Dialogräume öffnen

Wie der erbitterte Streit um Achille Mbembe und Felix Klein vielleicht doch noch produktiv werden kann
Der kamerunische Politikwissenschaftler Achille Mbembe
Foto: dpa/Daniel Bockwoldt
Der kamerunische Politikwissenschaftler Achille Mbembe

Bei der globalen Debatte um den kamerunischen Politikwissenschaftler Achille Mbembe und den Antisemitismusbeauftragen der Bundesregierung, Felix Klein, überlappen sich zwei der wichtigsten  Narrative der Gegenwart: der Holocaust und der Kolonialismus. Das macht die Diskussion so hart –  könnte aber auch zu wichtigen neuen Erkenntnissen führen, meint die Theologin und Co-Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, Ellen Ueberschär.

Seit zwei Jahren hat die Bundesregierung einen Antisemitismusbeauftragten. Immer wieder ergreift der Diplomat und Jurist Felix Klein zu Themen das Wort, die sich für den öffentlichen Diskurs nicht angenehm anfühlen: das Kippa-Tragen in der Öffentlichkeit zum Beispiel oder dass der 8. Mai als Tag der Befreiung ein Feiertag sein sollte und jüngst, dass manche postkoloniale Theorien mit der deutschen Erinnerungskultur kollidieren.

Es gibt von den mehr als dreißig Beauftragungen, die die Bundesregierung erteilt hat, keine, der eine ähnlich schmerzhafte, ähnlich heikle Mission aufgetragen ist. Egal zu welchem Thema, Felix Kleins Äußerungen treten gesellschaftliche Debatten los. Er waltet seines Amtes, könnte man sagen. Genau darum geht es: Argumentationsmuster offen zu legen, antisemitische Stereotype, auch die, die Elemente des neuen Antisemitismus enthalten und kolportieren.

Aber keine andere Debatte hat bisher die Dimension seiner Kritik am geplanten Auftritt des kamerunischen Politikwissenschaftlers Achille Mbembe als Festredner der Ruhrtriennale erreicht. Die Veranstaltung ist wegen Corona abgesagt, aber die Debatte um Felix Klein ist eskaliert. Israelis und jüdische Intellektuelle forderten in einem offenen Brief Ende April die Absetzung Kleins. Daraufhin war im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein Kommentar zu hören, der wie eine Abrechnung mit dem Amt des Antisemitismusbeauftragten an sich klang.

Keine Majestätsbeleidigung

Mit der konkreten Person mag das kaum etwas zu tun gehabt haben, wenn losgelöst von der konkreten Debatte das klassischste aller antisemitischen Argumentationsmuster – das Walten einer sogenannten Israel-Lobby – mit Mühe kaschiert wurde und davon die Rede war, dass der Regierungsbeauftragte sich eine „Strategie von Lobbygruppen zu eigen (mache), die einen entgrenzten Antisemitismus-Begriff instrumentalisieren“.

In den öffentlich-rechtlichen Medien darf jeder Regierungsbeauftragte kritisiert werden, schließlich ist das kein Fall von Majestätsbeleidigung, aber schwierig wird es, wenn Amt und Person gleichzeitig delegitimiert werden. Die Fürsprache für Mbembe, den leidenschaftlichen Kämpfer gegen den Kolonialismus und die damit verbundenen Denkfiguren, tritt bei dieser Form der Fundamentalkritik weit in den Hintergrund.

Statt des Wassers eines erkenntnis- und friedensfördernden Dialogs fließt das Rohöl einer Absetzungsforderung in ein Feuer, in dem alle verbrennen und für niemanden etwas zu gewinnen ist, solange es um eine liberale und diskriminierungsfreie Gesellschaft geht. Von den Trägerinnen des öffentlichen Diskurses wünscht man sich durchgehend eine aufklärerische Debatte, die der Gegenwartsdeutung hilfreich ist, anstatt eine Polarisierung voranzutreiben, die der Historiker Natan Sznaider in die beiden „moralischen Narrative des 20. Jahrhunderts“ gefasst hat. Das eine Narrativ sei der Holocaust, mit all den historischen Konsequenzen, die damit verbunden sind – allem voran die Gründung des Staates Israel und das notwendig darauf folgende Bekenntnis des deutschen Staates zu diesem jüdischen und demokratischen Gemeinwesen.

Das andere Narrativ aber sei, so Sznaider, der Kolonialismus und Imperialismus. Aus ihm folge der Kampf gegen den Rassismus. „Israel und die Juden“, so Sznaider, „befinden sich im Brennspiegel von beiden.“ Denn einerseits werden – insbesondere in den postkolonialen Theorien – die Juden und der Holocaust als Teil einer großen Rassismusgeschichte und als Opfer eines menschenvernichtenden Kolonialismus verstanden, auf der anderen Seite aber erscheinen die heutigen Israelis als weiße Siedler – wobei „weiß“ weniger die Hautfarbe als vielmehr die Positionierung im antikolonialen Kampf bezeichnet. „Israel“, so spitzt Sznaider zu, erscheint als „eine Siedlergesellschaft, die die eingeborene Bevölkerung unterwirft und die als Handlager des Westens gesehen wird.“

