Wer sich in der Gegenwart mit dem Verhältnis von Kunst und Christentum beschäftigt, möchte in der Regel den in früheren Jahrhunderten entstandenen Graben zwischen Kunst und Kirche zugunsten neuer Möglichkeiten der Begegnung einebnen. Ich sehe zwei grundsätzliche Ansätze im aktuellen Nachdenken über Protestantismus und Kunst. Da gibt es zum einen den Versuch einer funktionalen Reintegration, die Besinnung auf die historischen wie aktuellen Gemeinsamkeiten und den Wunsch nach einer Art synästhetischen Zusammenklangs des Guten, Wahren und Schönen. Und auf der anderen gibt es die Besinnung auf das je Besondere, den Differenzierungsgewinn der Moderne, den Einsatz für den Versuch, Kunst und Religion zu sich selbst kommen zu lassen und in der Auseinandersetzung den gemeinsamen Gewinn zu sehen.
Beide Denkansätze haben ihren historischen Ansatzpunkt in der Zeit der Reformation. Anfang des 16. Jahrhunderts trennen sich die Wege von Kunst und Religion. Für die Kunst erschließen sich mit der säkularen Kultur neue Möglichkeiten und Auftraggeber. Die entstehende evangelische Kirche findet für ihre Anliegen andere Ausdrucksformen, vor allem in der Musik und in einer besonderen Form der Innerlichkeit.
Es gehört zu den bis heute kontrovers erörterten Fragen, wie man diese Entwicklung beurteilen soll. Man kann von einer ursprünglichen, in sich sinnvollen und notwendigen Verbindung von bildender Kunst und christlicher Religion ausgehen. Dann würde die Auflösung dieser Verbindung letztlich zur Schädigung von Religion und Kunst führen. Ohne Kunst wird die Theologie unsinnlich und der christliche Glaube individualistisch und unverbindlich. Die Kunst verliert auf der anderen Seite ohne christliche Theologie ihren Boden und wird zum subjektiven Spiel des Geschmacks. Träfe das zu, müsste man versuchen, das zu korrigieren und wieder an die ursprüngliche Einheit von Kunst und Kirche anknüpfen. Man kann aber auch die bis in die Zeit der Reformation bestehende enge Zusammenarbeit von Kunst und Kirche als eine mögliche, historisch gewachsene, aber theologisch wie ästhetisch nicht zwingende Verbindung ansehen.
Diese Beziehung erodierte schon im 14. Jahrhundert und zerbrach spätestens in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts endgültig. Und das daraus entstehende Verhältnis ist durch die reformatorische Theologie neu reflektiert worden. Der Protestantismus bekennt sich in dieser Perspektive zur Freiheit und Welthaftigkeit der Kunst.
Wer Aufklärung im Beziehungsverhältnis zwischen Kunst und Protestantismus leisten will, tut also gut daran, sich die Geschichte dieser Begegnung zu vergegenwärtigen. Schnell wird deutlich: Die verbreitete Assoziation von Protestantismus und Bilderfeindschaft ist falsch. Sie mag ihre Berechtigung im Blick auf Randphänomene und Einzelereignisse haben, aber für den Protestantismus an sich und seine theologischen Debatten ist sie unzutreffend. Die protestantische Kritik an den Bildern bezieht sich nahezu ausschließlich auf die religiöse Ingebrauchnahme der Kunst, ihrer säkularen Freisetzung hat sie dagegen (bewusst oder unbewusst) Vorschub geleistet.
Die radikal-kritische Auseinandersetzung des Protestantismus mit den Bildern kann sich vor allem auf Andreas von Bodenstein, genannt Karlstadt, berufen. Er war Martin Luthers Kollege an der Universität Wittenberg. 1522 veröffentlicht er die Schrift "Von abtuhung der Bylder; Und das keyn Bedler unther den Christen seyn soll", in der er seine Haltung erläutert. Karlstadt verweist auf das Bilderverbot im Alten Testament, auf Wort und Sakrament als einziger legitimer Vergegenwärtigung Gottes, auf den faktischen Umgang der Menschen mit religiösen Bildern, die eine Unterscheidung von "Anbetung" und "Verehrung" vermissen lasse und auf ihre Unzulänglichkeit, als Bücher der Laien zu wirken. Auch zur Erinnerung würden die Bilder kaum dienen, da die Menschen sich zu ihnen wie zu Fetischen verhalten würden.
