Schwamm drunter

Wie Hamburg Quartiere vor Überflutungen schützt und gleichzeitig Regenwasser dezentral speichert und nutzt
Schwammstadt Hamburg
Foto: Jörg Böthling

Starkregen nach langen Trockenperioden, das ist ein Wetterereignis, das durch den Klimawandel immer öfter in Europa vorkommt. Dagegen müssen sich die Städte wappnen, zum Beispiel durch einen veränderten Umgang mit Regenwasser. Klaus Sieg und Jörg Böthling haben die ersten Projekte der Schwammstadt Hamburg besucht.

Mit nur neun Quadratmetern ist die Dachfläche klein. Doch bei Sonja Schlipf löst sie große Begeisterung aus. „Das ist aber sehr schön gewachsen, seit ich das letzte Mal hier war.“ Die Diplom-Ingenieurin für Raum- und Umweltplanung steht vor einem Pumpwerkschalthaus am Rande eines Neubauquartiers in Neugraben, im Süden Hamburgs. Vorne auf der kleinen Anwohner-Straße radelt ein Vater mit seinem Kind auf einem Klapprad vorbei. Bauarbeiter vollenden die letzten Meter eines Weges entlang des Bachlaufes, der zwischen der Straße und den Vorgärten des Quartiers fließt.

Erst im vergangenen Jahr wurde das smarte Gründach in Betrieb genommen. Nun wuchert die Bepflanzung. Ein Gründach kühlt das Stadtklima und lockt mit seinen bunten Blüten allerlei Insekten an. Das Besondere an diesem Dach aber ist an seiner Kante hinter einem Streifen Plexiglas zu sehen. Unter dem Substrat mit den Pflanzen gibt es einen rund zehn Zentimeter hohen Regenwasserspeicher, in dessen Boden eine smarte Abfluss-Drossel eingelassen ist, die mit Wetterdaten versorgt wird. Über Kapillarsäulen gibt der Speicher das gesammelte Wasser an das Substrat ab. So wachsen die Pflanzen auch in längeren Trockenperioden. Kündigt sich jedoch zum Beispiel ein Stark­regen an, öffnet die Drossel und gibt das Wasser kontrolliert in eine Mulde ab. Dort steht es dem Boden der Umgebung weiterhin zur Verfügung. Und der Speicher des Gründaches hat wieder Platz für neues Regenwasser. „So schaffen wir mehr Speicherkapazität, und das ausschließlich durch die Nutzung bereits bestehender Flächen“, erklärt Sonja Schlipf.

Sie arbeitet mit an der Schwammstadt Hamburg: Diplom-Ingenieurin Sonja Schlipf.
Foto: Jörg Böthling

Sie arbeitet mit an der Schwammstadt Hamburg: Diplom-Ingenieurin Sonja Schlipf.  

Das smarte Gründach zeigt und erforscht im Kleinen, worum es den Hamburgern im Großen geht: eine zukunftsfähige Regenwasserbewirtschaftung. Anstatt das Regenwasser so schnell wie möglich durch die Kanalisation abzuleiten, wird es in dezentralen Speichern zurückgehalten, um in trockenen Zeiten zur Verfügung zu stehen. Wie ein Schwamm nimmt die Stadt das Wasser bei Regen auf. Und gibt es wieder ab, wenn die Sonne scheint.

Mit diesem Konzept rüsten sich weltweit Metropolen, Städte und Gemeinden für eine Zukunft mit längeren Trockenperioden, in denen das Wasser knapp wird. Gleichzeitig nehmen starke Regenfälle und Flutkatastrophen zu. Diese dem Klimawandel geschuldeten Ereignisse treffen auf immer mehr versiegelte Flächen, auf denen immer weniger Regenwasser versickern kann. Vor knapp zehn Jahren zum Beispiel wurde in China das „Sponge City“-Programm gestartet. Dreißig chinesische Metropolen wollen bis 2030 zwei Drittel ihres Regenwassers auf ihrem Stadtgebiet nutzen. Phi­ladelphia und die walisische Hauptstadt Cardiff verwenden bereits jetzt große Mengen ihres Regenwassers dezentral und naturnah auf ihrem Stadtgebiet. Kopenhagen will sich mit 300 städtebaulichen Maßnahmen bis 2035 in eine Schwammstadt verwandeln. Auslöser war 2011 ein kata­strophales Hochwasser.

