Das ist noch lange kein Friede

In Sri Lanka sind die tamilische Minderheit und die Menschenrechte bedroht
Die adretten Schuluniformen täuschen Normalität vor. Foto: Nina Waldorf
Die adretten Schuluniformen täuschen Normalität vor. Foto: Nina Waldorf
Drei Jahre nach Ende eines fast drei Jahrzehnte dauernden Bürgerkrieges versucht Sri Lanka zum Alltag zurückzukehren. Die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen im Zeichen der Versöhnung spielten dabei jedoch keine Rolle, kritisieren Kirchen und Bürgerrechtler ebenso wie die Vereinten Nationen. Nina Waldorf war dort.

Alte Gemäuer halten mehr aus als Menschen. Granatbeschuss, Feuerflammen und Kugelhagel - selbst die Wassermassen des Tsunami 2004 haben die alte methodistische Kirche in Point Pedro, gut hundert Meter vom Meer entfernt, nicht zu Fall gebracht. Seit 1887 steht sie hier, stolz und trutzig mit hohen Bögen über Türen und Fenstern, auch wenn die Wände mittlerweile dunkel und brüchig sind. Die Menschen dagegen, die hier direkt an der malerischen Küste, am nördlichsten Punkt von Sri Lanka, leben, sind deutlicher gezeichnet. Viele schmale Gestalten in ärmlicher Kleidung, abgewandte Blicke ohne das sonst allgegenwärtige Lächeln, notdürftige Behausungen unter Kokospalmen neben den Ruinen der alten Häuser. Nicht wenige wirken traumatisiert, wie innerlich erstorben, auch wenn sie äußerlich funktionieren.

Alle hier auf der Jaffna-Halbinsel sind Überlebende eines 1983 ausgebrochenen Bürgerkrieges zwischen der singhalesischen Regierungsarmee und der tamilischen Rebellenbewegung Tamil Tigers (ltte), die um Autonomie kämpfte. Vergeblich, denn die ltte wurde im Mai 2009 vernichtend geschlagen, in einem Krieg, der mehr als 100.000 Menschenleben kostete.

"Das hier war alles Hochsicherheitszone, Kirche und Pfarrhaus waren Militärlager, wir durften nur zum Gottesdienst rein, und die Kinder mussten sich auf dem Weg zu unserer methodistischen Schule in einer Reihe aufstellen und einzeln ihre Tornister vorzeigen", berichtet Anthony Sathish. Der 44-jährige Tamile war hier bis 2006 sieben Jahre lang Pfarrer, eine Zeit, in der er zwei Katastrophen erlebte: die mit äußerster Brutalität geführte Schlussphase des Krieges und den verheerenden Tsunami, bei dem er später die kirchliche Aufbauarbeit leitete. Der Tag, als der Tsunami kam, der 26. Dezember 2004, ist für Sathish wie für alle hier als wäre er erst gestern gewesen: "Wir waren gerade mit dem Sonntagsgottesdienst fertig, als wir die ersten Leute rennen sahen. Das Meer war schon hinter ihnen her, und als wir begriffen, wie gefährlich es war, rannten wir auch."

Tiefe Spaltung

Der Tsunami ist gut acht Jahre her, das Ende des Krieges mehr als drei, trotzdem gibt es keine Normalität und keine Entspannung in den ehemaligen Kriegsgebieten im Norden und Osten Sri Lankas. Hier lebt die tamilische Minderheit, 18 Prozent der gut 20 Millionen Srilanker, die im Gegensatz zur Mehrheit der buddhistischen Singhalesen im Süden zumeist Hindus sind - mit eigener Sprache, Schrift und Kultur. Konfliktstoff auf vielen Ebenen, der die Ethnien zutiefst gespalten hat. Denn es geht auch um Macht und politischen Einfluss.

