Alte Grenzen, neue Konflikte
"Wasser zu verschwenden und damit herumzuspielen, war ein wichtiges Tabu, und Kinder wurden schon in den ersten Lebensjahren dazu angehalten, es zu achten." Das berichtete Pfarrer Péri Rasolondraibe aus Madagaskar vor einigen Jahren bei einer Konsultation des Lutherischen Weltbundes. Und er fügte hinzu: "Heute erlebe ich dagegen eine völlige Missachtung des Wassers."
Die Achtung vor dem Wasser ist in vielen Kulturen tief verwurzelt. Dennoch nehmen Verschwendung und Verunreinigung überall zu. Sauberes Wasser wird in vielen Ländern immer knapper. Denn vielerorts wird an Brunnen und Tümpeln gestritten, wer zuerst von dem kostbaren Nass bekommt und wessen Vieh zuerst getränkt wird. Gleichzeitig verschwenden Bewässerungslandwirtschaft und private Haushalte viel Wasser. Dabei nimmt als Folge des Klimawandels die Knappheit in ganzen Regionen der Welt weiter zu. Es drohen gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb von Gesellschaften. Und auch die Konflikte zwischen Ländern, die an Flüsse grenzen, werden sich verschärfen. Deshalb hatten die Vereinten Nationen dieses Jahr zum "Internationalen Jahr der Wasserkooperation" erklärt.
Die Kirchen und ihre Hilfswerke engagieren sich auf vielfältige Weise, um aus Wasserkonflikten Wasserkooperationen werden zu lassen. Sie setzen sich mit vielen anderen Akteuren dafür ein, dass das Menschenrecht auf Wasser, das die Generalversammlung der UN vor drei Jahren 2010 offiziell anerkannt hat, auch umgesetzt wird. Christinnen und Christen sehen im Wasser eine Gabe Gottes. Und so stellte der Zentralausschuss des Weltkirchenrates vor zwei Jahren fest: "Als Kirchen sind wir aufgerufen, anderen zu dienen und in unserer Art, wie wir Wasser nutzen und teilen, Vorbilder zu sein."
Wasserkraftwerke lösen Gewalt aus
Die Kirchen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas und ihre Partnerorganisationen - wie Brot für die Welt - haben zahllose Projekte ins Leben gerufen, um die Wasser- und Sanitärversorgung in Dörfern und städtischen Slums zu verbessern. Längst haben sie gelernt, dass es nicht ausreicht, einfach Brunnen zu bohren. In vielen Dörfern sind Komitees entstanden, die sich für die Reinhaltung der Brunnen verantwortlich fühlen und Streit um den Zugang zum Wasser schlichten.
Das kirchliche Engagement für eine Wasserkooperation geht aber über einzelne Projekte hinaus. Weltweit gibt es über 45.000 Staudämme. Und Großunternehmen, die Staudämme errichten und Turbinen bauen, erwarten einen Boom, seit Wasserkraftwerke als Alternative zu Atom- und Kohlekraftwerken angepriesen und gefördert werden. Vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern wird ein großes Potenzial für die Erzeugung dieser grünen Energie gesehen. Aber Wasserkraftwerke lösen innerhalb und zwischen Ländern immer wieder massive und manchmal gewaltsame Konflikte aus. Oliver Müller, der Leiter von "Caritas International", plädiert deshalb für kleine Wasserprojekte wie Zisternen: "Mammutprojekte wie überdimensionierte Staudämme hingegen sind in der Regel fehl am Platze."
Belo-Monte-Staudamm unter heimischem Beschuss
Ein Negativbeispiel ist der Belo-Monte-Staudamm in Brasilien. Für ihn sollen am Xingu-Fluss im Amazonasgebiet fünfhundert Quadratkilometer Regenwald überflutet werden. Der römisch-katholische Bischof der Region, Erwin Kräutler, wehrt sich vehement gegen den Bau dieses drittgrößten Staudamms der Welt, weil er katastrophale Folgen für Natur und Menschen in seiner Diözese und besonders für die indianische Bevölkerung befürchtet. So prangert Kräutler an, dass Umweltauflagen bei dem Zehn-Milliarden-Dollar-Vorhaben schlichtweg ignoriert werden. Und zur Nutzung der Elektrizität sagt er: "Belo Monte wird ja nicht gebaut, damit wir alle Licht und Strom in unseren Häusern haben, sondern Belo Monte wird für die internationalen Aluminiumkonzerne gebaut, die dort Bauxit in Aluminium umwandeln. Die brauchen Energie, und zwar billige." Durch diesen Stausee verlieren vierzigtausend Menschen, vor allem Angehörige indianischer Völker, ihren Lebensraum und ihre Lebensgrundlage. Der Bischof beklagt außerdem, dass nur auf einem Zehntel der Fläche des Stausees der Regenwald vor der Flutung gefällt wird. Die Folge ist, dass die im Wasser verfaulende Biomasse gewaltige Mengen Treibhausgase freisetzt und der Stausee zur Brutstätte für Stechmücken wird.