In der Debatte um Achille Mbembe und Felix Klein treffen diese beiden moralischen Narrative aufeinander. Ihre Unversöhnlichkeit hat mit der Moralität des jeweiligen Narrativs zu tun. Der Antisemitismusbeauftragte, der zugleich für die Förderung jüdischen Lebens in Deutschland verantwortlich zeichnet, erlaubte sich – obwohl er nicht alle Schriften Mbembes gründlichst durchgearbeitet hatte – Nachfragen zu bestimmten Vergleichen von Achille Mbembe auf der Linie Holocaust und Kolonialismus sowie auf der Linie Apartheid in Südafrika und israelische Besatzungspolitik. Er brachte so gewissermaßen im Namen des einen moralischen Narratives – des Holocausts – Kritik am Werk und an aktuellen Handlungen des Theoretikers Mbembe zur Sprache, die inzwischen durchaus validiert wurde. Denn im Hintergrund steht eine Entwicklung, die von der Forschung seit einiger Zeit als „Israelisierung des Antisemitismus“ beschrieben wird. Israel ist das sichtbarste Zeichen jüdischen Lebens in der Welt. So wird die einzige Demokratie im Nahen Osten zu einer Projektionsfläche für politische Kritik, hinter der sich oft genug das alte Welterklärungsmuster der Judenfeindschaft verbirgt.

Israelisierung

Für das moralische Narrativ des Kolonialismus und des Imperialismus steht Achille Mbembe wie kein zweiter. Für die große Leidenschaft seines Plädoyers, die Welt und das Denken zu dekolonisieren, hat er in Deutschland renommierte Preise erhalten. Sein aufschlussreiches Denken und seine emotionale Art zu formulieren, haben Vielen im Norden und im Westen das Empfinden und die Weltsicht derjenigen nahe gebracht, die bis heute unter den Folgen des Kolonialismus leiden. Es geht Mbembe in erster Linie um Afrika, dann aber auch um die ganze Welt – der Holocaust und die Palästinenserinnen eingeschlossen. Sein Grundansatz ist zutiefst human und daran interessiert, den „Zugang zu den Grundfesten der Zukunft“ wieder zu eröffnen.

Aber kann man wirklich den Holocaust und das Nahost-Problem zur Illustration des Kolonialismus-Narrativs heranziehen? Übersieht man damit nicht die historische Hartnäckigkeit und die Geschicklichkeit des Antisemitismus im Austausch seiner Maskeraden?

Stärkt es wirklich das Anliegen der Dekolonisierung, wenn Israel nicht als das wahrgenommen wird, als das es von Jüdinnen und Juden in aller Welt gesehen wird – als Garant ihrer Sicherheit und Freiheit?

Hinzu kommt die Frage nach einer viel tiefer liegenden, aber umso beunruhigenderen Schicht im Werk Mbembes – die nach einer möglichen Verwendung antijudaistischer Stereotype. Jehuda Bauer, Historiker und Leiter der Gedenkstätte Yad Vashem, hat immer wieder auf die theologische Verwurzelung antijüdischer Ressentiments verwiesen. Diese Tiefenschicht gilt es auch in diesem Fall näher zu beleuchten. Relativ früh in der Debatte fiel Kennern des Werkes von Mbembe auf, dass er beispielsweise auf ein Gottesbild im Alten Testament rekurriert, das einen zürnenden und strafenden Gott konstruiert, oder dass er die Talionsformel „Auge um Auge. Zahn um Zahn“ als rachsüchtiges Muster präsentiert und nicht als das, was sie im historischen Kontext war – eine Begrenzung von Rachegelüsten.

Kritische Anfragen

Nun stellt sich natürlich zu Recht die Frage, warum die Kritiker Mbembes diese Entdeckungen möglicher Antisemitismen nicht schon früher bemerkt und bemängelt haben. Schließlich liegt die Niederschrift der zitierten Sätze zum Teil mehrere Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurück. Verteidiger Mbembes, darunter auch die israelischen Intellektuellen, vermuten dahinter eine Instrumentalisierung des Antisemitismus, um öffentliche Kritik an der israelischen Politik gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern zu unterdrücken.

Vielleicht brauchte es aber auch einfach die kritischen Anfragen eines deutschen Regierungsbeauftragten, um diese globale Debatte offen zu führen. Zwar artikulieren sich ihre Protagonistinnen momentan noch nicht in offenen Dialog-räumen, sondern in Form von offenen Briefen, Protestnoten und einer heftigen medialen Debatte mit vielen gegenseitigen Unterstellungen und Ultimaten. Aber Wissenschaft und Medien sollten sich weniger als Potenziale einer Eskalation um konkurrierende moralische Narrative begreifen. Vielmehr sollten sie sich endlich daran machen, die dringend benötigten Dialogräume zu öffnen. Dann wäre der Streit um Achille Mbembe und Felix Klein ein heftiger, aber guter Auftakt für eine notwendige Diskussion über das Verhältnis postkolonialer Theoriebildung und Antisemitismus gewesen.

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