Einblicke

Bischöfe und andere Theologen in der DDR

Charakterbilder können eine wahre Fundgrube sein, wenn sie von historisch geschulten Personen erstellt werden, die den jeweils beschriebenen Menschen einerseits hautnah erlebt haben, andererseits jedoch in genügend kritischer Distanz zu ihm stehen. So droht weder die Gefahr der Heroisierung noch das Abgleiten in bloße Anekdoten. Stattdessen ergeben sich aufschlussreiche Porträts, die einem intime Einblicke in die Gedankenwelt dieser Menschen gewähren.

Jene „mittlere Distanz“ ist kennzeichnend für das Buch, das vom Freiberger Dompfarrer und Hochschulseelsorger Justus Geilhufe herausgegeben wurde. Hinter dem unglücklich gewählten Obertitel Das Leben suchen – der eher einen esoterischen Ratgeber vermuten lässt – verbirgt sich weit mehr. Neun Protestanten und drei Katholiken aus verschiedenen Phasen der DDR werden vorgestellt. Den Auftakt macht der Dichter und Theologe Christian Lehnert, der über die liturgische Prägung schulischer Appelle in der DDR berichtet. Er reflektiert den denkerischen Freiraum der Kirche und stellt diesen der Enge eines Kesselwaggons gegenüber, den er als Gasmaske tragender Bausoldat von Schwefelsalzresten befreien musste.

Es folgt eine Einschätzung über den Prager Theologen Josef Hromádka, der eine prokommunistische Haltung einnahm und gemeinsam mit Emil Fuchs gegen Otto Dibelius opponierte. Lesenswert ist das Porträt über den Theologen und Bischofsverwalter Günther Jacob, der den Begriff des „nachkonstantinischen Zeitalters“ für die kirchliche Situation in der DDR prägte. Zu begrüßen ist die Darstellung der weltöku­menisch geprägten Laientheologin und Leiterin der evangelischen Akademie Elisabeth Adler, deren Reflexionen über „Freiheit in Grenzen“ noch heute bedeutsam sind. Eindrucksvoll ist Johannes Hempels Selbstkritik als ehemaliger sächsischer Landesbischof. So erkannte er zu spät, dass die Basisgruppen als neue Generation im Recht waren, das kirchliche Erbe der Vorgängergeneration in Frage zu stellen. Hempel räumt ebenfalls ein, die Konfrontation mit dem Staat hinausgeschoben und sich zu sehr an die damaligen Verhältnisse gewöhnt zu haben. Im intimen Porträt über Ulrich Kühn, den Leipziger „Konsensöku­meniker“, erfahren wir viel, wenn er vor Leipziger Studenten seine Hand hob und augenzwinkernd meinte: „Diese Hand hat mir der Papst geschüttelt.“ Auch die Enttäuschung der Leipziger Studierenden kommt zum Ausdruck, als er in der DDR-Zeit entschied, für drei Jahre nach Österreich zu gehen, obwohl er doch immer wieder den Dienst in der DDR betont hatte. Einen umfassenden Einblick in die Facetten Heino Falckes bietet der Beitrag von Erhart Neubert. Ebenfalls gewürdigt wird die leider viel zu früh verstorbene Christiane Markert-Wizisla, die als Leiterin der Frauen- und Familienarbeit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg wichtige feministische Akzente setzte. Den Abschluss bildet eine Selbstreflexion des im vergangenen Jahr verstorbenen Wolf Krötke, der interessante Einblicke in sein Verständnis von Karl Barth gibt und einen Barthianismus in einem „erhobenen Ton“ stets ablehnte.

Danach richtet sich der Blick auf drei Katholiken. Bedauerlicherweise werden lediglich Bischöfe vorgestellt. Positiv ist jedoch, dass deren Selbsteinschätzungen gut zum Ausdruck kommen, wodurch sie miteinander verglichen werden können. So zierte das Psalmwort „Auf dieses herrliche Land ist mein Los gefallen“ die Wand des Arbeitszimmers des Erfurter Bischofs Hugo Aufderbeck. Im Vergleich dazu versuchte der Berliner Bischof und spätere Kölner Kardinal Joachim Meisner, den eisernen Kurs des „Überwinterns“ zu relativieren, indem er die „Diskriminierung christlicher Kinder und Jugendlicher“ gegenüber hohen Regierungsvertretern thematisierte. Schließlich im profunden Beitrag von Jörg Seiler über Bischof Joachim Wanke staunt man über dessen selbstbewusste Abgrenzung von seinem Amtsvorgänger Aufderbeck. Während jener Sauerländer die DDR als das Land ansah, auf das sein Los fiel, machte der in Illmenau aufgewachsene Wanke deutlich, dass die DDR seine Heimat sei.

Der Band bietet wichtige Einblicke in das Selbstverständnis von kirchenleitenden Christen, die in der DDR agierten. Bei der Lektüre tauchen viele Themen auf, die es wert wären, weiterverfolgt zu werden. So zeigt der Band, dass Werke der Nachwendezeit von DDR-Theologen viel stärker als Verarbeitung der DDR-Zeit gelesen werden müssten, so beispielsweise die Abschnitte von Ulrich Kühn im ökumenischen Projekt einer „West-Ost“-Dogmatik gemeinsam mit Wolfgang Beinert aus dem Jahr 2013.

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