Mut zur Schlagfertigkeit

Theologische Anmerkungen zum Streit über die Strafbarkeit von Blasphemie
Auf Druck der Kirchen wurde vor drei Jahren das Werk von Mario Lars am Eingang einer Ausstellung im Kulturbahnhof in Kassel entfernt. Foto: epd/Andreas Fischer
Auf Druck der Kirchen wurde vor drei Jahren das Werk von Mario Lars am Eingang einer Ausstellung im Kulturbahnhof in Kassel entfernt. Foto: epd/Andreas Fischer
Immer wieder ärgern sich religiöse Menschen, wenn ihre Religion geschmäht wird. Dramatisch wird es, wenn aufgrund angeblicher Gotteslästerung, im Fachjargon Blasphemie, gemordet wird, wie es Anfang des Jahres in Paris geschah. Danach häuften sich die Forderungen nach Verschärfung des gesetzlichen Schutzes der Religion vor Beschimpfung. Der Theologe Stephan Schaede, Direktor der Evangelischen Akademie in Loccum, ist aus grundsätzlichen Erwägungen entschieden dagegen.

Blasphemie, dem griechischen Wortsinn nach ist das Rufschädigung. Schon in der Antike hat man darunter durchgängig spezifisch religiöse Rufschädigung verstanden. So weit, so klar. Unklar bleibt immer schon, worin Blasphemie besteht. Das ist und war Einfallstor für religionspolitische Willkür. Denn Blasphemie ist mit der Oxforder Philosophin Elisabeth Anscombe gesprochen eine "Lumpensackkategorie". In diese kategorialen Lumpensack wurden je nach Kultur, Epoche und Religion diverse Vorwürfe der religiösen Rufschädigung mit immer wieder anderen Gründen hineingepackt. Und das sollte religionspolitisch skeptisch stimmen. Denn mit Lumpensackkategorien lässt sich kein Staat machen.

Mehr noch. Es ist unkalkulierbar riskant, den Umgang mit solchen Kategorien der Gestaltungsmacht eines Staatswesens zu überlassen. Amalgamiert sich nämlich ein Staatswesen mit bestimmten Religionsgemeinschaften oder religiösen Auffassungen, droht Gruppen oder Personen, die diese Auffassungen nicht teilen, der Blasphemievorwurf und mit ihm unter Umständen Freiheitsberaubung oder Tod. Wir erleben das in diesen Tagen in Pakistan, im Iran oder im Sudan. Auch die Strafrechtsdogmatik sollte die Finger von der Lumpensackkategorie Blasphemie lassen und sich einer religiösen Deutungsmacht verweigern, die nicht die ihre ist. Eine selbstbewusste Theologie aber sollte Blasphemievorwürfe eher kritisch kommentieren als dass sie sie selber formuliert. Sie sind die schwächsten Partner auf dem Felde einer packenden Religionsapologetik.

Nun ist Blasphemie ein kategorialer Lumpensack, wie gesagt, deshalb, weil sie je nach Religion, kulturellem Kontext oder Epoche vollkommen unterschiedlich gefüllt wurde. Zu keiner Zeit hat es eine einheitliche Antwort auf folgende Fragen gegeben: Welcher Ruf wird geschädigt? Ist es der Ruf eines Gottes, der Ruf einer bestimmten Glaubensüberzeugung oder der Ruf der Anhänger dieser Überzeugung? Oder liegt Blasphemie vor, wenn Religionsstifter wie Jesus von Nazareth und Mohammed oder oberste Repräsentanten der Religion wie der Papst oder ein Großmufti im Ansehen geschädigt werden? Wo fängt die Rufschädigung an: Wenn Gott verflucht wird oder wenn er karikierend dargestellt wird? Oder ist der Ruf geschädigt, wenn eine von der Mehrheitsmeinung der Glaubensgemeinschaft abweichende Glaubensauffassung vertreten wird? Schädigen Menschen den Ruf einer Religion schon durch den elementaren Umstand, einfach einer anderen Religion anzugehören? Welche Riten, Tabus müssen in welcher Form gestört, profaniert, lächerlich gemacht werden, damit von Blasphemie die Rede sein kann? Weil diese Fragen nie übereinstimmend beantwortet worden sind, bleibt die Kriteriologie für den Blasphemievorwurf abgründig schwankend.

Lumpensack Blasphemie

Nichts destotrotz ist die Blasphemie im Zuge der Auseinandersetzung um den Terroranschlag gegen Charlie Hebdo wieder ins Gerede gekommen. Vor allem Juristen und Politiker haben sich zu Wort gemeldet und für eine Verschärfung, Streichung oder Beibehaltung des sogenannten Blasphemieparagraphen 166 votiert.

