Die fast naiv klingende Titelfrage lässt bereits erahnen, dass dieser Sammelband – erschienen angesichts zunehmend endzeitlicher Stimmungen in krisengeschüttelter Zeit – eine bunte Mixtur diverser Interpretationen des Apokalyptikbegriffs bietet. Was die meisten der 15 Beiträge, von denen übrigens lediglich ein Drittel aus der Feder theologischer Lehrstuhlinhaber stammt, am ehesten eint, ist das Bemühen, traditionelle Apokalyptik-Vorstellungen durch neue, oft philosophisch inspirierte Konzepte zu ersetzen. Man agiert dann auf liberal-theologischem Terrain, insofern sich dieses wesenhaft dadurch charakterisieren lässt, dass apokalyptisch-eschatologische Perspektiven als weltanschaulich veraltet, ja intellektuell unredlich abgetan werden. Besonders herausfordernd und einseitig illustriert das der Beitrag „Keine Endzeitvorstellungen im Neuen Testament“ von Lukas Kundert.
Vor allem in der protestantischen Theologie und Kirche hat ja eine von aller Apokalyptik abgewandte Sichtweise mittlerweile die Vorherrschaft gewonnen – auch wenn namhafte, inzwischen verstorbene Systematiker wie etwa Wolfgang Pannenberg, Reinhard Slenczka oder Jürgen Moltmann apokalyptisches Denken hinsichtlich seiner sinnstiftenden Grundzüge intellektuell durchaus weiter bejaht haben. Im vorliegenden Band sind die Katholiken John Dik und Gregor Taxacher ungefähr die Einzigen, die eine entsprechende Perspektive nach wie vor vertreten. Letzterer hatte bereits 2012 in dem bemerkenswerten Buch Apokalypse ist jetzt: Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit einen wichtigen Beitrag zum Thema geliefert. Hier nun unterstreicht er, die apokalyptische Dimension sei „für christliche Eschatologie unverzichtbar“; eine rein anthropozentrische Eschatologie werde der Botschaft vom Reich Gottes nicht gerecht. Als „Sprache der Hoffnung“ sei Apokalyptik „kein Rezept zur Herstellung des Reiches Gottes in eigener Vollmacht“.
Genau entgegengesetzt zu diesem Befund sind laut Markus Mühling all jene Auffassungen apokalyptisch zu nennen, die davon ausgehen, „dass die Geschichte einer Regel folgt“, und von daher „aktiv in die Zukunft schreiten und sie gestalten wollen“. Entsprechendes „apokalyptisches Begehren“ sei aber „Sünde“ und nicht realitätsgerecht. Als „Therapie“ schlägt er anstelle einer „Naherwartung, die uns nicht mehr offensteht“ vor, diese in eine „Stetserwartung“ zu transformieren, welche offen sei für die Koinzidenz von Kontingenz und Güte im Rahmen des göttlich-trinitarischen „Liebesabenteuers“ – und in diesem Sinne für eine Vermeidung von „Entkontingentisierungsversuchen“.
Herausgeberin Simone Ziermann formuliert als fast schon provokant klingende Leitfrage des Bandes: „Ist die Attraktivität endzeitlicher Motive eine missionarische Chance für die Kirche, die bisher noch zu wenig genutzt wird?“ Den meisten Beiträgen gemäß besagt ihr Resümee in der Schlussüberschrift, christliche Endzeitvorstellungen seien eine „missionarische Ungelegenheit“. Doch überraschend münden ihre Überlegungen in die Bemerkung, die Bedeutung endzeitlicher Vorstellungen für Kirche und Praktische Theologie heute liege darin, „dass sie wichtige Kernbestände des christlichen Glaubens und der christlichen Theologie ins Bewusstsein ruft.“ Es gehe deshalb darum, apokalyptische Phänomene und Stimmungen christlich zu deuten und somit gleichsam „zu taufen“.
Auf diese Formel lassen sich allerdings die wenigsten Aufsätze des Bandes bringen (den übrigens ein Anhang mit drei Predigten beschließt). Es ist da schon viel, wenn etwa Klaus Bieberstein angesichts einer zu konstatierenden „Erschöpfung der utopischen Energien“ dafür plädiert, festzuhalten an dem, „was aussteht: an der Fülle des Lebens als einem Postulat der religiösen Vernunft“.
Werner Thiede
Pfarrer i.R. Dr. Werner Thiede ist apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Publizist.
Werner Thiede
Pfarrer i.R. Dr. Werner Thiede ist apl. Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und Publizist.