Wer die stundenlange Reise über die noch nicht fertige neue Schnellstraße von der Hauptstadt Colombo nach Jaffna auf sich nimmt, eine Baustelle nach der anderen, Stop-and-Go über viele Kilometer, kommt in eine Welt, in der der Krieg eingefroren zu sein scheint. Trotz tropischer Hitze. Hier sind Kälte und Entsetzen in den allgegenwärtigen Gewehrläufen und Panzerfahrzeugen der Regierungssoldaten konserviert. An Checkpoints werden auch bei den wenigen Touristen Pässe, Taschen und Reiseziele peinlich genau kontrolliert. Ab hier bis nach Point Pedro steht alle 10 bis 15 Kilometer ein großes Militärlager, alle anderthalb Kilometer flankiert ein überdachter, mit Sandsäcken gesicherter und mit Soldaten besetzter Posten die Straße. Verkohlte Palmen mit abgeschossener Krone ragen wie mahnende Zeigefinger in den Himmel.

"Wir haben keine Nachkriegszeit, sondern eine 'Nach-Aktiv-Kriegszeit', der eigentliche Konflikt ist noch da, er ist sogar schlimmer als früher", beschreibt ein katholischer Pfarrer in Jaffna die Situation. Und dann sagt er das, was viele Tamilen sagen: "Der Krieg ist vorbei, aber wir haben trotzdem keinen Frieden." Denn seit dem Ende des Krieges leidet die tamilische Bevölkerung unter dem singhalesischen Militär, das für sie Besatzungsmacht ist.

Verschleppt und verhaftet

Nach wie vor werden Menschen verschleppt oder verhaftet, vor allem kritische religiöse Führer, Journalisten und Bürgerrechtler, die sich für Gerechtigkeit einsetzen, berichtet der Ordensmann, der namentlich nicht genannt werden will: "Früher haben die Tamil-Tiger auch das zivile Leben streng kontrolliert und mit drakonischen Strafen für Sicherheit gesorgt, heute ist es gefährlich, nachts auf die Straße zu gehen, viele Frauen und junge Mädchen werden sogar in ihren Häusern vergewaltigt", klagt der Priester bei einem aus Sicherheitsgründen nur kurzfristig anberaumten Treffen.

Ob solche Fälle jemals vor Gericht kommen? Menschenrechtsanwalt Niran Anketell in Colombo winkt ab: "Nein, kaum jemand will gegen die Armee antreten, denn dann heißt es, du bist selbst ein Sympathisant der Terroristen." Im ganzen Land, berichtet der mutige junge Aktivist, gehe die Angst vor dem weißen Kleintransporter ohne Nummernschild um, vor dem "White Van" der Sicherheitspolizei, mit dem Kritiker verschleppt werden und spurlos verschwinden. In den ersten drei Monaten 2012 sollen es bereits mehr als dreißig Journalisten gewesen sein.

Entsprechend kritisch äußert sich auch die renommierte Organisation International Crisis Group in Brüssel über die Menschenrechtssituation: "Die Aufhebung des Ausnahmezustandes (nach Kriegsende) hat kaum praktische Auswirkungen auf das Leben der meisten Srilanker gehabt", schreibt sie in einem Bericht Anfang März. "Die gegenwärtige Regierung hat wenig Bedenken, außerhalb der Gesetze zu agieren, was durch die (im Norden) weiterhin bestehenden Hochsicherheitszonen ohne erkennbare Rechtsgrundlage illustriert wird, und durch Berichte von geheimen Haftzentren, Folter und außergerichtlichen Tötungen."

Konflikt mit Singhalesen

Hinzu kommt, dass parallel zur Militarisierung auch eine gezielte demographische Veränderung stattfindet und die lokale Bevölkerung kaum vom Aufschwung profitiert. Die Aufträge für den Neubau von Straßen, Häusern, Geschäften und Hotels gehen vor allem an Singhalesen aus dem Süden, die neu angesiedelt werden und die ihre Kultur mitbringen. Was das für das religiöse Leben bedeutet, illustriert ein Hindu-Priester in Jaffna mit seinen bitteren Erfahrungen: "In manchen Hindutempeln wurden Buddhastatuen aufgestellt, andere Tempel, die durch den Krieg beschädigt waren, wurden einfach zerstört", berichtet er von der weit verbreiteten Sorge um die kulturelle Identität und wegen der alltäglichen Demütigung. Anzeigen bei der Polizei oder Anträge an die Behörden bleiben oft ergebnislos, weil dort Singhalesen sitzen, die kein Tamilisch können - Dolmetscher gibt es nicht.