Der Bonner Staatsrechtler Christian Hillgruber plädierte für eine Verschärfung mit dem zentralen Argument, die Duldung von Religionsdiffamierung werde zum Integrationshindernis. Er schrieb sich damit in die Herzen vieler CSU-Abgeordneter und des Bamberger Erzbischofs Ludwig Schick hinein. Henryk M. Broder allerdings warf Hillgruber vor, zum Handlanger islamistischer Auswüchse auf bundesdeutschen Boden zu werden. Religiöse Fundamentalisten könnten sich leichter denn je bereits bei Bagatellen auf die blasphemische Beleidigung ihrer Religion berufen. Hans-Michael Heinig, Staatsrechtler und Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, sprach sich hingegen für eine Streichung des Blasphemieparagrahen aus. Lob erhielt er dafür von den Grünen, dem FDP-Bundesvorsitzenden und von falscher Seite, nämlich der religionskritischen Giordano-Bruno-Gesellschaft. Sein Argument war eines, das diese Gesellschaft gewiss nicht hören wollte: Die eigentliche Funktion dieses Paragraphen, das Schutzgut des öffentlichen Friedens zu garantieren, sei bereits durch die rechtliche Regelung von Beleidigungstatbeständen und Volksverhetzung sichergestellt. Schließlich hat sich der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, auf der Linie von CDU und SPD dafür ausgesprochen, der Paragraf 166 solle in unveränderter Form im Strafgesetzbuch stehen bleiben.

Die entsprechende politisch-juristische Debatte haben überregionale Gazetten gründlich aufgearbeitet. Ihre Aufstellungen über die internationale Strafrechtspraxis haben den Lumpensackcharakter der Blasphemie eindrucksvoll bestätig. Nicht nur weltweit, sondern schon europaweit sind ganz unterschiedliche Ent- oder Verschärfungstendenzen in Sachen strafrechtliche Verfolgung von Blasphemie zu verzeichnen.

Die Frage ist allerdings, wie diese Debatte aus theologischer Perspektive zu bewerten ist. Bedarf es aus theologischen Gründen eines verstärkten oder gleichbleibenden staatlichen oder rechtlichen Schutzes gegenüber blasphemischen Übergriffen?

Die hier gegebene Antwort lautet: Es gibt für Religionen erheblich produktivere Strategien, mit dem blasphemischen Sammelsurium öffentlicher Anrempelungen fertig zu werden, als sich Unterstützung im Strafrecht zu suchen. Nur schwächelndes religiöses Selbstbewusstseins muss sich genötigt sehen, am Paragrafen 166 festzuhalten. Sieben theologisch motivierte Gründe für die Abschaffung dieses Paragraphen seien hier genannt.

Vorwürfe gegen Jesus

Erstens: Das Christentum hat in seinem Ursprung einschlägig negative Erfahrungen mit dem Blasphemievorwurf gemacht. Er traf seinen Religionsstifter selbst. Jesus von Nazareth wurde unter anderem wegen des Vorwurfs der Blasphemie zum Tode am Kreuz verurteilt (Markus 14,63f). Der Blasphemievorwurf hat sich nach Aussagen des Johannesevangeliums daran fest gemacht, dass sich Jesus angeblich selbst vergöttlicht und als Sohn Gottes ausgegeben habe (Johannes 19,7). Wenig später wurden seine Anhänger aufgrund einer religionspolemisch irrwitzigen Interpretation der Abendmahlsfeier des Kannibalismus geziehen. Derlei Ursprungserfahrungen sollten gegenüber einer rechtlich sanktionierten Blasphemie skeptisch stimmen.

Zweitens: Diese Ursprungserfahrungen haben Christen jedoch nicht davon abgehalten, Angehörige anderer Religionen der Blasphemie zu zeihen, nur weil sie einer anderen Religion angehörten, und trugen so zu einem religionspolitisch vergifteten Klima in der Antike bei.

Drittens: Die frühen christlichen Gemeinden ahndeten sogar innerhalb ihrer eigenen Reihen Blasphemie in Gestalt der Lästerung wider den Heiligen Geist. Diese Lästerung, so die These, könne niemals vergeben werden (Matthäus 12,31f). Derlei ist zwar religionssoziologisch nachvollziehbar, weil zu viel Widerspruchsgeist in den eigenen Reihen den Aufbauprozess verschwindend geringer Gemeinden zerstört hätte. Allerdings entwickelte sich die Neigung zur internen Sanktionierung weiter und führte dazu, Christen, die in bestimmten Glaubensfragen eine Minderheitsmeinung vertraten, der Blasphemie zu zeihen. Wie prekär das war, wurde früh gesehen. Es kann so kommen, dass ein Unschuldiger von sich orthodox wähnenden Sündern als Blasphemiker verurteilt und umgebracht wird, beklagte schon im 4. Jahrhundert Ambrosiaster.