In Deutschland gestalten Städte wie Bochum ihre Infrastruktur nach der Idee der Schwammstadt um. Berlin so wie auch der Wasserwirtschaftsverband Emschergenossenschaft im Ruhrgebiet zum Beispiel wollen jedes Jahr ein Prozent ihrer Fläche abkoppeln von der Regenwasser-Entsorgung über die Kanalisation. Hamburg hat so ein Ziel noch nicht definiert. Dafür setzen hier die Expert:innen des Versorgers Hamburg Wasser gemeinsam mit der Umweltbehörde BUKEA in dem Gemeinschaftsprojekt Risa (RegenInfraStrukturAnpassung) ein sehr umfassendes Konzept um. „Wir entwickeln modellhaft Multifunktionsflächen“, sagt Pascale Rouault, Ingenieurin für Wasserwesen und Leiterin für Wasserwirtschaft und Quartiersentwicklung bei Hamburg Wasser.

Hamburg hat mehrere Neubauquartiere mit einer dezentralen Regenwassernutzung ausgebaut. Zehn Schulen wurden von der Kanalisation nahezu abgekoppelt, ebenso die Dachflächen eines großen Einkaufszentrums. Unter Spielplätzen und Sportanlagen hat man im Einklang mit der eigentlichen Nutzung große Regenwasserspeicher installiert.

Filter im Boden

„Wir legen außerdem ein großes Gewicht auf die Starkregenvorsorge“, so Pascale Rouault weiter. Besonders in der Stadt an der Elbe ist zudem die Behandlung des Regenwassers im Sinne des Gewässerschutzes: Bevor belastetes Wasser zum Beispiel von Straßen wieder in den natürlichen Wasserkreislauf gelangt, wird es durch Filter im Boden oder besondere Anpflanzungen gereinigt. Zudem hat die Hansestadt ein ambitioniertes Gründach-Programm aufgelegt. Auch wird einiges der Schwammstadt von dem EU-Projekt „Clever City“ mitgefördert, so wie das smarte Gründach.

Schwammstadt Hamburg
Foto: Jörg Böthling

Versickerungsgräben sorgen für langsames Eintreten des Wassers ins Erdreich.

Eine Schwammstadt verfügt über natürliche und naturnahe Speicher. Das können Grünflächen, Beete und Parks sein oder Teiche, Regenrückhaltebecken, Gräben und Mulden. Dorthin gelangt das Regenwasser von Dächern, Straßen oder anderen versiegelten Flächen über ein System aus Fallrohren, Rohren und kleinen Kanälen. Technische Speicher der Schwammstadt sind zum Beispiel Gründächer. Auch ohne einen Extra-Speicher, wie der im smarten Gründach im Süden der Stadt, speichern sie das Regenwasser in ihrem Substrat aus Tongranulat oder Kies und geben es später wieder ab. Regenwasser kann aber auch in Zisternen gespeichert werden oder in sogenannten Rigolen. Das sind unterirdische Kästen aus Kunststoff, Getränkekisten nicht unähnlich. Diese geben das Regenwasser langsam wieder in das Erdreich ab.

Rigolen befinden sich zum Beispiel unter den Tiefbeeten entlang einer kleinen Straße unweit des Smarten Gründachs im Süden Hamburgs. „Hier musste 2020 nach einem Starkregen die Feuerwehr Straße und Hauskeller auspumpen, weil nichts mehr abfloss“, erklärt Sonja Schlipf. „Das Wasser stand kniehoch.“ Straße und Siedlung wurden in der Nachkriegszeit ungeachtet des natürlichen Geländeverlaufs durch eine tiefe Senke gebaut. Nun säumen seit vergangenem Jahr schmale Beete die Straße, von denen aus das Regenwasser in die unterirdischen Rigolen sickern kann. Die dichte Bodenbepflanzung sowie die zwar noch kleinen, aber im satten Grün sprießenden Bäume zeugen von der ausreichenden Versorgung der Pflanzen aus den Rigolen. In jedem Beet steht eine andere Baumart, um ihre Eignung für einen Standort über so einem Speicher zu testen.

