Tue Buße und rede darüber

Über die Spezialität der Buße im deutschen Recht
Der häufigste Grund für Bußgeldverfahren in Deutschland: zu schnell Auto fahren.
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Der häufigste Grund für Bußgeldverfahren in Deutschland: zu schnell Auto fahren.

Der Begriff der Buße hat auch in der Justiz seinen festen Platz. Wer kennt nicht die Geldbuße? Bettina Limperg, Präsidentin des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe und Herausgeberin von zeitzeichen, gibt einen Überblick über die gesetzliche Buße. Sie kritisiert, dass sich bei der Buße im Bereich von Gerichtsentscheidungen zu viel im Verborgenen abspielt.

Meine Überschrift ist falsch, und ich weiß natürlich, dass es eigentlich anders heißt: „Tue Gutes und rede darüber“ ist ein alter, nicht immer passender Satz, der vornehmlich von Menschen ausgesprochen wird, die sich mit viel Engagement einem Zweck zuwenden und dafür „Mittel“ benötigen. Seit ich über den Beitrag zu diesem Heft nachdenke, spukt mir aber der falsche Satz im Kopf herum: Tue Buße und rede darüber! Aber redet man über Buße?

Wenn man der Statistik des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache glaubt, dann ist der Begriff der Buße im Niedergang und nimmt die Frequenz der Verwendung nach einem Höchststand um 1600 bis zum 19. Jahrhundert kontinuierlich ab und verharrt seither auf eher niedrigem Niveau. Andererseits deuten Begriffe wie „Buße tun“, „ein Büßergewand anlegen“, „einen Bußgesang anstimmen“ oder „eine Bußprozession abhalten“ durchaus auf ein aktives und sichtbares Büßen, also auch ein Bekenntnis zum Gegenstand der Buße hin.

Die Buße wird in ihrer religiösen Bedeutung mit dem Gedanken der Umkehr von einem falschen Pfad oder zurück zu Gott verbunden. Für mich macht das die Buße zu einem sympathischen Begriff, denn er weist auf Erkenntnis von Schuld hin, und auch Verantwortungsübernahme schwingt mit. Zudem ist durch eine aktive Rolle des Büßenden auch eine gewisse Öffentlichkeit angelegt, anderes als bei Begriffen wie Scham oder Reue, die eher innere Vorgänge oder Gefühlslagen beschreiben.

Ganz im Gegensatz dazu verhält es sich im rechtswissenschaftlichen Umfeld des Begriffes. Die Geldbuße ist dort eher eine kleine Schwester der Geldstrafe. Die Geldbuße ist eine Geldzahlung, die bei eher geringfügigen Verletzungen von Rechtsnormen (Ordnungswidrigkeit) verhängt wird. Die Geldstrafe ist demgegenüber neben der Freiheitsstrafe die Sanktion für Verstöße gegen Strafrechtsnormen, die im Grundsatz schwereres Unrecht als das einer bloßen Ordnungswidrigkeit ahnden. Die Geldbuße kennt fast jede/r aus dem Verkehrsrecht, wo Geldbuße gelegentlich sogar mit einem Verwarnungsgeld nochmals abgemildert wird.

Über Geldbußen wird in vereinfachten schriftlichen Verwaltungsverfahren entschieden, wenn die betroffene Person nicht durch einen Einspruch auf ein gerichtliches Verfahren hinwirkt. Angelegt sind die Geldbuße und das Verfahren zu ihrer Ahndung auf massenhafte Verstöße, die letztlich der Öffentlichkeit eines Strafverfahrens weder bedürfen, noch in solchen Verfahren zu leisten wären. Dementsprechend werden Verstöße, die mit Geldbußen geahndet werden, von den Beschuldigten (die im Ordnungswidrigkeitsverfahren „Betroffene“ genannt werden) auch in der Regel eher sportlich genommen und führen damit weniger zu Buße und Umkehr als zu kurzem Ärger und einem „weiter so“ (mit etwas mehr Umsicht, was die Starenkästen angeht).