Viertens: Die Ausweitung des Blasphemievorwurfs hat in der Theologiegeschichte bedrückende Züge angenommen. Für Bernhard von Clairvaux (gestorben 1153) war sogar Johannes der Täufer Blasphemiker, weil er an Jesus aus dem Kerker die skeptische Frage richten ließ: "Bist Du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?" (Mt. 11,2f)

Apokalyptische Ideologie

Fünftens: Es ist für das Mittelalter durchaus typisch, dass für Raimundus Lullus Blasphemie neben Mord zu den schwersten Kapitalverbrechen zählte. Im Zeitalter der Reformation wurde diese Auffassung keineswegs entschärft. So urteilt Martin Luther in seinen Kommentierungen des zweiten Gebots ("Du sollst den Namen Deines Gottes nicht unnützlich führen"), der Gotteslästerer solle dem Henker zugeführt werden. Das hat Luther für einige ihm unlieben Anhänger der Täuferbewegung denn auch durchgesetzt. Vor allem der Papst in Rom wird für Luther zum Inbegriff des Blasphemikers. Der Papst verkörpere eine besonders üble Form von Blasphemie, weil hier der Blasphemiker sich als oberster Hüter des Evangeliums tarne. Luther identifiziert ihn mit dem Antichristen, der nach 2. Thessalonicher 2,3f der Wiederkehr Christi voran gehe. Umgekehrt wurde Luther als Blasphemiker auf Betreiben der römischen Amtskirche mit der Reichsacht belegt.

Einschlägig für die Folgen einer in das staatliche Handeln hineinreichenden Blasphemiepolitik der Reformatoren ist der Fall Michel Servets. Er wurde 1553 vom Rat der Stadt Genf auf Betreiben Johannes Calvins zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt, weil er den Wahrheitsanspruch der Trinitätslehre bestritt. Der Rat hat so gehandelt, weil er glaubte, ein weltliches Regime, das Häretiker nicht ahnde, werde von Gott in kürzester Frist vernichtet. Die Zeiten einer derartigen apokalyptischen Ideologie sind, Gott sei es gedankt, vorbei.

Sechstens: Es ist die dornige und späte Frucht aus den zerstörerischen Erfahrungen der wechselseitigen Blasphemievorwurfes des 16. und 17. Jahrhunderts, dass im Zuge einer deutlicheren Unterscheidung von Kirche und Staat die Aufgabe des Staates nunmehr darin bestand, für den öffentlichen Frieden zu sorgen und auf Kontroversen der Blasphemieklärung zu verzichten. Erst um 1?800 wurde nicht mehr Gott selbst, sondern die Religion(sausübung) durch die Rechtsordnung geschützt.

Siebtens: Wenn überhaupt, können nur Religionen selbst aus der Binnenperspektive ihrer religiösen Kompetenz festlegen, ob und inwiefern religiöse Rufschädigung vorliegt. Welche Instanz innerhalb ihrer Gemeinschaft wiederum diese Kompetenz seriös verkörpert, ist nicht immer hinreichend geklärt. Oftmals sind emotionalisierte einseitige Interessen im Spiel. Ein weltanschaulich neutraler Staat sollte sich in seiner Rechtsprechung derlei ihm entzogenen Interessen nicht ausliefern.

Profitieren vom Witz

Schon aus diesen sieben Aspekten ergibt sich, was an die Stelle theologischer Aufladungen eines Blasphemiediskurses treten sollte. Das Christentum kann als eine in sich plurale Weltregion - es gibt weltweit mehr als 30.000 christliche Konfessionen - zum Exponenten einer intelligenten Gestaltung religionspluraler Verhältnisse werden, indem es für ein Klima wechselseitigen Respekts und Anerkennung einander fremder religiöser und nichtreligiöser Deutungen der Welt eintritt.

Dazu gehört auch, zu einer religionspolitischen Depotenzierung von Blasphemiediskursen beizutragen. Das schließt nicht aus, unsachgemäße antireligiöse Diffamierungen mit guten Gründen öffentlich zu verurteilen. Der beste Partner ist dabei das kluge religiös aufgeklärte Argument, nicht das Strafrecht.

Antireligiösen Spott wird es weiter geben. Ein in seinen Überzeugungen gefestigter Mensch dürfte damit zurechtkommen. Fromm gewendet: Wer antireligiösen Spott nicht erträgt, ist nicht gemacht für das Reich Gottes. Je souveräner die Reaktion auf religionskritische Satire und Karikatur ausfällt, desto weniger kann sich so manch dümmliche Geschmacklosigkeit auf dem Feld der Religionskritik wähnen, anspruchsvolles Kabarett zu bieten. Von klugem beißendem Witz hingegen können Theologie und Religionsgemeinschaften dagegen nur profitieren. Solcher Witz schult die Überzeugungskraft und entlarvt nichtssagende religiöse Phrasendreschereien.

An die Stelle der empfindsamen Verärgerung sollten also das gute Argument, rhetorischer Schliff und religiöse Schlagfertigkeit treten. Öffentlich ernst genommen werden kann nur, wer Ernstzunehmendes mitteilt. Ernstzunehmendes muss religiöse Substanz haben. Religiös substanzielle Rede aber hat das Zeug, den öffentlichen Beweis anzutreten, dass informierte Religionsmündigkeit stärker ist als eine sich vorgeblich auf Aufklärung berufende religiöse Ignoranz.

Stephan Schaede

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Stephan Schaede

Stephan Schaede, (*1963) ist  Leiter des Amtsbereichs der VELKD
und Vizepräsident im Kirchenamt der EKD in Hannover. Zuvor war der promovierte Systematische Theologe von 2021 an Regionalbischof im Sprengel Lüneburg und von 2010 bis 2020 Direktor der Evangelischen Akademie in Loccum.

 


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