Eine Dekaden-Aufgabe

Krankenhäuser: Transformation der Versorgung statt Revolution der Finanzierung
In der COVID-19-Pandemie ist die Belegung der Krankenhausbetten im Vergleich zu 2019 um 20 Prozent gesunken. Das kann ein Hinweis auf Überkapazitäten sein.
Foto: dpa
In der COVID-19-Pandemie ist die Belegung der Krankenhausbetten im Vergleich zu 2019 um 20 Prozent gesunken. Das kann ein Hinweis auf Überkapazitäten sein.

Die Bundesregierung plant zum 1. Januar 2024 eine Krankenhausreform. Danach sollen Krankenhäuser nicht mehr pro Fall bezahlt werden. Dies wird am Ende zu einer Konzentration und Spezialisierung im Klinikwesen führen. Warum, das erläutert Christoph Radbruch, Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes.

Im deutschen Gesundheitswesen sind verschiedene Akteure auf vielfältige Weise miteinander vernetzt. Das Ergebnis sind komplexe, oft verwirrende Strukturen. Dies gilt auch für die Einbindung der Krankenhäuser in das Gesundheitssystem. Daher ist die Reform der Krankenhausfinanzierung ein komplexes Thema und zugleich ein weiteres Glied in einer langen Kette von Bemühungen, die Kosten im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen.

Im Jahr 2021 betrugen die Gesundheitsausgaben in Deutschland 474 Milliarden Euro. Für das laufende Jahr wird erwartet, dass sie die Schwelle von 500 Milliarden Euro überschreiten. Dies entspricht mittlerweile 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Parallel dazu sind die deutschen Krankenhäuser finanziell in einer prekären Situation: Laut der aktuellen Krankenhausstudie von Roland Berger machte bereits im Jahr 2022 mehr als die Hälfte der Krankenhäuser Verluste. Angesichts der allgemeinen Preissteigerungen und insbesondere der ungedeckten steigenden Personalkosten wird sich dieser Trend weiter verstärken, denn im stark regulierten Gesundheitssystem können die Krankenhäuser höhere Kosten nicht durch höhere Preise auffangen.

Für die Krankenhäuser hat das je nach Träger unterschiedliche Folgen: Universitätsklinika sind als Landesbetriebe nicht insolvenzfähig. Daher hat beispielsweise das Land Sachsen-Anhalt für seine Universitätskliniken im Jahr 2021 ein Minus in Höhe von 74 Millionen Euro auffangen müssen. Bei kommunalen Krankenhäusern wird die Politik vor Ort nicht zulassen, dass sie schließen. In Berlin sind im aktuellen Haushalt zum Beispiel zusätzlich 224,9 Millionen Euro für den Ausgleich von Defiziten und weitere Investitionen für den landeseigenen Klinikverband Vivantes vorgesehen. Bei konfessionellen Krankenhäusern ist es nicht möglich, dass die Kirche benötigte Finanzmittel bereitstellt. Private Träger entscheiden sich bei unwirtschaftlichen Krankenhäusern zur Schließung.

Reduzierte Kapazitäten

Am Nikolaustag vergangenen Jahres stellte der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die von einer Regierungskommission erarbeiteten Reformvorschläge zur Krankenhausfinanzierung vor. Motiviert sind diese durch die hohen Kosten im Gesundheitswesen, die aus Sicht der Kommission weder politisch noch wirtschaftlich tragbar seien. Das Herzstück der Vorschläge ist eine bundeseinheitliche Krankenhausplanung mit Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Sie sollen dazu führen, dass sich die vorhandenen Finanzmittel auf weniger Krankenhäuser verteilen und die betriebswirtschaftliche Effizienz durch die Konzentration auf größere Krankenhäuser mit etwa 600 Betten verbessert wird.

Es herrscht weitgehende Übereinstimmung darüber, die verfügbaren Kapazitäten zu reduzieren. Die Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie haben dieses Anliegen noch deutlicher in den Fokus gerückt, da die Belegung der Krankenhausbetten während der Pandemie im Vergleich zu 2019 um 20 Prozent gesunken ist. Das könnte ein Hinweis auf Überkapazitäten sein. Darüber hinaus führt der medizinische Fortschritt dazu, dass künftig bis zu 20 Prozent der bisher stationären Fälle ambulant versorgt werden können.