Überflutung verhindern

Auch bei dem Regenspielplatz des Stadtteils ging es vorrangig um die Verhinderung von regelmäßigen Überflutungen. Private Keller der Umgebung und das Gelände einer benachbarten Schule standen immer wieder unter Wasser. „An dieser Stelle der Stadt gibt es sehr häufig Starkregen.“ Sonja Schlipf steht vor einer Senke am Rande eines Kiefernwaldes, um die herum sich Spielgeräte gruppieren, und zeigt auf einen etwa einen Meter großen, aus Holz geschnitzten Biber. „Bei starkem Regen wie 2020 steht der bis zum Bauch im Wasser“, sagt Sonja Schlipf. „Aber das Wasser fließt innerhalb von 24 Stunden über einen künstlichen Kanal in den natürlichen Bachablauf oder in die unterirdischen Rigolen ab.“ Und sorgt nicht für Überschwemmungen. Über die Jahre sickert es dann durch den sandigen Boden in den Einzugsbereich eines Brunnens, aus dem Trinkwasser gewonnen wird.

Der Regenspielplatz wird zum Wasserspeicher und verhindert Überschwemmungen bei Starkregen.
Foto: Jörg Böthling

Der Regenspielplatz wird zum Wasserspeicher und verhindert Überschwemmungen bei Starkregen.

Zwar kann der Spielplatz so an einigen, allerdings sehr wenigen Tagen nicht genutzt werden. Dafür aber schützt das System das gesamte Quartier bei Starkregen, speichert Wasser für die Pflanzen und unterstützt die Trinkwasserbildung. Um Derartiges umzusetzen, müssen viele verschiedene Stellen und Akteure an einem Strang ziehen, vom Grünamt und von Bezirkspolitikern über Schulen und Anwohner, Kindergärten und Sportvereine bis hin zum Straßenbauamt. „Wir wissen schon sehr lange, wie eine Schwammstadt technisch funktionieren kann, die Herausforderung liegt darin, unterschiedliche Interessen und Denkarten zusammenzuführen“, sagt Sonja Schlipf. Technisches Neuland beschreitet die Stadt allerdings mit ihren dynamischen Simulationen und Datenerhebungen von Wetter- und Wasserereignissen. Zurzeit ist eine Starkregen-Gefahren-Karte in Arbeit sowie eine zum Versickerungspotential von Flächen. Diese Informationen stehen auch Grundeigentümern zur Verfügung. Für die gibt es zudem eine auf den Daten basierende Beratung.

Zum Schluss zeigt Sonja Schlipf noch eine Schule im Westen der Stadt, unweit der Autobahn A 7, die gerade vor dem Elbtunnel gedeckelt wird. Die großflächige Schulanlage mit zweistöckigen Pavillons war früher zwischen den Gebäuden asphaltiert. Sie wurden entsiegelt und mit Mulden versehen, in die das Regenwasser von den Dachflächen fließt. Nun wachsen und gedeihen Bäume, Wiesen und ein Schulgarten, den die Lehrkräfte für die Umweltpädagogik nutzen. Auch der Sportplatz wurde mit einer wasserdurchlässigen Oberfläche versehen, damit das Regenwasser versickern kann. Sonja Schlipf bleibt vor einem großen Baum stehen. „Viele Schulen in der Stadt haben alte Baumbestände, die in den letzten Jahren zunehmend unter Hitze- und Wasserstress leiden.“ Dieser Baum aber wird dank der Schwammstadt noch lange Schatten spenden.

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Jörg Böthling

Jörg Böthling begann 1985 als Seemann auf Fahrten nach Afrika und Asien zu fotografieren. Er studierte Fotografie an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und arbeitet als Freelancer. 


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