Politisch gewollt

In Brandenburg gefährdet die Landesregierung vorsätzlich die Existenz der Freien Schulen
Schüler freier Schulen demonstrieren vor dem brandenburgischen Landtag in Potsdam gegen die Sparpläne der Landesregierung. Foto: Patrick Pleul
Schüler freier Schulen demonstrieren vor dem brandenburgischen Landtag in Potsdam gegen die Sparpläne der Landesregierung. Foto: Patrick Pleul
Das Land Brandenburg ist dabei, die meisten Freien Schulen, also auch die konfessionellen, per Mittelkürzung zu drosseln. Henning Schluß, Professor für empirische Bildungsforschung und Bildungstheorie an der Universität Wien, fordert eine Debatte über die Bildungspolitik im Land. Er lebt in Brandenburg, wo seine Kinder eine staatliche Schule besuchen.

Brandenburg steht unbestritten vor großen bildungspolitischen Herausforderungen. Da ist zum einen die demografische Entwicklung auf dem Land. Manche Gebiete Brandenburgs gelten nach den Maßgaben der EU-Statistik als "unbewohnt". Zugleich boomen die Berlin nahen Gebiete. Die Schulen vermögen den Ansturm der Kinder nicht zu fassen, Klassenstärken mit über dreißig Kindern gehören dort zur Normalität. Zum anderen gehen die Transferzahlungen des Bundes zurück und die Schuldenbremse soll in Zukunft die Finanzierung des Landeshaushalts auf Kosten der nächsten Generation verhindern. Die brandenburgische rot-rote Landesregierung hatte im Koalitionsvertrag der Bildung Priorität eingeräumt und versprochen, dass in diesem Bereich nicht gespart werden würde. Das ist nun perdu.

Die im vergangenen Dezember beschlossenen Haushaltsgesetze werden die Schulen in freier Trägerschaft - sie werden von etwa zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler besucht - in schwere Bedrängnis bringen. Und genau dies ist politisch gewollt. Zu Beginn des vorigen Jahres kam aus der Landtagsfraktion der SPD in Brandenburg die Botschaft: Der Aufbau der Schulen in freier Trägerschaft im Bundesland sei abgeschlossen, da mit Blick auf die Zahlen das durchschnittliche Westniveau erreicht sei. Man könne also daran gehen, die Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft zurückzufahren.

Ein Grundrecht

Das war der Beginn eines aufregenden Jahres für diese Schulen, zu denen auch die in konfessioneller Trägerschaft gehören. Zuerst wies die eigene parlamentarische Rechtsberatung die Regierungsfraktionen von SPD und "Die Linke" darauf hin, dass es sich beim Recht zur Gründung einer Schule in freier Trägerschaft um ein Grundrecht handelt, das nicht wegen Erreichen eines Durchschnittswertes ausgehebelt werden dürfe. Darüber hinaus machten die Berater darauf aufmerksam, dass sich ein Finanzierungsanspruch Freier Schulen sowohl aus dem Grundgesetz ergibt als auch in der brandenburgischen Landesverfassung explizit enthalten ist. Dies ist auch eine Lehre aus 40 Jahren DDR, in der jegliche Pluralität im Bildungswesen durch die Verstaatlichung zumindest des gesamten Pflichtschulbereiches ausgeschlossen worden war. Die Möglichkeit zur Betreibung einer nichtstaatlichen Schule war eine Errungenschaft der friedlichen Revolution.

Die Mahnungen der parlamentarischen Rechtsberatung führten jedoch nicht zu einer Änderung des Ziels, sondern lediglich zu einer Änderung der Begründung und sogar noch zu einer Verschärfung der Kürzungspläne. Zeitgleich wurde der Mangel an Lehrerinnen und Lehrern in den staatlichen Schulen immer stärker spürbar. So hat es die Bildungsministerin Martina Münch derzeit nicht leicht. Die promovierte Medizinerin muss zwei sich wechselseitig ausschließende Botschaften vertreten. Die eine Botschaft lautet: Im Bildungswesen Brandenburgs geht es bergauf. Im Koalitionsvertrag seien nur 1250 neue Lehrerstellen festgeschrieben worden, nun würden 2000 neue Stellen geschaffen.

