Lernen im Futur II

Versuch, einen Blick in das Danach zu erhaschen
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So ganz einfach ist es nicht, in Zeiten des Coronavirus am letzten Apriltag für die Juniausgabe von zeitzeichen zu schreiben, noch mitten im Lockdown und noch dazu aus einem nahezu menschenleeren kleinen Universitätsstädtchen in Schottland. Da muss man schon das Futur II des Deutschen zu Hilfe nehmen, mit dem wir etwas formulieren, was jetzt zukünftig ist, in der Zukunft aber einmal Vergangenheit sein wird. Was werden wir gelernt haben, wenn wir langsam aus der Phase der Ausgangssperre herauskommen, die im Juni aller Voraussicht nach noch gar nicht ganz zu Ende sein wird?

Einige Aspekte springen schon nach sechs Wochen sofort ins Auge. Wir werden alle unsere Fähigkeiten zur Kommunikation im Internet erheblich weiterentwickelt haben, sei es in beruflicher oder privater Hinsicht. Wir werden gelernt haben, mit unseren Familien und Freunden elektronisch in Kontakt zu bleiben und beruflich kompetent und versiert Sitzungen auf Online-Platt-formen durchzuführen.

Auch in unseren Kirchen werden wir gelernt haben, im Medium der virtuellen Kommunikation Gottesdienste zu feiern, Predigten zu halten, Gebete zu sprechen und in kleinen Unterstützungsgruppen, verbunden durch unsere Computer und Handys, im Gespräch und füreinander da zu sein. Da hier in Schottland die Kirchen geschlossen sind, werden wir Gottesdienste erlebt haben, in denen sich größere oder kleinere Familiengruppen in ihren jeweiligen Wohnzimmern zusammenfinden. Diese Gottesdienste leben von dem, was wir jetzt nicht haben können und auf dessen neue Ermöglichung wir warten.

Wir lernen nicht nur aus der Ausweitung unserer aktiven Kompetenzen, sondern vor allem auch aus dem Erleiden des Mangels, der in der Quarantänesituation besonders deutlich zutage tritt. Mir ist vorher nie am eigenen Leibe so deutlich geworden, wie sehr der christliche Glaube und die christliche Gemeinschaft auf die leibliche Gegenwart miteinander und füreinander angewiesen sind. Der Fundamentalsatz aus dem Johannesevangelium „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ schreibt die Bedeutung der leiblichen Präsenz in die Geburtsurkunde des Christentums hinein.

Die Kommunikation im Medium leiblicher, mit allen Sinnen erfahrbarer Gemeinschaft ist die Voraussetzung dafür, die „Gnade und Wahrheit“ des Fleisch gewordenen Gotteswortes in Jesus zu erfahren.
Nur deshalb können wir über die Bedeutung der Worte „Das ist mein Leib“ im Abendmahl trefflich streiten. Weil Gott sich in dem leiblichen, sterblichen Leben Jesu erschließt und uns durch seine Auferweckung den Weg zur Gemeinschaft mit dem ewigen Gott öffnet, wird unser leibliches Leben in Beziehung mit all seiner Verletzlichkeit und in seiner Sterblichkeit der Ort der Erfahrung der Wahrheit des Evangeliums und der Weg zum ewigen Leben. Das motiviert zum Schutz des gefährdeten sterblichen Lebens und vom Verweis auf diese leibliche Realität lebt alle virtuelle Kommunikation.

Futur II: Was werden wir gelernt haben? Ich hoffe, dass sich die Vermutung bestätigt, dass uns gerade die Wesentlichkeit dessen, worauf wir jetzt verzichten müssen, besonders klar geworden sein wird.

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Christoph Schwöbel

Dr. Christoph Schwöbel ist Professor für Systematische Theologie an der University of St Andrews, Schottland, und Herausgeber von "zeitzeichen".


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