Ästhetisch, nicht religiös
Karlstadts Argumentation läuft darauf hinaus, dass man Gott gibt, was Gott gebührt, und Bilder nicht mit religiösen Funktionen belastet. Bildern kommt keine Verehrung zu, sie sind keine heiligen Objekte, modern gesprochen: sie wollen ästhetisch, nicht religiös erfahren werden. Karlstadts Kritik trifft exakt die kultische Funktion der Bilder. Was ihn vor allen anderen Reformatoren auszeichnet, ist seine genaue Beobachtung des menschlichen Umgangs mit Bildern. Den Theologen interessiert nicht, ob Bilder in der Kirche theoretisch möglich und erlaubt sind. Vielmehr konzentriert er sein Augenmerk auf die Praxis der Leute, mit denen er zu tun hat. Und hier erweisen sich Bilder als Kultobjekte und ziehen Reaktionen wie Anbetung und Verehrung auf sich. Karlstadts Kritik und der von ihm mit bewirkte Bildersturm ist der Impuls für die protestantischen Bilderdebatten.
Luther geht die Bilderfrage dagegen unter völlig anderen Voraussetzungen an. Für ihn steht die Frage im Vordergrund, ob nach der Befreiung vom Diktat der guten Werke nun neue Gesetze die Christen gängeln sollen. Manche stürmten plötzlich Bilder, wie andere früher welche gestiftet hatten. Wenn aber Bilder stiften kein gutes Werk ist, dann sollte das Bilderstürmen nicht an dessen Stelle treten. Bilder sind "Adiaphora", das heißt sie sind "weder gut noch böse ... man lasse es frei sein, sie zu haben oder nicht zu haben".
Damit subjektiviert Luther den Umgang mit dem Bild, er gehört zur Freiheit eines Christenmenschen. Anthropologisch ist Luther ein Realist: "Denn ich wolle oder wolle nicht, wenn ich Christum höre, so entwirft sich in meinem Herzen ein Mannsbild, das am Kreuze hanget". Und der Reformator folgert daraus: Wenn es keine Sünde ist, Christi Bild im Herzen zu haben, warum sollte es Sünde sein, ihn vor Augen zu haben?
Es wäre falsch, aus seinem anthropologischen Realismus nun wieder ein Bildergebot zu konstruieren. Das ginge an seinen Intentionen vorbei. Aber sowohl den Aufruf zur Bilderstürmerei und die tabuisierende Ablehnung der Bilder hält er für eine nicht nachvollziehbare und nicht sinnvolle Haltung. Bilder haben im Leben der Menschen ihren Ort, und es ist nicht Aufgabe der Theologen, den Menschen die Bilder auszutreiben. "Denn wir armen Menschen müssen, weil wir in den fünf Sinnen leben, wenigstens ein äußerliches Zeichen außer den Worten haben, daran wir uns halten mögen." Vor allem sah Luther die großen pädagogischen Potenziale der Bilder, ihre Fähigkeit zur Darstellung und Vergegenwärtigung des Glaubens. Im Gespräch mit Lukas Cranach d. Ä. entstanden so zahlreiche Bilder, die die protestantische Lehre umsetzten (siehe Seite 36). Aber auch die Werke anderer Künstler nahm er zur Kenntnis: Speziell Grünewalds Kreuzigungsdarstellungen auf dem Isenheimer Altar findet gelegentlich Erwähnung. Der Finger Johannis verdeutliche, was die Aufgabe des Predigers sei, schreibt Horst Schwebel in seinem grundlegenden Buch über "Die Kunst und das Christentum".
Der Zürcher Reformator Ulrich Zwingli artikuliert in der Bilderfrage sein Selbstverständnis als neuzeitlicher humanistischer Bildungsbürger. Bilderstürmerei lehnt er ab. Aber sie ist für ihn erträglicher als die kultische Verehrung der Bilder. Innerhalb von Kirchen lasse sich jedoch die kultische Funktion des Kunstwerks nicht ausschalten, deshalb seien religiöse Bilder dort zu untersagen. "Kunst als religiöse Kunst ist nach Zwingli ein Unding, sie wäre Götzendienst. Bildende Kunst kann es nur als profane Kunst geben", stellt Horst Schwebel fest.
Und noch eine andere Konsequenz hatte Zwinglis Haltung: Denn nicht erst die Französische Revolution schuf mit dem Louvre ein frei zugängliches Museum. Gut 166 Jahre vorher war auf Betreiben der Reformierten in Zürich eine stillgelegte Kirche - heute würden wir sagen: eine City-Kirche - mit den aus anderen Kirchen entfernten Kunstschätzen ausgestattet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Mit dem Kulturgewinn, der in diesem Schritt lag, der Entsakralisierung der Werke bei gleichzeitiger Würdigung ihres ästhetischen Werts, beginnt die praktische Kunstvermittlung durch Museumspädagogen, die wir bis heute kennen. Initiiert hat diese Entwicklung Zwingli, der sich, irritiert von bilderstürmerischen Ausschreitungen, dafür aussprach, Bilder ordnungsgemäß zu entfernen, einzulagern oder sie den Stiftern zurückzugeben.
