Keine Frage der Moral

Ein Plädoyer für mehr Rationalität im Klimadiskurs
Solaranlage auf der evangelischen Dreifaltigkeitskirche in Mittenwald
Foto: Stephan Kosch
Solaranlage auf der evangelischen Dreifaltigkeitskirche in Mittenwald.

Die zurückliegende Fastenzeit war für viele Christen auch eine Zeit des intensiven Klimaschutzes, nämlich für diejenigen, die sich für das „Klimafasten“ entschieden haben. Weniger fliegen, weniger Fleisch und weniger Ressourcenverbrauch standen auf dem Programm. Doch Georg Raatz, Privatdozent für Systematische Theologe (Leipzig), meint, dass das Reduzieren des eigenen CO2-Verbrauches ökologisch wenig effektiv sei, wenn es nicht durch eine globale Klimaschutzpolitik unterstützt werde. Er empfiehlt den Kirchen, weniger moralisch zu argumentieren.

Was würden Sie tun, wenn Sie in den Kollektenbeutel 5 Euro werfen würden und die Person hinter Ihnen nimmt das Geld wieder heraus? Zunächst würden Sie diese Unglaublichkeit nicht wahrhaben wollen. Stimmt das? Das kann nicht stimmen! Die, die das beobachtet haben wollen, müssten Sie erst von diesem Skandal überzeugen. Sollten Sie irgendwann von der Richtigkeit dieser Frechheit überzeugt sein, würden Sie darauf dringen, dass dies künftig unterbleibt; oder Sie würden ihren Beitrag zur Kollekte einstellen. 

Diesen Vergleich zieht der Ökonom Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung/München, um seine Leser oder Zuhörer von der Sinnlosigkeit einer unilateralen Klimapolitik zu überzeugen. Sinn hat seine Thesen erstmals in seinem Buch „Das grüne Paradoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik“ (1. Aufl. bereits 2008) veröffentlicht und seitdem in zahllosen Vorträgen erläutert, von denen viele bei Youtube nachzuhören sind. Ich beschäftige mich mit diesem Thema seit einigen Jahren und bin der Überzeugung, dass Sinns Thesen im Klimadiskurs stärker berücksichtigt werden müssten. 

Ölförderung steigt stetig

Man muss eigentlich nur ein paar Gedankenschritte nachvollziehen, um den Mechanismus zu verstehen: 

Mineralöl ist ein weltweit gehandeltes Gut, bei dem zwar der Preis stark schwankt, die Fördermenge aber konstant seit über 40 Jahren geringfügig steigt. Bei Konjunktur- und Nachfrageschwankungen, die immer irgendwo auf der Erde stattfinden, fallen Kunden aus, die Nachfrage sinkt also und damit auch der Preis. Dafür steigen nun andere Marktteilnehmer ein und kaufen die freigewordenen Kontingente restlos auf. Steigt hingegen die Nachfrage weltweit, steigt lediglich der Preis, aber die Fördermenge bleibt konstant. Weil das so ist, kommt es zum neuen Gleichgewicht erst, wenn der steigende Preis andere Nachfrager verdrängt hat. 

Der Grund für die über Jahrzehnte hinweg nicht vorhandene Preiselastizität der Ölproduktion liegt in dem Umstand, dass es sich beim Öl nicht um ein Produktionsgut, sondern um eine natürliche Ressource handelt, deren Explorations- und Extraktionskosten für sich gesehen sehr niedrig sind (3 bis 15 Dollar/Barrel). Die relativ hohen Preise ergeben sich lediglich über die Endlichkeit der Ressource, die Knappheit und Nachfrage. Bekanntlich schwankt der Rohölpreis extrem, zwischen 30 und 150 Dollar/Barrel.

Dem Weltmarkt ist es egal, ob Nachfrage regional konjunkturell oder aus klima- und energiepolitischen Gründen einbricht – solange andere einspringen. Derzeit werden noch alle klimaschutzinduzierten Einsparungen komplett kompensiert; alles, was der eine einspart, bläst ein anderer in die Luft. Wer sich die Kurven zur Ölförderung seit ca. 1983 anschaut, wird dies bestätigt finden. Die weltweiten Klimaschutzmaßnahmen schlagen sich jedenfalls bislang an keiner Stelle nieder. Die Kurven gehen unbeirrt und gleichmäßig nach oben – und mit ihnen der CO2-Ausstoß. Denn alles, was gefördert wird, wird auch verbrannt. Der Zusammenhang, der beim Öl beobachtet wird, gilt grundsätzlich in ähnlicher Form für alle weltweit gehandelten Brennstoffe: Gas, Erdöl und Steinkohle. Er gilt aber nicht bei der Braunkohle, denn die wird wegen der hohen Transportkosten nicht weltweit gehandelt, sondern in aller Regel vor Ort in Strom verwandelt.  