Weil Kräutlers Anklagen denen missfallen, die von dem Milliardenprojekt profitieren, bekam er Morddrohungen und steht unter Polizeischutz. Und auch andere Gegner des Projektes müssen um ihr Leben fürchten. Dennoch haben Indianer Anfang Mai Teile der Baustelle besetzt und von der brasilianischen Regierung gefordert, angehört zu werden, bevor weitergebaut wird.
Erst Weide, dann Wüste
Das Beispiel Belo Monte zeigt, dass die Nutzung von Wasserkraft sich gravierend auf die Ökosysteme an den Flussufern und die Bevölkerung auswirkt. Neben der Stromerzeugung dienen viele Staudämme - wie der 1971 eröffnete Assuanstaudamm in Ägypten - auch dazu, neue ausgedehnte landwirtschaftliche Flächen mit Wasser zu versorgen. Dieses und das im Stausee verdunstende Wasser fehlen aber weiter flussabwärts. Das kirchliche Engagement kann sich in solchen Situationen nicht darauf beschränken, die lokale Bevölkerung zu unterstützen und die gefährdeten Ökosysteme zu verteidigen. Erforderlich sind auch Initiativen, um globale Konsumgewohnheiten und den Energieverbrauch zu vermindern, die solche Megaprojekte notwendig machen. Dazu gehört neben dem Stromsparen der möglichst weitgehende Verzicht auf Güter, die unter hohem Energieaufwand erzeugt werden. Das beginnt - lehrt Belo Monte - bei der Aluminiumdose.
Angehörige des Kayapó-Volkes demonstrierten 2012 in Rio de Janeiro gegen den Belo-Monte-Staudamm.
Die Konflikte zwischen Hirten und Ackerbauern reichen viele Tausend Jahre zurück, aber in den vergangenen Jahren sind sie intensiver und gewaltsamer geworden. Der Klimawandel hat dazu geführt, dass sich traditionelle Weidegebiete der Hirten - etwa in der westafrikanischen Sahelzone oder in Nordkenia - in Wüsten verwandeln. Beschleunigt wird dieser Prozess durch Überweidung und die Nutzung von Bäumen und Büschen als Feuerholz. Die Hirtenfamilien ziehen, um zu überleben, in Ackerbaugebiete. Lassen sie ihre Herden auf abgeernteten Äckern weiden, wird das vielleicht noch geduldet. Aber die Tiere werden von grünen Feldern angezogen, und sie fressen Mais und Gemüse. Viel Streit gibt es auch um die Nutzung von Brunnen, Bächen und Flüssen. Eine Ursache ist, dass die Ackerbauern ihre Felder entlang der Flüsse ausweiten, um sie ohne großen Aufwand bewässern zu können. Oft entstehen dort auch große Plantagen, deren Erträge exportiert werden. Plötzlich sehen die Viehzüchter ihren traditionellen Zugang zum Wasser verbaut. Und nicht selten lassen sie die Tiere quer durch die Felder an den Fluss ziehen.
Die Konflikte werden noch dadurch verschärft, dass in den vergangenen Jahren die Zahl moderner Waffen in der Sahelzone und am Horn von Afrika sprunghaft zugenommen hat. Und so werden viele Auseinandersetzungen jetzt mit Kalaschnikows ausgetragen, statt mit Speeren. Entsprechend mehr Todesopfer sind zu beklagen.
