Genug entschädigt?

Zum Stand der schwierigen Verhandlungen zwischen dem Staat und den Kirchen über die Staatsleistungen
Der Geldhamster – eine Protestfigur der kirchenkritischen Giordano-Bruno-Stiftung gegen die Staatsleistungen.
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Der Geldhamster – eine Protestfigur der kirchenkritischen Giordano-Bruno-Stiftung gegen die Staatsleistungen.

Es gibt einen verfassungsmäßigen Auftrag, die Staatsleistungen an die Kirchen zu beenden. Die Ampelkoalition hat sich diese Aufgabe in den Koalitionsvertrag geschrieben. Sogar die Kirchen stehen dem Ende der Staatszahlungen positiv gegenüber. Aber es sind die Bundesländer, die nun mauern. Die Argumente aller Seiten sichtet die Redakteurin Franziska Hein.

Für viele Bürger klingt es unverständlich: Der Staat zahlt den Kirchen jährlich Entschädigungen in Millionenhöhe. Die sogenannten Staatsleistungen sind ein Relikt aus napoleonischen Zeiten. Die Summe belief sich für die großen Kirchen nach Recherchen des Evangelischen Pressedienstes (epd) in diesem Jahr auf 603 Millionen Euro. Rund 356 Millionen Euro entfielen auf die 20 evangelischen Landeskirchen und rund 247 Millionen Euro auf die 27 katholischen Bistümer. Zahlen müssen die Bundesländer.

Die Staatsleistungen sind ein Politikum: Jenseits der Tatsache, dass sie unter den Wählern Unverständnis erzeugen, steht im Grundgesetz auch der Auftrag, diese abzulösen. Das bedeutet, es gibt einen verfassungsmäßigen Auftrag, diese regelmäßigen Zahlungen zu beenden. Ziel ist die saubere Trennung zwischen Staat und Kirche. Allerdings existiert derzeit ein politisches Dilemma: Während die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP sich das Vorhaben der Ablösung in den Koalitionsvertrag geschrieben hat und auch die Kirchen dem positiv gegenüberstehen, sind es die Bundesländer, die derzeit mauern.

Um zu verstehen, warum eine Ablösung so schwierig ist, muss man zunächst klären, was Staatsleistungen überhaupt sind und warum man sie nicht einfach einstellen kann. Staatsleistungen sind nach Definition des Religionsverfassungsrechtlers Peter Unruh Kompensationen für in der Vergangenheit erlittene Vermögensverluste der Religionsgemeinschaften. Es handle sich um die Tilgung von historischen Altlasten in Form von Entschädigungen. Grund dafür ist, dass der Staat den Kirchen vor allem während der Reformationszeit und durch die Säkularisation 1803 viele Vermögenswerte entzogen hat, aus deren Erträgen sie sich vorher finanzieren konnten.

Staatsleistungen sind nicht nur Geldzahlungen, sondern können auch in der Nutzung von Gebäuden bestehen, die dem Staat gehören. Außerdem wird zwischen positiven und negativen Staatsleistungen unterschieden. Unter negativen Leistungen versteht man Entschädigungen, die nicht mit direkten Zahlungen verbunden sind, sondern in der Entlastung von staatlichen Abgabenpflichten bestehen. So sind die Kirchen etwa von der sogenannten Grundsteuer befreit.

Summe gestiegen

Zu unterscheiden von den Staatsleistungen sind staatliche Subventionen für öffentliche Aufgaben, diese erhalten kirchliche Träger von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder anderen sozialen Einrichtungen. Das sind Bezuschussungen für Leistungen, die ein Bistum, ein kirchlicher Verein oder eine Kirchengemeinde für die Gesellschaft erbringt. Die Bundesländer gaben auf Anfrage des epd Anfang August an, sie hätten insgesamt rund 638 Millionen Euro Staatsleistungen gezahlt. Neben den schon genannten 603 Millionen für die evangelischen Landeskirchen und die katholischen Bistümer erhalten in deutlich kleinerem Umfang auch die altkatholische, die reformierte und die Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche Staatsleistungen.