Die andere Botschaft, die die Bildungsministerin mit gleicher Vehemenz verkündet, lautet, dass im Bildungsbereich gespart werden müsse, insgesamt 24 Millionen Euro. Den Schulen in freier Trägerschaft, deren Betrieb derzeit vom Land mit etwa 65 Prozent bezuschusst wird, sollen diese Mittel um etwa 20 Prozent, für manche Schulformen sogar um 30 Prozent gekürzt werden. Konkret geht es um Summen von bis zu 1000 Euro pro Schüler und Jahr. Die Evangelische Hoffbauer-Schule in Templin, die für ihr inklusives Angebot mehrfach den Deutschen Schulpreis erhielt, hat sogar eine Deckungslücke von 3000 Euro pro Schüler ohne Förderbedarf errechnet.

Größte Demonstration seit 1989

Solche Summen können, zumal in der finanzschwachen Uckermark, weder durch Schulgelderhöhungen noch durch Gehaltskürzungen bei Lehrern und Erziehern ausgeglichen werden, wie die Bildungsministerin vorschlug. Martina Münch verteidigte diese Kürzungen vor 7000 Demonstranten Freier Schulen - der größten Demonstration in der Landeshauptstadt Potsdam seit 1989 - damit, dass überall im Bildungsbereich gespart werden müsse. Wirklich überall? Den freien Trägern werden die Mittel gestrichen, für die staatlichen Schulen dagegen werden weit mehr Lehrer als geplant eingestellt. Wie geht das zusammen?

Die Antwort hat mehrere Teile. Im Koalitionsvertrag von "Die Linke" und SPD war das Ziel festgeschrieben worden, die Schüler-Lehrer-Relation bei 15,4 zu eins halten zu wollen. Zugleich war die absolute Zahl von 1250 neu einzustellenden Lehrern festgeschrieben worden, die der damalige Finanzminis-ter Rainer Speer ausgerechnet hatte. Schon damals pfiffen es die Spatzen im Bildungsministerium von den Dächern, dass diese nicht ausreichen würden, um die durchschnittliche Schüler-Lehrer-Relation aufrecht zu erhalten. Aber der Finanzminister setzte sich politisch gegen die Grundrechenarten durch.

Doch die Wahrheit ließ sich nicht verdrängen: Das Land würde mehr Lehrer brauchen als im Koalitionsvertrag festgelegt. Dies anerkannt zu haben wird jetzt als Erfolg rot-roter Bildungspolitik verkauft. Gespart wird im staatlichen System vor allem auf dem Papier, zum Beispiel werden für das kaum genutzte Schüler-BAFöG - die größte Innovation der SPD im Bildungsbereich - weniger Mittel in den Haushalt eingestellt. So kann beim staatlichen Bildungsbereich gespart werden, ohne dass es jemand merkt.

Anders bei den freien Trägern. Hier sind die drohenden Kürzungen real und massiv. Innerhalb von nur zwei Jahren sollen sie umgesetzt werden, was allen Arbeitsvertragslaufzeiten Hohn spricht. Schon jetzt verdienen die Lehrer an Freien Schulen weniger, dennoch zahlen die Eltern zusätzlich zu ihren Steuern Schulgeld. Ein großer Anteil - an den evangelischen Schulen etwa die Hälfte - der Schüler zahlt nur den Mindestsatz, weil die Eltern einkommensschwach sind. Es ist absehbar, dass nicht wenige Schulen diese Kürzungen nicht verkraften können. Wenn es zu Schulschließungen kommt, dann fallen diese Schüler ins staatliche System zurück und schlagen da wieder mit 100 statt mit 65 Prozent der Kosten zu Buche.