Erhebliches Aufkommen

Neben dem Straßenverkehrsrecht gibt es eine große Vielzahl von (Straf-)Rechtsgebieten, in denen die Geldbuße eine große Rolle spielt. Das betrifft den durchaus bedeutenden Bereich des sogenannten Nebenstrafrechts, zu dem alles gehört, was nicht im eigentlichen Strafgesetzbuch (StGB) erfasst ist. Dazu gehören so wichtige Bereiche wie die Abgabenordnung, das Asylgesetz oder das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, aber auch so erstaunliche Gesetze wie das Halbleiterschutzgesetz, das Flaggenrechtsgesetz oder das Grundstoffüberwachungsgesetz. Solche Gesetze haben in aller Regel am Ende einen gesonderten Teil, in dem die Straf- und Bußgeldvorschriften aus diesem Gesetz konzentriert zusammengestellt sind und bestimmten, meist spezialisierten Behörden zur Verfolgung zugewiesen werden.

Das Aufkommen solcher Bußgelder ist erheblich. Allein aus dem Verkehrssektor werden in den Bundesländern Einnahmen von teilweise über 250 Million Euro (Nordrhein-Westfalen, 2014) generiert, immerhin 0,36 Prozent des Gesamthaushaltes. Für die Kommunen sind die Einnahmen von besonderer Bedeutung, gesprochen wird gelegentlich von den „Blitzer-Millionären“; so wird die Hansestadt Hamburg als Spitzenreiter 2021 mit Einnahmen von 18,8 Million Euro geführt.

Das allerdings sind „Peanuts“ (wir erinnern uns an das Unwort des Jahres 1994, nachdem erhebliche Verluste im mittleren zweistelligen Millionenbereich vom Vorstandssprecher der Deutschen Bank als „Peanuts“ bezeichnet wurden und seither als Ausdruck überheblicher Ignoranz in den Sprachgebrauch eingegangen sind – und bei dem das Gegenteil von Bußfertigkeit mitschwingt) gegenüber den Millionenbußgeldern, die beispielsweise vom Bundeskartellamt gegen Unternehmen wegen Wettbewerbsverstößen angedroht oder verhängt werden.

Mit diesen Geldbußen hat es eine besondere Bewandtnis: 2005 wurde der sogenannte Bußgeldrahmen, also die Spanne zwischen niedrigster und höchster Geldbuße, an die europäische Rechtspraxis angepasst und damit erheblich ausgeweitet. Statt definierter Höchstbeträge ist seither eine Geldbuße in Höhe von bis zu zehn Prozent des Umsatzes eines Unternehmens möglich. Das führte beispielsweise im sogenannten Zementkartell zu seinerzeit sensationellen Gesamtbußgeldern in Höhe von 396 Millionen Euro, darunter die höchste Einzelbuße von 175 Millionen Euro. Diese Margen werden mittlerweile durchaus nicht mehr nur vereinzelt erreicht und führen zu einer wirklich spürbaren Sanktion.

Das wird besonders wichtig, wenn man zugleich weiß, dass der Einzelhöchstbetrag eines Bußgeldes gegen eine sogenannte natürliche Person – „ich bin ein Mensch“ – im Kartellverfahren lediglich eine Million Euro (Peanuts!) beträgt. Dass nur im Bußgeldverfahren auch ein Unternehmen statt einer Person „Betroffener“ sein kann, hat mit einer Besonderheit des deutschen Strafrechts zu tun: Da das Strafrecht vom Schuldprinzip beherrscht wird und diese Schuld einzelnen Menschen zugeordnet werden muss (da eine andere, insbesondere juristische Person wie ein Unternehmen kein sozialethisches Bewusstsein haben und sich somit auch nicht im Sinne einer Schuld gegen das Recht entscheiden kann), kann man Strafen nach dem Strafgesetzbuch nicht gegen Unternehmen aussprechen. Für das Bußgeldverfahren wird das anders gesehen und sind Unternehmen damit als solche bestrafbar (richtiger gesagt: bebußbar). Dazu gibt es eine lange rechtspolitische Debatte, die an dieser Stelle nicht wiederholt werden soll.