Ein Vorschlag der Regierungskommission war die Einteilung der Krankhäuser in einheitlich definierte Level beziehungsweise Versorgungsstufen. Damit verbunden war die Vorgabe, nur noch solche Leistungen zu erbringen, die der eigenen Versorgungsstufe zugeordnet sind. Eine Wirkungsanalyse hat ergeben, dass dies zu einem Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft geführt hätte. Die Zuordnung der Geburtsstationen zu Krankenhäusern der Schwerpunkt- oder Maximalversorgung hätte in Nordrhein-Westfalen beispielsweise dazu geführt, dass von 137 Standorten mit einer Geburtshilfe nur 35 Standorte übriggeblieben wären. 70 Prozent der werdenden Eltern hätten sich eine andere Entbindungsklinik suchen müssen, und Geburtsstationen wären meist nur noch in kommunalen Großkrankenhäusern angesiedelt gewesen. Die meisten evangelischen Krankenhäuser wären entweder zu ambulant-stationären Zentren abgewertet worden oder hätten schließen müssen.

Nicht nur die Krankenhäuser, auch die Bundesländer protestierten gegen diese starre Einteilung in Level, da diese Regelung in die Verantwortlichkeit der Länder bei der Krankenhausplanung eingegriffen hätte. In einem intensiven Abstimmungsprozess haben sich Bund und Länder daher auf Eckpunkte für die Reform geeinigt: Die Zuordnung der Krankenhäuser zu starren Versorgungsstufen ist dabei ausdrücklich ausgeschlossen worden. Um konsensfähig zu sein, bleibt das Eckpunktepapier in vielen Fragen offen und interpretationsbedürftig. Dennoch ist es die Grundlage für den in diesem Sommer zu erarbeitenden Gesetzesentwurf.

Die Gesundheitsminister einigten sich auf die bundesweite einheitliche Einführung von Leistungsgruppen, die die medizinischen Fachgebiete und Unterdisziplinen abbilden. Alle Leistungsgruppen sind an konkrete Qualitätsindikatoren wie Mindestmenge, Qualifikation und Verfügbarkeit des Personals und Geräteausstattung geknüpft. Auch die Vorhaltung verwandter Leistungsgruppen am selben Standort ist von Bedeutung. Das wird zu einer Konzentration und Spezialisierung führen.

Offenes Eckpunktepapier

Evangelische Krankenhäuser haben aufgrund ihrer Geschichte und der regionalen Voraussetzungen keine einheitliche Struktur: Sie reicht vom Evangelischen Krankenhaus Bielefeld, das beispielsweise auch als Universitätsklinik fungiert, über wenige Standorte in ländlichen Regionen bis hin zur überwiegenden Anzahl der Krankenhäuser in meist überschaubarer Größe in Ballungsgebieten. Diese Krankenhäuser bieten oft eine hochwertige medizinische Grundversorgung und spezialisierte Betreuung für bestimmte Krankheitsfälle an. Die Patientinnen und Patienten profitieren von den kurzen Wegen und engen persönlichen Kontakten zwischen allen Abteilungen. Rückfragen und konsiliarische Vorstellungen erfolgen oft unbürokratisch, die Zusammenarbeit reibungslos. Damit haben sie die richtige Größe, um Spitzenqualität mit Nähe zu verbinden. Das Markus-Krankenhaus in Frankfurt ist zum Beispiel das größte Brustkrebszentrum in Hessen. Das Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung am Klinikum in den Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg ist hinsichtlich der Versorgungszahlen das größte endoprothetische Zentrum in Sachsen-Anhalt und gehört zu den 30 größten zertifizierten Zentren in ganz Deutschland. So sind die meisten evangelischen Krankenhäuser für die Einführung von Leistungsgruppen mit Mindestmengen und anderen Qualitätsvorgaben gut gerüstet.