Soziale Durchmischung

Auf einer Anhörung der beiden federführenden Ausschüsse im Landtag verneinten alle, auch die von den Regierungsparteien eingeladenen Experten, dass die erhofften Spareffekte eintreten würden. Sie warnten vielmehr vor den Folgen für die Entwicklung des brandenburgischen Bildungswesens, das schon jetzt bei allen Vergleichstests weit hinten rangiert. Das tangierte die Regierungsparteien jedoch nicht. Vielmehr peitschten sie den betreffenden Haushaltsannex gegen die Opposition von CDU, FDP und Bündnis 90/Grüne durch und lehnten im zuständigen Ausschuss auch die Volksinitiative "Schule in Freiheit" ab, die sich dafür ausgesprochen hatte, die Autonomie an staatlichen Schulen zu stärken und die Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft zu sichern.

Die Begründung der Vertreter von SPD und "Die Linke" war eine doppelte: Einerseits sei schon alles erfüllt und die Schulautonomie in Brandenburg gegeben - eine Einsicht, die von nahezu allmächtigen Schulämtern nichts zu wissen scheint, die im Land auch getrost die Verwaltungsvorschriften des eigenen Ministeriums eher als unverbindliche Richtlinien betrachten dürfen und dabei mit den Kommunen als Schulträger oft genug im Streit um die Zuweisung von Lehrern liegen. Andererseits müssten die Zuschüsse an Schulen in freier Trägerschaft deshalb gekürzt werden, weil politisch eine wohnortnahe Schule und eine gute soziale Durchmischung der Schule angestrebt sei.

Nun ist es allerdings so, dass sich brandenburgische Städte in aller Regel in die besseren Viertel mit Villen und sanierten Altbauwohnungen und in Plattenbausiedlungen - häufig werden diese als Problemviertel erfahren - teilen. Das gilt keineswegs nur für die großen Städte, sondern selbst für die kleinen. Die wohnortnahe Schule, die eben in diesen Wohnvierteln steht, verhindert so wirksam eine soziale Durchmischung. Nicht nur für Brandenburg gilt: Wer die wohnortnahe Schule will, arbeitet der sozialen Durchmischung entgegen. Wer diese dagegen will, muss längere Wege in Kauf nehmen. Beides zugleich gelingt nicht. Schon gar nicht dadurch, dass man die Schulen schlechter stellt, die in wirtschaftlicher Hinsicht die soziale Durchmischung realisieren, wie es die kirchlichen Schulen in Brandenburg tun.

Es ist zumindest in den Städten tatsächlich so, dass das Recht zum Besuch einer Freien Schule überdurchschnittlich stark von bildungsnahen Schichten wahrgenommen wird. Hier gegenzusteuern wäre in der Tat eine Aufgabe der Politik. Allerdings sind die Kürzungen der Landesregierung dazu angetan, genau das Gegenteil zu erreichen. Denn diese werden zu Erhöhungen des Elternbeitrages führen, was wiederum "bildungsferne Eltern" eher abschreckt als solche, die selbst den Wert von Bildung erfahren haben. Die Landesregierung erzeugt so, was sie verhindern will: soziale Exklusion. Wenn der Staat etwas zur sozialen Inklusion beitragen will, muss er dagegen eine Pluralisierung des Bildungsangebotes ermöglichen, damit Menschen die Schulen nicht nur nach der Wohnortnähe, sondern nach dem pädagogischen Profil anwählen.

Einsame Entscheidungen

Die einsamen Entscheidungen von Rot-Rot gegen die Betroffenen, ge-gen den Rat der Experten, gegen die Volksinitiative, gegen die Kommunen, die ein Sterben der Freien Schulen und damit den Verlust eines wesentlichen Standortfaktors befürchten, haben inzwischen den Weg zu irgendeinem annehmbaren Kompromiss verbaut. Die Oppositionsparteien bereiten derzeit eine Normenkontrollklage vor dem brandenburgischen Verfassungsgericht vor, in der es um die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft gehen wird. Nun entscheiden also die Gerichte - die Politik hat ihre Chance zu gestalten, die gerade im Bildungsbereich durch den ausgeprägten Föderalismus besonders groß gewesen wäre, vertan.

Notwendig wäre, dass die Zivilgesellschaft und auch die Parteien in die Diskussion eintreten, was für einen Stellenwert Bildung in der Gesellschaft einnehmen und wie sie gestaltet sein soll. Ein paar Anregungen für diese Debatte:

Bildung soll öffentlich sein. "Öffentlich" bedeutet aber nicht "staatlich", wie noch immer häufig missverstanden wird. "Öffentlich" in dem hier vorgeschlagenen Sinne ist ein Bildungssystem, das jedem dem Zugang zu ihm ermöglicht.