Systemische Verantwortungslosigkeit

Wichtig ist, dass deshalb das Ordnungswidrigkeitenrecht in diesem Bereich ganz praktisch und faktisch eine enorme Bedeutung erlangt hat, die über die eigentliche Ahndungsidee in diesem „Strafverfahren light“ bei weitem hinausreicht und bei zugegeben großer Effizienz des Verfahrens zu einer deutlichen Unwucht führt. Was ich mit Unwucht meine, möchte ich an drei Aspekten deutlich machen:

Erstens: Das Ausweichen in die Sanktion des „entpersonalisierten“ Unternehmens führt zu einer – an dieser Stelle jedenfalls – systemischen Verantwortungslosigkeit. Es werden nicht die – zweifellos vorhandenen – menschlichen Fehlentscheidungen zugeordnet und pönalisiert, sondern das Unternehmen in einer amorphen Gesamtheit „bestraft“, richtigerweise nur „bebußt“. Das hat sowohl spezial- als auch generalpräventive Effekte, die solcherart Vergehen für die handelnden natürlichen Personen lässlicher erscheinen lassen, als sie es angesichts ihrer teilweise dramatischen Folgen für die Märkte und vor allem die Wettbewerber und Verbraucher sind. Die Menschen können aus solchen Verfahren unbemakelt hervorgehen.

Zweitens: Die Verfahren finden zunächst und oft auch abschließend in einem schriftlichen und nicht öffentlichen Verwaltungsverfahren statt, das nur bei einem Einspruch der Betroffenen zu einem dann öffentlichen Gerichtsverfahren führt. Tatsächlich ist aber die Neigung der betroffenen Unternehmen, sich mit einem Einspruch zu wehren, meist nicht sehr ausgeprägt. Denn gerade die dann öffentliche Debatte um die Geschehnisse könnte dem Goodwill der Firma schaden, und das wird abgewogen mit den durch die Behörde festgesetzten Sanktionsfolgen. Die Ahndung durchaus gravierender gesetzeswidriger Handlungen in einem letztlich geheimen Verfahren wiederum ist mit dem Wesen des Öffentlichkeitsgrundsatzes, der das deutsche Prozessrecht (eigentlich) beherrscht, nicht vereinbar.

Der Öffentlichkeitsgrundsatz besagt, dass im Grundsatz jede an einem Verfahren interessierte Person Zugang zu einer gerichtlichen Verhandlung haben muss. Das gilt insbesondere auch für Medienvertreter, die in besonderer Weise an der Multiplikation der verhandelten Gegenstände beteiligt sind und deren Aufgaben bei der Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger in einem demokratisch verfassten Rechtsstaat verfassungsrechtlich gesichert sind.

Historisch soll mit dem Öffentlichkeitsgrundsatz einerseits ein „Geheimverfahren“ zum Schutz der Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Beschuldigten verhindert werden. Zum anderen soll aber auch die Unabhängigkeit der handelnden Beteiligten gegen etwaige Eingriffe der Staatsgewalt geschützt werden. Und schließlich soll Transparenz in der Weise hergestellt werden, dass durch die Möglichkeit der Teilnahme auch das Vertrauen der Öffentlichkeit, also der Gesellschaft, in die Funktionen des Rechts und des Rechtsstaats gestärkt wird. Schließlich wird durch die Öffentlichkeit auch die besondere Verantwortung aller Verfahrensbeteiligter betont und gestärkt, die ihr Verhalten im Lichte der Wahrnehmung Dritter jederzeit erklären können müssen, das gilt namentlich für die staatlicherseits Beteiligten. Ausgeschlossen werden darf die Öffentlichkeit demzufolge nur zum Schutz besonders hochrangiger Rechte eines Verfahrensbeteiligten und nur für die Dauer, die dieses Interesse Geltung verlangt (also etwa nur für die Zeit der Aussage eines Opferzeugens oder zum Schutz von Interessen eines besonders schützenswerten Beteiligten, insbesondere im jugendgerichtlichen Verfahren). Solche Ausschlüsse bedürfen aber stets einer Begründung und sind im Rechtszug überprüfbar. Es wird davon (zurecht) auch nur sehr begrenzt Gebrauch gemacht.