Kampf um den Viktoriasee
Als wäre all dies nicht genug, verschärfen Lokalpolitiker diese Konflikte noch. Da Hirten und Viehzüchter meist unterschiedlichen Völkern angehören, ist es ein Leichtes, die Angehörigen der eigenen Volksgruppe um sich zu scharen und gegen die anderen aufzuhetzen. Als Alternative haben die Kirchen sowohl in Kenia als auch in der Sahelzone eine ganze Reihe von Versöhnungsprojekten ins Leben gerufen. Dabei arbeiten sie vielfach mit muslimischen Geistlichen zusammen.
Mit Unterstützung des Lutherischen Weltbundes sind seit 2009 in Nordostäthiopien zwölf Wasserreservoirs entstanden. Sie versorgen rund achtzigtausend Hirten und ihr Vieh mit sauberem Wasser. So hat die Wanderung von Menschen und Herden in benachbarte Gebiete während der Trockenzeit abgenommen. Und der Kampf um Wasser und Weideland zwischen den ethnischen Gruppen ging deutlich zurück.
Als die Kolonialherren Ende des 19. Jahrhunderts die Grenzen festlegten, wurden in Afrika viele Flüsse und Seen zu Grenzgewässern. Die unabhängigen afrikanischen Staaten beließen es bei den Grenzen. Aber weil deren Verlauf nicht eindeutig ist, kommt es zu Konflikten, zum Beispiel am Viktoriasee, wo die Grenze zwischen Kenia und Uganda verläuft. Eine gemeinsame Kommission bemüht sich seit Jahren, die Grenze exakt festzulegen. Aber der Konflikt hat sich verschärft, nachdem sich seit Mitte der Neunzigerjahre mehrere Hundert Ugander auf einer unbewohnten Insel ansiedelten und die Flagge ihres Landes hissten. Die Insel hat zwar nur die Größe eines Fußballfeldes, aber sie besitzt reiche Fischgründe. Immerhin haben sich beide Regierungen geeinigt, jeweils einige Polizisten auf die kleine Insel zu entsenden, die dort für Sicherheit sorgen sollen.
.. und den Malawisee
Noch brisanter ist die Situation am Nyassasee, auch Malawisee genannt, wo im nördlichen Teil Erdöl- und Erdgasvorkommen vermutet werden. Malawi beruft sich auf die koloniale Grenzziehung und beansprucht die gesamte Seefläche für sich. Das Nachbarland Tansania stützt sich auf das internationale Seerecht und hat die Seemitte zur Grenze erklärt. Nachdem Malawi 2011 und 2012 Konzessionen für die Erdöl- und Erdgasexploration an internationale Konzerne vergeben hatte, eskalierten die gegenseitigen verbalen Angriffe. Daraufhin boten die Kirchenräte beider Länder an, in dem Konflikt zu vermitteln. Pfarrer Osborne Joda-Mbewe, der Generalsekretär des Kirchenrates von Malawi, erklärte: "Der Rat ist sich bewusst, dass die beiden Regierungen sich dazu verpflichtet haben, die Angelegenheit friedlich zu regeln, aber wir sind beunruhigt über die offenkundige Blockade, die die Diskussionen inzwischen prägt."
Beide Regierungen lehnten das Angebot der Kirchen ab und übertrugen die Vermittlung einem Forum früherer afrikanischer Staats- und Regierungschefs. Aber Malawi hat seine Zustimmung zu dieser Vermittlung zurückgezogen und den Internationalen Gerichtshof angerufen. Bis zu einem Urteil jedoch können Jahre vergehen, und bis dahin wissen vor allem die Fischer am See nicht, in wessen Gewässern sie gerade fischen und welche Grenzpolizei sie festnehmen könnte.
Nicht immer führt das kirchliche Engagement für eine Wasserkooperation zum Erfolg, aber es überwiegen die positiven Erfahrungen. Beim Weltkirchenrat ist ein "Ökumenisches Wassernetzwerk" angesiedelt. Es veranstaltet regionale und weltweite Seminare, bereitet jedes Jahr für die Fastenzeit Bibelbetrachtungen zu Wasserthemen vor und koordiniert die internationale kirchliche Lobbyarbeit. Als Motiv für dieses Engagement nennt das Netzwerk: "Wasser ist eine Grundvoraussetzung allen Lebens auf der Erde und muss mit allen Lebewesen und der übrigen Schöpfung geteilt werden. Es ist richtig, die Stimme zu erheben und zu handeln, wenn das Leben spendende Wasser weltweit und systematisch gefährdet wird."
Frank Kürschner-Pelkmann