Angebotsseite berücksichtigen

Diese Tatsache wird, so Sinn, in der deutschen öffentlich wahrnehmbaren Debatte in der Regel ignoriert, weil nur die Nachfrageseite ins Kalkül gezogen und an dieser Schraube gedreht wird in dem Glauben: Wenn wir herkömmliche Energie sparen oder durch erneuerbare ersetzen, wird auch weniger CO2 ausgestoßen. Aber Pustekuchen: Denn die Angebotsseite, also die Ölscheichs, Gasoligarchen und Steinkohlebarone gehören in die Gesamtrechnung. Und diese verhalten sich ganz anders, als wir es uns wünschen. 

Dieser deprimierende Weltmarktmechanismus bildet aber nur die Grundlage des Arguments. Denn das ist noch nicht das Grüne Paradoxon, der im Titel des Buches von Hans-Werner Sinn genannt wird. Paradox sind erst folgende Effekte und negative Folgeerscheinungen: 

  1. Wenn die genannten Anbieter bei fallenden Preisen ihr Produkt verkaufen, am Ende jedoch ihre Einkommen konstant halten wollen, müssen sie sogar mehr fördern als vorher. Man kann beinahe von Glück sagen, dass sich bislang die Fördermengen bei Erdöl und Erdgas unbeeindruckt vom Preis nur geringfügig konstant erhöhen. 
  2. Wenn die Anbieter den grünen Trend als Bedrohung registrieren und prognostizieren, dass ihr Geschäftsmodell im worst case nur noch einige Jahre funktioniert, holen sie vorher so viel wie möglich aus der Erde. Dass dies nicht unwahrscheinlich ist, belegt der Umgang Norwegens mit seinen Erdölvorkommen. 
  3. Wenn energieintensive Industrien aufgrund der extrem hohen Energiekosten in Deutschland von hier abwandern, hat das den doppelt negativen Effekt, dass zum einen die Produktion an anderen Standorten in der Regel mit schmutzigeren Energien erfolgt und dass zum anderen Deutschlands Industrie schrumpft. 
  4. Die extrem hohen deutschen Energiekosten haben zudem den negativen Effekt, dass die Vision einer boomenden deutschen Industrie grüner Energietechnologien desillusioniert wurde. Denn auch alternative Energietechnologien benötigen in der Herstellung Energie und können in Deutschland nicht mehr profitabel und zu weltmarktfähigen Preisen angeboten werden. Stattdessen kann nun China fossile Brennstoffe zu klimapolitisch induziert niedrigeren Preisen kaufen und die mit diesen hergestellten PV-Anlagen, Batterien und Windkraftanlagen an klimaschützende Länder zu moderaten Preisen verkaufen. 

    Moralisches Papierkorbargument

Im Ganzen ergeben sich folgende Effekte: 1. Die deutschen Klimaschutzmaßnahmen haben hinsichtlich des globalen CO2-Ausstoßes einen Effekt von ca. 0,0 Prozent; unter Umständen forcieren sie sogar den Klimawandel. Die Maßnahmen kosten 2. viel Geld, belasten unsere Volkswirtschaft und die Privathaushalte. Von erneuerbaren Energien profitieren wirtschaftlich 3. insbesondere diejenigen Länder, die sich bislang um Klimaschutz nicht so sehr scheren. 

