser gedeihen als voneinander getrennt, und wie sich der Boden durch Mulchen schützen lässt.

Wissen an die Eltern

Die so ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer bauen an ihrer Schule den Permakultur-Club auf, parallel dazu geben sie ihr Wissen an die Eltern der Kinder weiter. Gemeinsam legen sie Schulgärten an, säen, pflanzen, gießen. Sie kümmern sich um die Baumschule, in der im Schatten eines luftigen Gazedachs Pinien- Kaffee- und Mangosetzlinge wachsen. Daneben verbreitet der Bokashi-Komposthaufen einen süß- säuerlichen Duft: ein raffiniertes Gemisch aus Blättern und Gras, Tierdung, Erde, Kohle, Maiskleie und Asche, das mithilfe von Wasser, Zucker und Hefe zum Fermentieren gebracht wird. Drei Wochen lang wenden Chimweme und die anderen den Kompost täglich mit einem Spaten, bis der so entstandene Dünger fertig ist.Es ist ein reiches Wissen, das die Kinder und Eltern von Mantchewe vermittelt bekommen, und es dient vor allem einem Zweck: Dass die Menschen es mit nach Hause nehmen. 

Malawi
Foto: Jörg Böthling

 

Die Sonne färbt die unbefestigte Dorfstraße rot, Chimwemwe schultert seine Hacke und macht sich auf dem Heimweg. In der Ferne steigt das Land an zum mächtigen Nyika-Plateau im Westen. Der Geruch von Holzfeuer verbreitet sich im Dorf. Er lebt zusammen mit seiner Mutter, seiner jüngeren Schwester Agnes und seiner Oma in einem schlichten, mit Blech gedeckten Haus. Ellen Mhango heißt die Mutter, sie ist 53 Jahre alt, hat fünf Kinder, und drei Enkelinnen. Ihr Mann ist vor vielen Jahren an einem Hirntumor gestorben. Sie muss sich, die jüngeren Kinder und ihre 86-jährige Mutter von dem wenigen Geld durchbringen, das sie als Pflegehelferin verdient.

Als Scope in ihr Dorf kam, ergriff sie ihre Chance. Sie absolvierte die Schulung und machte sich daran, das Grundstück rund um ihr Haus in ein Paradies zu verwandeln. Sie pflanzte Mango-, Orangen-, Avocado,- und Macadamiabäume. Sie legte Beete an, in denen Süßkartoffeln, Chili- und Kaffeepflanzen wachsen. Auch ihre Kinder helfen mit. Vor allem Chimwemwe. „Stolz bin ich vor allem auf das Kürbisbeet“, sagt er. Das hat er selbst angelegt, er gießt es jeden Morgen und jeden Abend. 

Lokale Samen

„Wir leben jetzt viel gesünder als früher“, sagt Mhango, „und teuren Dünger spare ich mir auch.“ Routiniert schiebt sie auf dem Fußboden der offenen Küche ein wenig Stroh und Reisig zusammen und entfacht ein kleines Feuer. Neben dem Haus sitzt ihre Mutter am Boden. Sie hat Erdnüsse geknackt, nun zerstößt sie die Kerne in einem Mörser. Hin und wieder könne sie sogar einen Teil ihrer Erträge verkaufen, sagt Mhango, und etwas Geld zur Seite legen. Sie erzählt, wie sie vor Jahren auf einen falschen Berater hereinfiel und auf eine der modernen Maissorten umstellte, die sie jährlich neu kaufen müsse. „Aber ich habe jetzt bei einer Nachbarin lokale Samen entdeckt“, sagt sie und lächelt. „Ich werde ihr etwas abkaufen und es in der nächsten Saison aussäen.“ Nach und nach möchte sie immer mehr investieren. Als nächstes will sie Hühner kaufen, Enten und Ziegen.

Malawi
Foto: Jörg Böthling

 

Aber jetzt ist erstmal das Essen fertig: Usipas, sardellenartige Fische aus dem nahe gelegenen Malawisee, dazu Nsima und gekochte Kürbisblätter. Agnes holt einen Holzschemel herbei, die anderen nehmen Platz auf einer kleinen Mauer. Schweigend essen sie, während das Tageslicht schwindet. Ein Windzug raschelt durch die Blätter einer Bananenstaude. Sie werden noch etwas zusammensitzen, im Dunklen, unter den Sternen. Strom kann sich die Familie nicht leisten. Aber Frühstück, das wissen sie, wird es morgen wieder geben. 

 

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Jörg Böthling

Jörg Böthling begann 1985 als Seemann auf Fahrten nach Afrika und Asien zu fotografieren. Er studierte Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und arbeitet als Freelancer. 


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