Faszination

Über Henning Luther

Wer schreibt, der bleibt – heißt es. Doch das stimmt nicht für alle Autorinnen und Autoren. Blickt man auf die Theologiegeschichte der vergangenen Jahrzehnte, so muss man feststellen, dass von einigen, die sehr viel geschrieben haben, ziemlich wenig geblieben zu sein scheint. Das hat damit zu tun, dass es eben nicht genügt, selbst etwas zu Papier gebracht zu haben. Andere, Jüngere, müssen dauerhaft ein Interesse daran haben, es auch zu lesen. Wer jedoch würde heute noch freiwillig die Dogmatik von – sagen wir – Wolfhart Pannenberg zur Hand nehmen? Zu Lebzeiten galt er als Welttheologe, heute ist er vergessen. Und wie steht es um seinen Antipoden Eberhard Jüngel? Als Name ist er noch präsent, aber auch mit seinen Schriften? In dieser Weise könnte man einige ehemals berühmte Namen und früher beliebte Bücher durchgehen – es wäre eine Einübung in die Endlichkeit und Vergeblichkeit menschlicher Existenz. Allerdings stößt man glücklicherweise auch auf Namen, die tatsächlich bei nachfolgenden Generationen Neugier auslösen.

Einer davon ist der Praktische Theologe Henning Luther (1947–1991). Das liegt sicherlich auch daran, dass er mit dem Titel eines Aufsatzes einen wirkmächtigen Slogan erfunden hat: „Leben als Fragment“. Das spricht auch diejenigen an, die bisher keinen seiner Texte gelesen haben. Natürlich übt sein viel zu früher Tod – und dann noch durch Aids – einen Effekt aus. Sein Leben und Schreiben ist wirklich ein Fragment gewesen und interessiert auch damit noch. Doch soll die Faszination eine gewisse Konstanz gewinnen, hilft es, Luthers Texte tatsächlich zu lesen. Nun hat der Greifswalder Praktische Theologe Tobias Braune-Krickau eine schöne und vielseitige Ausgabe von Henning Luthers wichtigsten Aufsätzen aus den 1980er-Jahren in zwei Bänden herausgegeben. Es beginnt natürlich mit „Leben als Fragment“, führt weiter über grundsätzliche Aufsätze zum Verhältnis von Religion und Identität, geht dann zu praktisch-theologischen Handlungsfeldern wie Predigt und Seelsorge, Jugendarbeit und Konfirmation über und zu Grundsatzfragen der Bildung sowie der Praktischen Theologie, berücksichtigt aber auch geistliche Arbeiten. Schon der Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass hier kein abgeschlossenes Werk vorliegt, aber Grundlinien ausgezogen werden, die bedeutend bleiben.

Zur bleibenden Faszination von Luthers Aufsätzen trägt seine Sprache bei. Sie ist klar, präzise, nie überkompliziert-akademisch, abstrakt-vorsichtig. Man merkt ihr an, dass es dem Autor um etwas geht, nämlich um die existentielle Bedeutung der christlichen Religion. Theorie beziehungsweise Theologie ist bei ihm ein „Lebenselement“, ein „Medium existentieller Nachdenklichkeit“, wie der Herausgeber schreibt. Manchmal zeigt sich dies schon in den Überschriften: „Die Lügen des Trostes“ oder „Schmerz und Sehnsucht“. Eindrücklich ist sein mit Ursula Baltz verfasster Aufsatz „Von der Angewiesenheit des Theologen auf literarische Kultur“. Gegenüber einer entfremdeten universitären Sprache plädiert Luther dafür, Literatur in der Lehre als „Anwalt der Subjektivität“ einzusetzen, allerdings ohne sie zu vereinnahmen. Ihn reizen literarische Texte, die von theologischer Bedeutung sind, ohne dass sie selbst Theologie wären. Sie können für die Theologen zur Sprachschule werden. Denn: „Das Poetische erweist sich als die Kategorie, mit deren Hilfe Zeiten überbrückt werden können“; deshalb ist die „Predigt, das Reden vom Glauben, nicht möglich, wenn auf poetische Sprache verzichtet wird.“ Schade nur und kaum zu verstehen, dass Henning Luther mit seinen Aufsätzen stets im Rahmen des Kirchlich-Theologischen verblieben ist. Eigentlich hätte er darüber hinaus wirken müssen.

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Foto: EKDKultur/Schoelzel

Johann Hinrich Claussen

Johann Hinrich Claussen ist seit 2016 Kulturbeauftragter der EKD. Zuvor war er Propst und Hauptpastor in Hamburg.


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