Mit dem letzten der Reformatoren in unserem Durchgang kommen wir zu jenem, dessen nach ihm benannte Bewegung bis in die Gegenwart ein Inbegriff der Bilderfeindschaft ist. Calvinismus ist Bilderfeindschaft, das gehört zu den unausrottbaren Stereotypen der Geistesgeschichte. Zu Unrecht, wie das Studium seiner Wirkungsgeschichte zeigt. Denn Reformierte besitzen eher überdurchschnittlich viele Bilder. Johannes Calvin setzte sich systematisch unter Abwägung aller kritischen Argumente mit der Bilderfrage auseinander. Im 11. Kapitel des ersten Bandes der "Institutio christianae religionis" entfaltet er seine Haltung zum Umgang mit Kunst in der Kirche. Der Genfer Reformator konzentriert seine Argumentation auf die religiöse Kunst, Darstellungen Gottes und Jesu Christi. Diese lehnt er ab, kein theologisches und kein didaktisches Argument kann sie rechtfertigen. Sodann entwirft Calvin eine Theorie der Entstehung religiöser Kultbilder: Diese werden produziert, weil die Menschen verunsichert sind und einen sichtbaren Halt wünschen, sozusagen ein Führerbild.
Schließlich grenzt sich Calvin von den radikalen Bilderfeinden ab: Wer behaupte, man dürfe überhaupt keine Bilder haben, verfalle selbst dem Aberglauben. Denn er glaube an die Macht der Bilder. Kunst sei jedoch ein Gottesgeschenk, eine Begabung, die dazu diene, all das zu malen, was unsere Augen fassen können. Dazu zählen Historiengemälde, Porträts und Bilder zum Ergötzen (oblectatio). In einem gewissen Sinne ist Calvins Kunstauffassung sehr modern. Denn auch er befreit die Kunst von religiösen Funktionen und bereitet ein Verständnis vor, das sich dann mit der Autonomie der Kunst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hat.
Von den unterschiedlichen Positionen der Reformatoren lässt sich auch etwas für den heutigen protestantischen Umgang mit der Kunst lernen: Von Karlstadt die besondere Beachtung der Rezeptionsästhetik. Es kommt nicht nur darauf an, ob Bilder in der Kirche theologisch möglich sind, sondern auch darauf, wie sie in diesem Kontext konkret wahrgenommen werden. Der theologische Einspruch muss dort ansetzen, wo Kunstwerke in der Praxis nicht ästhetisch, sondern vor allem kultisch rezipiert werden. Mit Luther ist darauf hinzuweisen, dass aus der Frage, wie Kirche mit Kunst umgeht, keine Gesetzlichkeit entstehen darf. Es kommt wesentlich auf den Betrachter, das freie Subjekt an. Kunstwerken wohnt keine wie auch immer geartete böse Macht inne, die ein Christ zu fürchten hätte. Bei Zwingli lernen wir: Der Streit, den die evangelischen Kirchen über die Bilder ausfochten, war keine Katastrophe. Er entsprang vielmehr dem Selbstverständnis des bürgerlich-humanistischen, aber auch des religiösen Menschen zu Beginn der Neuzeit. Und so ist die Kunst für neue, weltliche Aufgaben freigesetzt worden. Und Calvin erinnert daran, dass der Umgang mit Kunst in der Kirche nicht ganz in dem freien Belieben überlassen bleibt, sondern unter Gottes Gebot steht. Überall dort, wo Kunst im Raum der Kirche in der Gefahr kultischer Wahrnehmung steht, muss deshalb Widerspruch laut werden. Die Geschichte des Calvinismus zeigt: Kritik an religiösen Bildern bedeutet nicht grundsätzliche Bilderfeindschaft, sondern kann sogar eine besondere Zuwendung zur profanen Kunst bedeuten und zur Folge haben.
Andreas Mertin
Andreas Mertin
Andreas Mertin, Jahrgang 1958, ist Gründer und Herausgeber des seit 1998 im Internet erscheinenden Magazins tà katoptrizómena, dem Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik (www.theomag.de). Der Theologe und Kulturwissenschaftler (www.amertin.de) ist u.a. auch als Kurator von Ausstellungen tätig und lebt in Hagen (NRW).