Regional gibt es aber große Unterschiede: Baden-Württemberg zahlte mit 141 Millionen Euro die höchste Summe, Bayern 130 Millionen Euro. In Hessen betrug die Summe rund 60 Millionen Euro, in Thüringen rund 29 Millionen. Hamburg und Bremen zahlen gar keine Staatsleistungen. In den vergangenen Jahren ist die Summe der Staatsleistungen kontinuierlich gestiegen. So erhielten die evangelische und katholische Kirche vor zehn Jahren noch 479,4 Millionen Euro jährlich vom Fiskus. Die staatlichen Zahlungen an die Kirchen sind an die Gehaltssteigerungen des Öffentlichen Dienstes gekoppelt worden, um einer Entwertung entgegenzuwirken. Regelmäßig erfolgt daher die Dynamisierung durch Anlehnung an die Beamtenvergütung. Nach Auskunft der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz fließen die Staatsleistungen in die jeweiligen Haushalte ein. Bei den meisten Landeskirchen und Bistümern machen sie keinen großen Anteil der Einnahmen aus. Die Kirchen finanzieren sich hauptsächlich durch die Einnahmen aus der Kirchensteuer. Doch kleinere Landeskirchen und Bistümer im Osten mit wenigen Mitgliedern sind auf die Zahlungen angewiesen.

Mit dem Geld bezahlen die Kirchen vor allem Personalkosten, einige Mittel fließen den Angaben zufolge aber in kirchliche Angebote, die auch Menschen nutzen können, die nicht Mitglieder der Kirche sind.

Die im Grundgesetz festgeschriebene Verpflichtung zur Ablösung der Staatsleistungen wurde aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen. Zum einen ist darin festgehalten, dass die Staatsleistungen von den Ländern abgelöst werden müssen, und zum anderen, dass die Grundsätze dafür das Reich beziehungsweise als Rechtsnachfolger der Bund aufstellt. Dieses Vorhaben ist in der Vergangenheit schon mehrfach gescheitert, zuletzt in der vergangenen Legislaturperiode mit einem Antrag der damaligen Oppositionsparteien Grüne, FDP und Linke. Ursprünglich sollte ein Entwurf für ein solches Grundsätzegesetz bis zum Sommer vorliegen. Dem voraus gingen Gespräche im Bundesinnenministerium zwischen Bund, Ländern und Kirchen. Zwar hat die Arbeitsgruppe beraten, aber das Vorhaben liegt dennoch bis auf weiteres auf Eis, weil die Bundesländer derzeit nicht über eine Ablösung verhandeln wollen.

Die Bundesländer müssen die finanzielle Last für die Ablösung der Staatsleistungen tragen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) etwa rechnet nicht damit, dass es zu einer Ablösung in den kommenden Jahren kommen wird. Die finanzielle Belastung für die Bundesländer sei zu groß. Auch der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) äußerte sich skeptisch. Da Bayern und Baden-Württemberg die höchsten Staatsleistungen zahlen, käme auf sie eine entsprechend hohe Ablösungssumme zu. Für eine Mehrheit der 14 zahlenden Bundesländer hat die Ablösung keine Priorität. Da die finanzielle Situation der Länder angespannt ist, haben die meisten kein Interesse, noch mehr Geld für eine Ablösung auszugeben. Denn die vorstellbaren Modelle für eine Beendigung der Zahlungen würden so oder so auf eine Mehrbelastung der Bundesländer hinauslaufen.

Experten für das Staatskirchenrecht weisen die gelegentlich vertretene Auffassung zurück, mit den Zahlungen seit 1919 sei bereits eine Ablösung erfolgt. Die Ablösungssumme als Entschädigung für in der Vergangenheit erlittene Vermögensverluste der Kirchen sei im Übrigen nicht abhängig von Mitgliederzahlen oder sonstigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen oder von der gesellschaftlichen Reputation der Kirche, ist Religionsverfassungsrechtler Peter Unruh überzeugt. Auch in Zukunft bleibe der verfassungsmäßige Auftrag zur Ablösung bestehen.

Voller Wertersatz?

Auch der Umfang der Ablösungen ist umstritten. Es geht um die Frage, ob der gesamte Wert aller materiellen und immateriellen Leistungen ersetzt werden muss (Äquivalenzprinzip) oder ob eine angemessene Entschädigung auch hinter dem vollen Wertersatz zurückbleiben kann. Hinzu kommt Uneinigkeit über die Kalkulation der Ablösesumme. In dem Gesetzentwurf aus der vergangenen Legislaturperiode schlugen Linke, FDP und Grüne einen Kapitalisierungsfaktor von 18,6 vor, mit dem der Wert der Staatsleistungen multipliziert würde, damit die Kirchen eine ausreichende Kapitalgrundlage zum Wirtschaften haben. Die großen Kirchen würden nach diesem Modell, in welcher genauen Form auch immer, zusammen 18,6 mal 603 Millionen Euro erhalten. Das wären rechnerisch über 11,2 Milliarden Euro, zu zahlen von den Bundesländern. Das ist eine sehr große Summe. Und wäre das politisch zu vermitteln? Diskutiert wird auch ein Rentenmodell, wie es in Sachsen nach 1989 eingeführt wurde. Dann würden die Bundesländer den Kirchen dauerhaft regelmäßig Pauschalbeträge zahlen. Das widerspricht jedoch laut Unruh einer Ablösung. Dies sei „Etikettenschwindel“. Der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, steht einer Rentenlösung hingegen positiv gegenüber. Sachsen zahlte in diesem Jahr rund 29,6 Millionen Euro an die Kirchen. Die sächsische Staatskanzlei sieht ebenfalls keinen Anlass, in Zukunft etwas daran zu ändern. Religionsverfassungsrechtler Unruh, der zugleich auch Präsident des Landeskirchenamts der Nordkirche ist, sieht trotz dieser Schwierigkeiten die historische Chance, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen. Diese Chance nähre sich aus dem Umstand, dass die Bundesregierung das Vorhaben sehr stark vorantreibe, sagte er. Auf der Arbeitsebene sei man bei den Beratungen schon sehr weit gekommen. „Es gibt bislang eine Reihe von Fortschritten und Übereinkünften, die das Ziel in Reichweite gerückt haben“, sagte Unruh.