Es sei noch einmal betont: Es geht nicht um das häufig vorgetragene Argument, Deutschland könne ohnehin nur max. 1,5 bis 2 Prozent der weltweiten CO2-Emmissionen einsparen und das sei vernachlässigbar. Dies wäre immerhin ein Beitrag, den wir zu leisten verpflichtet sind. Hier würde das moralische Papierkorbargument greifen: Auch wenn andere es nicht tun, ich werfe mein Taschentuch in den Papierkorb; ein kleiner, aber ein Beitrag. Wie bei der Kollekte ist es jedoch so, dass statt meiner ein anderer ein Taschentuch mehr auf die Straße wirft oder den Papierkorb umstößt. Das Argument besteht also darin, dass wir im aktuellen globalen energiewirtschaftlichen Kontext nicht einmal einen geringen Beitrag leisten können – und dies ist bei den enormen Kosten zu wenig. Es nützt niemandem, nicht dem Klima und am wenigsten Deutschland, wenn die deutsche Volkswirtschaft und die Bürger durch extrem hohe Energiekosten belastet werden. Und auch das gute Gefühl, das wir dabei haben, mag angenehm sein; aber es ist zu teuer erkauft. 

Es wird ungeachtet alldessen oft behauptet, dass doch trotzdem jemand anfangen müsse, auch wenn die anderen nicht gleich mitmachen. Man müsse Vorbild sein! Das Urteil jedoch, ob etwas oder jemand ein positives Vorbild abgibt, wird nicht vom Akteur entschieden, sondern vom Beobachter, und es hängt nicht am guten Zweck und Willen, sondern an der Effizienz der Mittel. Funktioniert das, was die Deutschen machen? Wird das Ziel erreicht? 

Sieben Anregungen

Das heißt aber nicht, dass man nichts tun sollte und könnte. Dazu einige konstruktive Anregungen, die zum Teil auch auf Hans-Werner Sinn zurückgehen: 

  1. Klimapolitik erfolgt derzeit hauptsächlich als Energiepolitik. Stattdessen sollten zwei andere Politikbereiche in den Mittelpunkt treten: Zum einen eine noch kraftvollere internationale Klimapolitik. Denn nur ein Club der großen Player – Europa, USA, China, Indien, Brasilien, Russland – wäre in der Lage, die Energiepolitik maßgeblich zu gestalten und andere Länder zum Mitmachen zu zwingen. Dazu gehört ein CO2-Preis und ein möglichst weltweiter und sektorübergreifender Emissionshandel. Dadurch würden einerseits die externalisierten Umwelteffekte wieder in den Markt internalisiert werden; und andererseits wäre – und dies ist ebenso wichtig – gewährleistet, dass die geringsten Kosten für die CO2-Vermeidung entstehen. Dies könnte keine Ordnungs- und Subventionspolitik leisten. Das ist eine Mammutaufgabe. Wenn die Verhandlungen von Kyoto bis Paris mit über 160 Ländern bislang nicht zum Erfolg geführt haben, so scheint das Club-Modell als Klimaschutzkartell einen kraftvollen Versuch wert zu sein, um dann Druck auf den Rest auszuüben (CO2-Zölle auf Importe etc.). Deutschland und Europa müssten zum anderen viel von dem vielen Geld, das derzeit in eher ineffiziente Klimaschutzmaßnahmen fließt, in Wissenschaft, Forschung und Innovation investieren. Dies betrifft Verfahren zur Abspaltung von CO2 aus der Luft (Direct Air Capture), Aufspaltungstechnologien von CO2 in Kohlenstoff und Sauerstoff und die Sequestrierung von CO2 im Meeresboden. Zudem müsste Deutschland wieder in die Kernenergieforschung einsteigen, wo wir einstmals führend waren. Übrigens die statistisch sicherste Energiequelle pro erzeugter Energieeinheit – und dies ohne die Opfer des Klimawandels gerechnet (s. u.a. www.statista.com). Während im deutschen Strommix immer noch einige hundert Gramm CO2/Kilowattstunde ausgestoßen werden, liegt der Wert in Frankreich konstant bei unter 50 Gramm. 
    Schließlich bedarf auch der wichtige Sektor der Speichertechnologien weiterer Forschung und Effizienzsteigerung. Dies betrifft die Herstellung von Wasserstoff ebenso wie von synthetischen Kraftstoffen aus CO2 bzw. recyceltem Kohlenstoff. 

