Bad Bank

Foto: Harald Oppitz

Lebenslanges Lernen lautet die Devise in der globalisierten und digitalisierten Welt. Aber wie gehen wir mit denen um, die das nicht mehr können?

 „Sie müssen das langsam lernen!“ Die laute Stimme der Bankmitarbeiterin schreckt mich auf. Offenbar nicht nur mich. Das ganze Bankfoyer schaut jetzt zu dem Schalter, vor dem eine alte Dame steht. „Aber ich kann mir doch nicht die Zahlen merken!“ klagt die Seniorin, ihre Stimme klingt verzagt. „Die ersten beiden Zahlen gehen noch, aber dann…“ – „Sie müssen das lernen, Frau X!“ wiederholt die Bankmitarbeiterin mit strengem Ton. „Heute helfe ich Ihnen noch mal, aber das nächste Mal müssen Sie alleine klarkommen!“ Die alte Frau richtet sich auf, mobilisiert offenbar ihre letzten Kräfte. „Ich komme einmal im Monat und hebe Geld ab, können Sie mir da nicht helfen?“ - „Das geht nicht, Frau X, habe ich Ihnen doch eben noch erklärt!“ Wir Umstehenden können dann beobachten, wie die Bankmitarbeiterin mit der alten Frau zu einem Geldautomaten geht, dann sehe ich, wie die Dame mit gebeugtem Rücken die Bank verlässt. Sie wirkt beschämt.

Mein Blick fällt auf ein Werbeposter der Bank. „Freundlich und Fair“ sei die „Philosophie“ dieses Instituts. Eigentlich wollte ich gerade ein Konto eröffnen. Ich verabschiede mich umgehend von diesem Vorhaben und verlasse die Bank. Draußen merke ich, dass ich mich ebenfalls schäme. Hätte ich diese unwürdige Szene nicht unterbrechen müssen? Ich hätte mich einsetzen können für diese alte Frau, die wie ein Schulmädchen in der Grundschule vorgeführt wurde. Nur dass heute kein Lehrer oder keine Lehrerin mehr auf die Idee käme, Schüler so bloßzustellen. Sicher hat die Mitarbeiterin der Bank ihre Vorschriften, es war auch gerade viel los in der Filiale und sie gestresst, und offenbar sieht „freundlich und fair“ konzeptionell nicht vor, dass man Menschen vor einem Geldautomaten hilft. Kann es sein, dass die Mitarbeiterin Ärger bekäme, wenn sie ihre kostbare Arbeitszeit für Senioren einsetzt, die Schwierigkeiten haben, sich Geheimzahlen zu merken?

In Mathematik war ich nicht gerade eine Heldin, aber es ist nicht kompliziert auszurechnen, in wie viel Jahren ich so alt sein werde wie die Dame vor dem Schalter. Stehe ich dann auch eines Tages wie sie da und werde zusammengestaucht? „Frau Rinn, so langsam müssten Sie das mal kapiert haben!“ Und alle starren mich an und denken sich: „Warum ist diese Frau Rinn zu doof dafür, sich ihre Geheimzahl zu merken? Hat die etwa schon Demenz?“ Werde ich dann den Mut haben, mich zu wehren? Wird es jemanden geben, der sich für mich einsetzt?

Die biblischen Propheten hatten ein sehr feines Sensorium dafür, dass es die Alten und die Kleinen sind, die in einer schlecht funktionierenden Gesellschaft die ersten Leidtragenden sind. Es ist sicher ein Ausweis für die Qualität unserer sozialen Marktwirtschaft und Demokratie, wie alte Menschen in unserem Land behandelt werden und leben können. Auch wenn sie sich nicht mehr die Geheimzahl für ihr Konto merken können.  

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Foto: Harald Oppitz

Angela Rinn

Angela Rinn ist Pfarrerin und seit 2019 Professorin für Seelsorge am Theologischen Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in Herborn. Sie gehört der Synode der EKD an.


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