Mit Blick auf die bisher guten Beratungen sei es zwar schade, dass die Länder die Ablösung im Augenblick nicht weiter vorantreiben möchten, so Unruh. Jedoch zeigten die Kirchen Verständnis für diese Haltung. „Natürlich wird es um eine Mehrbelastung der Länderhaushalte gehen, und natürlich wissen auch wir, dass die Haushalte durch die derzeitigen Krisen stark belastet sind. Die Länder müssen bei der Ablösung im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit handeln können.“

Unruh ist Teil der kirchlichen Delegation bei den Beratungen zwischen Bund, Ländern und den Kirchen. Er sagt, die bisherigen Beratungen seien auf der sachlichen Ebene so erfolgversprechend wie noch nie. Sie hätten das konkrete Ablösungsmodell noch offengelassen. Er gehe aber davon aus, dass auch darüber Einigkeit erzielt werden könne. Den Kirchen sei wichtig – und das sei auch historisch so gewollt –, dass die Ablösung es ihnen ermögliche, die Aufgaben, die bisher mit den Staatsleistungen erfüllt wurden, auch künftig erfüllen zu können. Die Ablösung müsse dazu führen, dass die Kirchen einen Kapitalstock hierfür aufbauen können, erläuterte Unruh.

Eine Einmalzahlung in Milliardenhöhe nannte Unruh allerdings „unrealistisch“, da sie eindeutig eine Überforderung der Länderhaushalte bedeute. Deswegen werde über eine deutliche zeitliche Streckung der Ablösung nachgedacht. Die Länder könnten beispielsweise für etwa 40 Jahre jährlich den doppelten Betrag der in den Staatskirchenverträgen festgeschriebenen Staatsleistungsbeträge zahlen, sagte Unruh.

Langfristige Vorteile

Der Vorteil für die Kirchen bestehe dann darin, dass sie aus den weiter fortgezahlten Staatsleistungen ihre laufenden Aufgaben finanzieren und gleichzeitig einen Kapitalstock aufbauen könnten. Für die Länder, so Unruh, bedeute der Vorschlag zwar temporär erhöhte Verpflichtungen, die aber Planungssicherheit versprächen und auf etwa vier Jahrzehnte begrenzt seien. Danach trete dauerhaft eine deutliche Entlastung der Länderhaushalte ein. Aber dieser Vorschlag hat es in sich: Vierzig Jahre lang das Doppelte zahlen, statt die Staatsleistungen abzubauen – beziehungsweise um sie erst dann zu beenden? Auch hier: Ist das politisch-gesellschaftlich durchsetzbar?

Politisch liege der Ball zur Fortführung der Beratungen über den Entwurf eines Bundesgrundsätzegesetzes für die Ablösung der Staatsleistungen jedenfalls nun im Spielfeld des Bundes, betonte Unruh. Die Kirchen begleiteten diesen Prozess „ablösungsfreundlich“. Er hoffe aber, dass es gelingen könne, die Länder an den Verhandlungstisch zurückzuholen, wenn man ihnen die langfristigen Vorteile der Ablösung verdeutliche. Bevor nicht die Landtagswahlen in Bayern und Hessen am 8. Oktober vorbei und die Machtverhältnisse dort klar sind, wird wohl kein neuer Schwung in die Beratungen kommen – egal wie sehr die Kirchen den Bundesländern entgegenkommen. Letztlich können auch die Wähler mit ihrem Kreuz beeinflussen, ob auch bei diesem Thema Bewegung in die politisch festgefahrene Situation kommen soll. 

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