Damit ist dem Öffentlichkeitsgrundsatz eine so wesentliche Funktion für den Rechtsstaat zugewiesen, dass das nicht öffentliche Ahnden von gravierendem Fehlverhalten in nicht-öffentlichen Verfahren aus Gründen der Transparenz vermieden, jedenfalls nicht zur Regel werden sollte.

Die Flucht ins nicht-öffentliche Verfahren führt im Übrigen – um nicht einseitig zu wirken – auch zu einer gewissen Unterlegenheit des Unternehmens. Im Bestreben, sich möglichst nicht in die Öffentlichkeit zu begeben, sind die Verteidigungsmöglichkeiten faktisch beschränkt; die Gefahr einer übergroßen Verhandlungsmacht der rechtsverfolgenden Behörde ist nicht zu unterschätzen, wenn – im Falle einer durch den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid dann doch öffentlichen Verhandlung – eine Sanktion akzeptiert wird, die dem betroffenen Unternehmen eigentlich als unangemessen erscheint. So können im Verborgenen Verhandlungen um das Strafmaß geführt werden, die nicht nur kein Vertrauen erzeugen, sondern letztlich auch tatsächlich ungerecht erscheinen können. Im Bereich des Strafrechts, also außerhalb des Ordnungswidrigkeitenrechts, hat aber das Bundesverfassungsgericht solche „Hinterzimmerverhandlungen“ um Rechtsfolgen einer Tat deutlich eingeschränkt und den sogenannten Deal zurecht als zwingend in öffentlicher Verhandlung offen zu legenden Verfahrensvorgang eingefordert.

Öffentlichkeit nötig

Auch abgesehen von diesen Erwägungen taugt das insgesamt weniger förmliche Bußgeldverfahren nicht zur Ahndung erheblichen Unrechts. Anders als im Strafverfahren ist das Gericht, nach einem Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid, beim Umfang der Beweisaufnahme freier als im Strafverfahren und kann nach seinem Ermessen entscheiden. Behördenerklärungen können leichter eingeführt werden. Anders als im Strafverfahren sind auch Verhandlungen in Abwesenheit der Betroffenen leichter möglich. Auch das ist nicht passend bei gravierenden Vorwürfen und hoher Sanktionsmöglichkeit. All das ist für Massenverfahren und geringere Sanktionen unerlässlich und rechtsstaatlich unbedenklich, bei gravierenden Rechtsfolgen ist es aber problematisch.

So gesehen, wird meine falsche Assoziation vom Anfang: „Tue Buße und rede darüber“ doch richtig: Das Bußgeldverfahren mit seinen Besonderheiten einerseits und gravierende Verstöße durch Unternehmen andererseits taugen angesichts der erheblichen gesellschaftlichen Bedeutung bestimmten Fehlverhaltens und seiner Sanktionen nicht für Verfahren, von denen die Öffentlichkeit zu Kontroll- und Vertrauenszwecken Kenntnis erlangen muss. Der Rechtsstaat sollte öffentlich verhandelt werden.

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Foto: BHG Karlsruhe

Bettina Limperg

Bettina Limperg (*1961) ist seit 2014 Präsidentin des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. 2021 war  evangelische Präsidentin des 3. Ökumenischen Kirchentages in Frankfurt/Main und seit 2023 ist sie Herausgeberin von zeitzeichen.


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