Gendern ist gefährlich
Die Kolumne von Antje Schrupp auf dieser Website zum leidigen Thema ‚Gendern‘ kommt in Relation zu ihrer Kürze auf eine erstaunliche Zahl an sachlichen Fehlern und politischen Fehleinschätzungen. Überdies fördert sie nicht eine produktive Wendung der Debatte um ‚Gendersprache’, sondern trägt mit dem billigen Gestus der verfolgten Unschuld, die angesichts drohender Verbote zum Kampf für die bürgerliche Freiheit aufruft, zu der mit diesem Thema verbundenen Polarisierung in der Gesellschaft bei.
Aber der Reihe nach. Antje Schrupp behauptet, am Gendern führe kein Weg vorbei, denn es gebe „schlichtweg keine ‚ungegenderte‘ Art und Weise, sich der deutschen Sprache zu bedienen.“ Der Grund dafür sei, dass es nicht nur dem biologischen Geschlecht korrespondierende Begriffe gebe wie Tante oder Onkel (was stimmt), sondern auch Bezeichnungen wie der Mond oder die Sonne. Diese „grammatikalischen Geschlechter“ stehen aber als Genus-Bezeichnungen in keinerlei Beziehung zu einem biologischen Sexus. Wäre es anders, wären alle Pluralbezeichnungen auch für Personen (die Menschen, die Männer, die Personen) weiblich im sexuellen Sinne und damit in Schupps Logik diskriminierend für Männer. Tatsächlich aber besteht in der deutschen Sprache keineswegs, wie Schrupp behauptet, „ein sehr enger Zusammenhang zwischen Sexus und Genus“. Wir haben kein Verständnisproblem, wenn wir im Deutschen weibliche Wesen als das Mädchen, die Person oder der Mensch bezeichnen können. Und wohl niemand denkt über 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts noch im Ernst, mit ‚Wähler‘ seien nur Männer gemeint.
Duden nicht maßgeblich
Es würde den Rahmen dieser Entgegnung sprengen, weiter im Detail auf die sprachlogischen und grammatikalischen Probleme des ‚Genderns‘ einzugehen. Wer in diesem Zusammenhang überhaupt noch an gründlicher Analyse und präziser Argumentation interessiert ist, findet auf den 358 Seiten, auf denen der Sprachwissenschaftler Eckhard Meineke jetzt die gesamte Argumentation der ‚Genderlinguistik‘ und der einschlägigen Forschung kritisch durchgeht (Studien zum generischen Maskulinum, Heidelberg 2023), eine konzise und wissenschaftlich anspruchsvolle Widerlegung der ideologischen Floskeln, mit denen in dieser Debatte oft operiert wird.
Antje Schupp ist bei ihrer Klage über „Verbote“ und ihrer Forderung, durch eifriges Gendern die Dudenredaktion dazu zu bewegen, die Genderei mit Sonderzeichen abzusegnen (wobei sie geflissentlich jede Festlegung dazu vermeidet, welche dieser Zeichen aus der widersprüchlichen Angebotspalette sie aus welchen Gründen eigentlich durchgesetzt sehen möchte), völlig entgangen, dass bereits seit 2004 der Duden für die Festlegung von Rechtschreibregeln gar nicht mehr verantwortlich ist. Dafür ist vielmehr der von den deutschsprachigen Staaten gegründete Rat für deutsche Rechtschreibung zuständig: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist ein zwischenstaatliches Gremium, das von den staatlichen Stellen damit betraut wurde, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung im deutschen Sprachraum zu bewahren und die Rechtschreibung auf der Grundlage des orthografischen Regelwerks im unerlässlichen Umfang weiterzuentwickeln. Der Rat ist somit die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung und gibt mit dem amtlichen Regelwerk das Referenzwerk für die deutsche Rechtschreibung heraus.“ (https://www.rechtschreibrat.com/ueber-den-rat/)
Dieser Rat lässt keinen Zweifel daran, dass die hier in Rede stehenden Schreibweisen mit Sonderzeichen der deutschen Rechtschreibung widersprechen. Und das vom ihm ausgearbeitete und in Deutschland von den Kultusministern beschlossene Regelwerk trägt nicht umsonst die Bezeichnung „amtlich“. Bereits 2020 kamen die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in einem ausführlichen Gutachten zur „Rechtsverbindlichkeit der Verwendung der deutschen Rechtschreibung in Schulen und anderen Einrichtungen“ zu diesem Ergebnis: „Beamte und Angestellte des Bundes und der Länder haben im amtlichen Schriftverkehr das Regelwerk ‚Deutsche Rechtschreibung, Regeln und Wörterverzeichnis‘ zu beachten. (...) Das Regelwerk ‚Deutsche Rechtschreibung, Regeln und Wörterverzeichnis‘ ist auch für die Normsprache verbindlich.“ (Az. WD 10-3000-001/20 vom 27.2.2020, S. 11)
Politische Akteure und Aktivisten
Um nichts anderes geht es bei den von Schrupp beklagten „Verboten“ in einer zunehmenden Zahl von Bundesländern: um die Bekräftigung der Verpflichtung des öffentlichen Dienstes, sich bei der Ausübung seiner Aufgaben an die geltenden Regeln der deutschen Rechtschreibung zu halten. Es sagt einiges über die politische Kultur in unserem Land, wenn bereits eine solche Selbstverständlichkeit als Freiheitseinschränkung gebrandmarkt wird. Ich empfehle dazu, bei Immanuel Kant in seiner berühmtem „Antwort auf die Frage: Was heißt Aufklärung?“ dessen Unterscheidung zwischen dem privaten und dem öffentlichen Gebrauch der Vernunft nachzulesen.