     

  2. Damit kein Missverständnis aufkommt: Auch der Ausbau erneuerbarer Energien wie Photovoltaik, Windkraftanlagen etc. ist wichtig; der Fokus müsste jedoch statt auf Masse darauf liegen, wie sie möglichst effizient eingesetzt werden und im Sinne lernender Technologien verbessert werden können. Die Quantität nach oben zu skalieren ist erst dann wirklich sinnvoll, wenn im Klimaclub die hohen Kosten weltweit anfallen und im Wettbewerb nicht die Klimaschutzvorreiter über Gebühr und einseitig belasten. Denn es kann nicht genug betont werden: Die oft behaupteten niedrigen Kosten erneuerbarer Energien dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in die Realkosten immer auch die Kosten der strukturell notwendigen komplementären grundlastfähigen und regelbaren Kraftwerke eingerechnet werden müssen, die einspringen, wenn wenig Wind weht und keine Sonne scheint. Diese Doppelstruktur ist es u.a., die die Energiewende so teuer macht. 

     

  3. Grundsätzlich wäre es eine effektive Maßnahme, alle Rohstoffe, über die wir selbst in Deutschland oder Europa verfügen, nicht zu verbrennen oder zu verkaufen. Denn der Kohlenstoff, der dann im Boden bleibt, kann von niemandem auf der Welt verbraucht werden. Überhaupt wäre es effektiv, dass alle klimaschutzorientierten Länder alle ihre fossilen Ressourcen im Boden lassen und stattdessen ihren Bedarf am Weltmarkt kaufen. Es kommt also immer darauf an, dass die Eigentümer der fossilen Bodenschätze handeln und nicht nur einzelne Nachfragergruppen. Anbieter fossiler Brennstoffe können unilateral etwas erreichen, Nachfrager nicht. Mit der Angebotsverknappung würden die Preise steigen, andere Abnehmer verdrängen und im besten Falle die Fördermengen sinken. Es ist daher besonders misslich, dass seit dem Russland-Ukraine-Krieg bei uns die Braunkohlekraftwerke wieder auf vollen Touren laufen und einige sogar wieder aktiviert worden sind. Denn gleichzeitig wird das russische Gas anderswohin verkauft – und verbrannt. 
    Zudem sollte kein Holz (Pellets etc.) verbrannt werden. Denn Holz bzw. Bäume bilden weltweit einen großen CO2-Speicher. Stattdessen sollte der Bau von Häusern aus Holz verstärkt werden; hier wäre das CO2 gebunden und versiegelt. Dies hätte den Nebeneffekt, neue Bäume nachpflanzen zu müssen, die recht bald mehr CO2 aufnehmen als alte Baumbestände. Dass in der EU die Holzverbrennung immer noch als erneuerbare Energie deklariert wird, müsste aufgehoben werden. Die Diskussion läuft bereits. 

     

  4. Aktuell ist es besonders gefährlich, dass Kohlekraftwerke weltweit eine Renaissance erfahren. Dies liegt u.a. an den hohen Gaspreisen. Europaweit sollte dahin gewirkt werden, dass wenigstens Braunkohlekraftwerke durch Gas- und moderne Atomkraftwerke ersetzt werden. Denn Braunkohle wird nicht am Weltmarkt gehandelt. Dies sind zwar nicht die ganz großen Schritte, aber zumindest kleine Schritte, die wenigstens kleine Effekte hervorbringen, was man über die Nachfragepolitik partout nicht sagen kann. 

     

  5. Wie bereits angedeutet, sind zahlreiche konkrete Maßnahmen in Deutschland unverhältnismäßig teuer. Neben der kompletten Umstellung von Kohle auf Gas oder gar erneuerbare Energien, wäre es schon ein großer Schritt, den Einbau von CO2-Filtern bzw. Abscheideeinrichtungen an Kohlekraftwerken weltweit zu fördern. Dies ist billig und wirkt sofort. Wenn das Klima global ist, dann sollte auch die deutsche Klimapolitik globaler denken. Wo das CO2 am Ende eingespart wird, ist völlig egal. 

     

  6. Anbietern von fossilen Energieträgern muss die Angst vor der Zerstörung ihres Geschäftsmodells genommen werden; grünes Säbelrasseln ist kontraproduktiv. Durch die auch künftig notwendige Komplementarität von erneuerbaren Energien (v.a. Sonne und Wind) und grundlastfähigen Energien werden noch sehr lange fossile Brennstoffe benötigt. Eine Garantie langfristiger Abnahmequoten etwa für die Chemieindustrie könnte den Effekt haben, dass die Anbieter die Fördermengen senken. Das hat ein Schüler von Hans-Werner Sinn, Prof. Kai Konrad (Direktor am Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen in München), vorgeschlagen. 