Bildung soll für alle finanzierbar sein. Eine gute Bildung darf nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern.

Die Bildungslandschaft soll plural sein, damit unterschiedliche Konzepte angeboten werden können. Nicht nur Freie, sondern auch staatliche Schulen sollen sich ein eigenständiges Profil erarbeiten. Eltern können so die Schule aussuchen, die zu ihren Kindern passt. Das adhs-Kind ist vielleicht in der Waldschule besser aufgehoben als im 45-Minuten-Takt, mit Ritalin ruhiggestellt. Das Kind im Rollstuhl dagegen ist in einem behindertengerechten Gebäude besser aufgehoben, in dem sein Handicap nicht zur Behinderung wird. Deutlich wird, es gibt nicht die gute Schule, sondern gerade die Vielfalt der Konzepte macht ein gutes Bildungswesen aus. Das Stichwort "Inklusion", das derzeit im Land für viel Aufregung sorgt, ist in dieser Pluralität der Konzepte gut untergebracht, weil Pluralität realisiert, dass alle unterschiedlich sind, nicht nur so genannte "Behinderte".

Die Vielfalt macht’s

Die im Grundgesetz vorgesehene Aufsicht des Staates über das gesamte Schulwesen wird für alle Schulen umgesetzt. Im Zuge der so genannten "neuen Steuerung" erlässt das Land nicht nur verbindliche Lehrpläne, sondern legt Standards fest, deren Erreichen an allen Schulen kontrolliert wird. Werden diese Standards verfehlt, greifen Konzepte, die dieser Schule helfen, die Standards zu erfüllen (gegenwärtig ist im deutschen Schulwesen beim Nichterreichen vor allem an Sanktionen gedacht).

Zu diesen Standards gehören nicht nur Leistungsstände, sondern zum Beispiel auch Lehrkonzepte, die das Indoktrinationsverbot gewährleisten.

Unabhängig von seiner sozialen Herkunft muss jedem Kind der Weg zu umfassender Allgemeinbildung eröffnet werden. Der deutlichste Ausdruck dieses staatlichen Bildungsauftrages ist die Schulpflicht, die in Preußen 1717 Gesetz wurde. Inhaltlich geht es darum, jedem Kind zu ermöglichen, unabhängig von den Möglichkeiten seiner Herkunft, Bildungsgänge nach seinen Fähigkeiten und seinen eigenen Wünschen gestalten zu können, aber auch die Wünsche selbst entdecken zu können.

Alte Zöpfe

Wenn man sich auf solche grundlegenden Ziele einigen kann, dann kann in einem zweiten Schritt nach Wegen gesucht werden, auf denen diese Ziele am besten umgesetzt werden können. Die Vielfalt an Trägern ist dazu sicher ein Mittel, wie die Kindergärten zeigen. Hier gibt es eine bunte Pluralität an Trägern, dennoch für alle die gleichen staatlichen Zuschüsse, eine staatliche Bedarfsplanung und staatliche Festlegung und Kontrolle der Standards - gleichwohl aber eine Mannigfaltigkeit an Konzepten, von der Sportkindertagesstätte über die kleine familiäre Einrichtung, über die Einrichtung, die bis in die Abendstunden geöffnet ist, bis zur konfessionellen Kita. Man muss also gar nicht bis in die Niederlande schauen, um ein funktionierendes plurales Bildungswesen in Aktion zu erleben. Im Schulbetrieb allerdings müssten liebgewordene Zöpfe abgeschnitten werden. Eltern müssten sich von der Idee verabschieden, dass die Wahl eines freien Trägers eine gewisse Sozialauswahl mit sich bringt, der Staat müsste sich von der Phantasie verabschieden, alles was im Bildungswesen passiert, festlegen und kontrollieren zu sollen. Es wird Zeit, dass wir als Zivilgesellschaft in Brandenburg und darüber hinaus die Debatte führen, welche Bildung wir eigentlich wollen.

Henning Schluß

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