Schrupp bekräftigt dagegen das Klischee vom natürlichen Sprachwandel, der nicht aufgehalten werden dürfe, und behauptet: „Seit einigen Jahren fasst diese Art, geschlechterinklusiv zu sprechen, daher zunehmend auch bei seriösen Medien und in der Alltagssprache vieler Menschen Fuß.“ Es gibt bei diesem Thema (anders als bei vielen anderen sprachlichen Veränderungen) keinen natürlichen, quasi von selbst laufenden Sprachwandel. Sondern was es seit Jahrzehnten gibt, sind politische Akteure und Aktivisten, die die ‚Gendersprache‘ gezielt durchsetzen wollen und sich dazu Mitteln bedienen wie Nutzung von Machtpositionen im Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftsbereich, Vorgabe von Leitfäden oder Empfehlungen und Etablierung von Hegemonie in begrenzten Subkulturen. Selbst wo es nicht zu schlechteren Bewertungen wegen Genderverweigerung kommt: Es erfordert einigen Mut, anders zu sprechen, wenn Professoren, Vorgesetzte und Gleichstellungsstellen De-facto-Standards setzen.
Keine Mehrheit
Aber obwohl es solche Durchsetzungsversuche seit Jahrzehnten gibt, stößt Gendern mit Sonderzeichen bei der Mehrheit der Bevölkerung auf Ablehnung. Das ist durch eine Vielzahl von Befragungen und Studien nachgewiesen; die Prozentzahlen schwanken je nach Fragestellung, der Gesamteindruck bleibt gleich. Zumindest eine dieser vielen Studien soll hier zitiert werden, die nach der Zustimmung zu dem folgenden Item gefragt hat: „Eine geschlechtergerechte Sprache, die alle Geschlechter einbezieht, ist ein wichtiger Beitrag zur Gleichstellung“. Das Ergebnis, hier gekürzt: 28 Prozent der (repräsentativ für Deutschland) Befragten stimmen zu, 56 Prozent verneinen, obwohl hier in sehr allgemeiner Form und nicht allein nach Gendern mit Sonderzeichen gefragt wurde. Weiterhin zeigt die Studie: „Selbst Frauen in Wissensberufen sehen die Rolle der gendergerechten Sprache (...) mehrheitlich skeptisch. (...) Selbst bei Hochbetagten über 70 weichen die Antwortmuster nicht wesentlich von der Altersgruppe zwischen 16 und 29 Jahren ab (...). Egal, ob man nach Bildung, Migrationshintergrund, Ost/West oder Stadt/Land unterscheidet, in keiner Gruppe findet sich eine Mehrheit, die die gendergerechte Sprache als wichtigen Beitrag für die Gleichstellung betrachtet.“ (Steffen Maus/Thomas Lux/Linus Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin 2023, S. 195 f.)
So sehen sie also aus, die „alten Herren der Republik“, die Schrupp für den Widerstand gegen das Gendern verantwortlich macht. Dabei gibt es außer der taz (und dort auch schwankend und kontrovers) keine große Zeitung, die mit Sonderzeichen gendert, so gut wie keine Belletristik, kaum Sachbücher und selbst an den Universitäten trifft das im Jahr 2022 für neunzig (!) Prozent der deutschsprachigen Dissertationen zu. Bei Lichte betrachtet ist Gendern ein Soziolekt, die Schreib- und Sprechweise eines bestimmten politisch-kulturellen, im links-grünen Spektrum angesiedelten Milieus, das zwar relativ klein, aber einflussreich und vielfach entschlossen ist, diese Schreibweisen und die mit ihnen zum Ausdruck gebrachte Denkweise in der Gesellschaft durchzusetzen. Wenn in den Kirchen gegendert wird, werden sie mit eben diesem Milieu identifiziert und müssen sich über entsprechende Zuschreibungen nicht wundern.
Aus der Zeit gefallen
Es kann kaum verwundern, dass dies in der Gesellschaft auf Widerstand stößt. Gendern ist zwar wahrlich nicht das wichtigste aller politischen Probleme unserer Zeit. Aber es mit das am meisten polarisierende. Deshalb bietet es dem Rechtspopulismus ein perfektes Mobilisierungspotenzial, denn hieran kann der Topos der Gegenüberstellung von Eliten und ‚Volk‘ und der rechtspopulistische Anspruch, für eben dieses ‚Volk‘ zu sprechen, scheinbar unmittelbar einleuchtend behauptet werden. Aber es geht nicht nur um diese Gefahr. Es geht auch darum, dass gerade eine demokratische Öffentlichkeit eine gemeinsame Sprache braucht, in und mit der politisch gestritten werden kann. Ein Auseinanderfallen in Sprachinseln, die miteinander nicht mehr kommunikationsfähig sind, weil die einen aus Überzeugung gendern und die anderen dies aus Überzeugung ablehnen, hätte mittelfristig fatale Folgen für die Demokratie.
Angesichts der Probleme und Herausforderungen, vor denen Deutschland und Europa heute stehen, wirken diese Konflikte wie aus der Zeit gefallen. Auch deshalb muss das Gendern mit Sonderzeichen aufhören, und wenn es nicht anders geht, muss die Politik mit entsprechenden Vorgaben für den öffentlichen Dienst nachhelfen.
Wolfgang Sander
Wolfgang Sander ist Professor em. für Didaktik der Sozialwissenschaften an der Universität Gießen.