     

  7. Schließlich würde der Schutz des Regenwaldes vor Rodung und Verbrennung wie auch Aufforstung helfen, den CO2-Gehalt der Luft zu verringern. Immerhin entfallen ca. 20% des CO2-Aufkommens auf Brandrodung und Holzverheizung. 

Die Tugend bei der wichtigen und komplexen Aufgabe ist nicht Unbeirrbarkeit, sondern die Bereitschaft zu trial and error. Man muss auch von liebgewonnenen Wegen umkehren können, wenn sie sich als Sackgasse erwiesen haben. Es gibt kein Patentrezept, keine silver bullet. Und in dieser Sache der weltweite Musterknabe und das Vorbild sein zu wollen, zeugt eher von Hybris als von der notwendigen Demut angesichts der Größe der Herausforderung.  

PV-Anlage lohnt sich

Was können die Kirchen tun? Zunächst muss festgehalten werden: Während die volkswirtschaftliche und globale Bilanz in Sachen Klimaschutz eher schlecht ist, sieht dies auf betriebswirtschaftlicher Ebene ganz anders aus. Es lohnt sich für kleine wirtschaftliche Einheiten wie Privathaushalte oder Kirchengemeinden durchaus, Strom zu sparen, eine PV-Anlage aufs Dach zu setzen, Anteile an einem Windpark zu halten und auf alternative Heizungsaggregate umzurüsten. Auch E-Autos sind effektiv, wenn man den Strom selbst produziert. Dies ist alles sinnvoll – aber eben leider vorerst nur betriebswirtschaftlich. 

Was wir als Kirche wohl eher weniger tun sollten: noch mehr Appell und Moral ins ohnehin gesinnungsethisch und ideologisch aufgeladene Klimadiskurssystem einspeisen, wenn damit nur noch mehr Aktionismus erzeugt wird. Im Kant-Jubiläumsjahr könnte man sagen: Es geht nicht so sehr um kategorische Aussagen und Urteile über gute Ziele, sondern vielmehr um kluge Zweck-Mittel-Kalkulationen. Wenn ein Zweck allgemein für gut befunden wird, ist noch lange nicht ausgemacht, welche Mittel den Zweck erfüllen. Und ein noch so guter Zweck heiligt keineswegs unzweckmäßige Mittel. 

Stattdessen könnten die Kirchen aus ihrer reichen religiösen und theologischen Intelligenz schöpfen. Dies betrifft das Wissen um die Ambivalenz menschlicher Existenz unter den Bedingungen der Endlichkeit. Gottes Schöpfung und unser Beitrag sind komplex: Zu dieser Komplexität gehört die Gesamtheit aller sozialen Systeme, ungewollter Folgen und Wechselwirkungsprozesse. Schöpfungstheologisch und im Geiste unserer universalistischen Religion des Christentums wäre es ratsam, sich der Partikularität nationaler Klimapolitik bewusst zu werden. Und schließlich dürfen wir als Schöpfungsgabe nicht nur die Natur begreifen, sondern auch unseren Geist und Verstand. Die Bewahrung der Vernunft und eines kühlen Kopfes angesichts der großen Herausforderung des Klimawandels wäre gewiss eine angemessene Form der Bewahrung der Schöpfung. „Prüft aber alles und das Gute behaltet.“ (1. Thess 5,21) Es ist ethisch keineswegs verwerflich, nüchtern zurückzublicken, den bisherigen Weg zu prüfen und zu fragen, ob wir damit dem Ziel nähergekommen sind. 

 

Literatur- und Medienempfehlungen: 

Hans-Werner Sinn, Das grüne Paradoxon: Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik, Weltbuch-Verlag 2020. 

Hans-Werner Sinn, Vortrag: Wie retten wir das Klima und wie nicht? (https://www.youtube.com/watch?v=DKc7vwt-5Ho) Ottmar Edenhofer und Matthias Kalkuhl, Das „Grüne Paradoxon“ - Menetekel oder Prognose?, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (https://www.pik-potsdam.de/members/edenh/publications-1/edenhofer_kalkuhl_gruenes-paradoxon)

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Georg Raatz

Georg Raatz ist Privatdozent für Systematische Theologe in Leipzig und Referent für Bildung, Seelsorge und Generalsynode bei der VELKD in Hannover.

 


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