Die Vorhaltefinanzierung bildet einen weiteren zentralen Baustein im Eckpunktepapier. Sie soll das bisherige Vergütungssystem der Fallpauschalen ergänzen. Die im Jahr 2003 eingeführten Fallpauschalen sollten lange Krankenhausaufenthalte vermeiden und eine Vergleichbarkeit der Leistungen und Kosten zwischen den Krankenhäusern ermöglichen. Um die Pauschalen wirtschaftlich erbringen zu können, mussten Krankenhäuser Prozesse und Abläufe optimieren. Dadurch sollte die finanzielle Belastung der Krankenkassen reduziert werden. Die Fallpauschalen geben aber den Anreiz, mit möglichst geringen Kosten möglichst viele Fälle zu behandeln. Das soll nun durch die Einführung von Vorhaltekosten korrigiert werden. Unabhängig von der Leistung sollen das Vorhalten notwendiger Medizintechnik und Personalkosten finanziert werden. Die Festlegung, welche Krankenhäuser dabei berücksichtigt werden, ist eigentlich Aufgabe der Länder und ihrer Planung. Es ist aber zu vermuten, dass der Bund bei der Ausgestaltung der Vorhaltekosten seine Vorstellungen durch die Hintertür umsetzen will.

Durch die Hintertür

Grundsätzlich ist ein Wechsel von der eher an der Nachfrage orientierten Finanzierung durch Fallpauschalen hin zu einer am Angebot orientierten Finanzierung durch Vorhaltekosten geplant. Wurde bisher jede vom Patienten gewünschte und vom Arzt medizinisch befürwortete Behandlung bezahlt, wird jetzt die Vorhaltung von Kapazitäten finanziert. Ob die zur Verfügung stehenden Kapazitäten ausreichen, um die Nachfrage der Patientinnen und Patienten zu decken, hängt von den zur Verfügung gestellten Finanzmitteln ab. Sind diese knapp bemessen, werden Patientinnen und Patienten gezwungen sein, für stationäre Behandlungen lange Wege zurückzulegen, auf bestimmte Leistungen zu warten oder ganz zu verzichten. Wenn sich die Bedarfsplanung für das Angebot an stationärer Versorgung an der Kassenlage und nicht am medizinisch Notwendigen orientiert, wird die versprochene Entökonomisierung zu einer verdeckten Rationierung. Diese ist im vorgeschlagenen Finanzierungssystem viel einfacher zu verstecken als im bisherigen Fallpauschalen-System.

Verdeckte Rationierung

Evangelische Krankenhäuser behandeln besonders häufig vulnerable Patientinnen und Patienten wie behinderte Menschen, Demenzkranke oder chronisch kranke Menschen. Sie werden sich deswegen dafür einsetzen, dass die besonderen Bedürfnisse dieser Patientengruppen im neuen Finanzierungssystem berücksichtigt werden. Ein dritter Baustein des Eckpunktepapiers ist die Einführung von ambulant-stationären Zentren. Diese können mit den richtigen Rahmenbedingungen in Zukunft eine wichtige Rolle in der Krankenversorgung übernehmen. Im ländlichen Bereich muss den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt werden, dass innovative, stärker dem ambulanten Sektor zuzuordnende Einrichtungen die Grund- und Notfallversorgung ebenso kompetent erbringen wie Krankenhäuser. Im städtischen Raum sind ambulant-stationäre Zentren nicht nur in sozial benachteiligten Gebieten mit hoher Krankheitslast zu gründen, sondern auch in Vierteln mit einem hohen Anteil älterer Menschen, die im häuslichen Umfeld leben. Die Zentren könnten die fehlende soziale Unterstützung ausgleichen und die Nachsorge nach Krankenhausaufenthalten erbringen. Evangelische Krankenhäuser sind oft Teil einer diakonischen Leistungskette. Sie sind eng vernetzt mit stationären und ambulanten Angeboten in der Alten- und Behindertenarbeit sowie mit Kirchengemeinden und dem Gemeinwesen. Deswegen sind sie besonders geeignet, entsprechende neue und zusätzliche Versorgungs- und Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Evangelische Krankenhäuser sind Bestandteil eines im internationalen Vergleich immer noch guten Gesundheitswesens, das auf dem Prinzip der Solidargemeinschaft der Krankenkassenzahler beruht. Dieses System müssen wir jetzt reformieren, um es zu erhalten. Diese anspruchsvolle Aufgabe, das Gesundheitswesen zukunftsfähig aufzustellen, ist eine Dekaden-Aufgabe, die einen breiten gesellschaftlichen Konsens benötigt. Nötig ist nicht eine Revolution der Finanzierung, sondern eine Transformation der Versorgung. 

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.
Foto: DEKV / Hans-Christian Plambeck

Christoph Radbruch

Christoph Radbruch ist Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Krankenhausverband e.V. in Berlin.


Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Politik"