Der baptistische Theologe und ARD-Hörfunkjournalist Andreas Malessa geht von einem doppelten Problembefund aus. Auf der einen Seite finden große Teile der westlichen Öffentlichkeit keinen Zugang mehr zur Bibel. Auf der anderen Seite gibt es unter konservativ Gläubigen nach wie vor eine lebendige Bibelfrömmigkeit. Nur verzichten viele von ihnen vollständig auf die Perspektiven aufgeklärter Bibelwissenschaft. Stattdessen verbindet sich bei ihnen tiefe Liebe zur Bibel mit gleichzeitiger Ignoranz gegenüber der biblischen Vielschichtigkeit. Malessa ringt mit einer Art Querfront von streng religiösen und antireligiösen Menschen, für die die Bibel entweder absolute Wahrheit oder völlige Torheit ist.
Er möchte beide Gruppen erreichen, die Skeptischen und die allzu Bibeltreuen – kann das gelingen? Malessa sucht und findet Wege zwischen den Stühlen. Mehrfach distanziert er sich von Fundamentalisten, von Gläubigen, die die Evolutionslehre in Frage stellen und mit der Chicagoer Erklärung auf der Irrtumslosigkeit und Widerspruchsfreiheit der ganzen Bibel bestehen, nach dem Motto: „Wenn weder Adam noch der Sündenfall historische Fakten sind – dann sind Jesus und seine Sündenvergebung auch nicht historische Fakten.“
Ebenso grenzt er sich ab gegen eine skeptizistisch gewordene Bibelwissenschaft, die vor lauter kritischer Analyse nicht mehr in der Lage ist, die Bedeutung der Bibel zu erschließen. „Die Wirkung der historisch-kritischen Forschung an der Basis … war zunächst negativ, finde ich. … Alles geriet unter den Verdacht, naiver Kinderglaube, Irrglaube oder eine Art christlicher Aberglaube zu sein.“ Zugleich betont Malessa: Solche Formen der Bibelwissenschaft hat es gegeben, sind heute aber keineswegs typisch.
Er plädiert für einen Umgang mit der Bibel, für den die historischen und chronologischen Irrtümer der biblischen Autoren Ausweis ihrer Menschlichkeit sind: „Ich muss dem Paulus doch das erdgeschichtlich-naturkundliche Wissen seiner Epoche zugestehen, die übliche Geschichtsdatierung seiner Kultur und Gesellschaft.“
Malessas Buch leistet eine wohltuende Verstörung von Perspektiven, die nur liberales oder evangelikal-fundamentalistisches Christentum kennen. Er plädiert für volle Gleichberechtigung von Frauen und Männern auf allen Ebenen der Kirche; und er bekennt sich zur „Tatsächlichkeit des Osterwunders“. Die Bibel darf ein menschliches Buch sein, voll mit den Irrtümern ihrer Zeit. Und zugleich lässt er Raum für die Erwartung, dass Gott die Bibel auch heute noch gebraucht und Menschen bei der Lektüre zu einer Begegnung mit Gott finden können.
Auch dieses Buch wird es nicht leisten können, überzeugte Fundamentalisten ins Nachdenken zu bringen. Wer sein Bibelverständnis zur Bekenntnisfrage erhoben hat, ist nicht mehr in der Lage, kritische Anfragen daran zu prüfen. Alles außerhalb dieser Weltsicht ist für diese Menschen liberal oder progressiv und damit vor allem: gefährlich.
Und doch leistet dieses Buch einen wichtigen Dienst. Es kann Menschen helfen, die mit so einer Weltsicht groß geworden sind und allmählich gelernt haben, an mancher Enge zu leiden. Sie können entdecken, dass es auch außerhalb des fundamentalistischen Christentums Menschen gibt, die die Bibel kennen und lieben. Es gibt mehr als die Extreme, wo alles geglaubt werden muss, wenn man als gläubig, oder nichts geglaubt werden darf, wenn man als vernünftig anerkannt werden will. So kann dieses Buch auch eine Brücke sein für solche, die das Christentum vielleicht für gestrig halten, aber die Bibel als interessantes Kulturgut empfinden. Sie lernen zumindest, dass es auch aufgeklärte Zugänge zur Bibel gibt – und man dieser ruhig mal eine Chance geben kann.