"Wie sollen wir hier als Minderheit überleben, wenn wir nicht einmal eine eigene politische Vertretung haben?", fragt auch der Direktor des von Jesuiten und Methodisten unterhaltenen Zentrums zum Schutz der Menschenrechte in Trincomalee, Weeresan Yogeswaran. Zur Sorge vor der Überfremdung kommt die Angst um die nackte Existenz. Viele der mehr als 430.000 Flüchtlinge, die aus Lagern im Inland und aus dem Exil im Ausland zurückgekehrt sind, fanden ihre Häuser und ihr Land besetzt, vermint oder zerstört vor. "Man kann niemandem das Leben zurückgeben, wohl aber seinen Besitz", meint Yogeswaran bitter, angesichts der Untätigkeit der Regierung. Viele Familien warten außerdem seit Jahren vergeblich auf Nachricht über ihre Angehörigen, die bei Kriegsende als Tamil Tigers in Umerziehungscamps gebracht wurden. All das sind Wunden, die nicht verheilen, weil das Unrecht andauert.

Perle des Indischen Ozeans

Wer allerdings in Colombo oder der ehemaligen Königsstadt Kandy über die gepflegten Straßen bummelt und Tempel besucht oder sich in einem der edlen Ayurveda-Hotels an der Küste niederlässt, wird von alldem nichts bemerken. Die Tropeninsel wird ihrem Ruf als "Perle des Indischen Ozeans" nach wie vor gerecht. Die Regierung von Präsident Mahinda Rajapakse, dessen tausendfach plakatiertes Siegerlächeln unter schwarzem Schnäuzer und mit rotem Schal niemand entkommt, propagiert vollmundig das "Wunder der Versöhnung" und kurbelt die Wirtschaft an. Direkt nach Kriegsende konnte Sri Lanka 2010 und 2011 bereits 8 Prozent Zuwachs verzeichnen; und es wird überall weiter gebaut. Zumindest auf dieser Ebene trägt der Frieden Früchte.

"Tatsächlich haben sich viele Dinge verändert", räumt auch Albert Jebanesan ein, Präsident der Methodistischen Kirche von Sri Lanka. "Wir müssen heute keine Angst mehr haben, nur, weil wir Tamilen sind, einfach so verhaftet zu werden", sagt er und lässt schon im nächsten Satz die Realität dahinter anklingen: "Solange du ein gewöhnlicher Zivilist bist und keine Fragen über Dinge stellst, die vielleicht nicht in Ordnung sind, und wenn du ganz normal zur Arbeit oder auf den Markt gehst, abends kochst und fernsiehst, dann ist alles okay. Solange du den Mund nur zum Essen öffnest, hast du keine Probleme."

Genau das jedoch tut die Methodistische Kirche nicht. Ganz im Gegenteil. Denn sie ist eine der wenigen Institutionen in Sri Lanka, der sowohl Tamilen als auch Singhalesen angehören. Gottesdienste, Veranstaltungen und Publikationen der mit rund 35.000 Mitgliedern größten evangelischen Kirche des Landes, sind oft mehrsprachig. Und mit dem promovierten Theologen Jebanesan aus Jaffna hat sie 2010 einen Tamilen als Leiter gewählt, dessen ganzes Leben ebenso vom Krieg geprägt ist, wie das vieler anderer Kirchenmitglieder. Unmöglich, Leid und Unrecht zu ignorieren. "Ich bin kein politischer Aktivist, aber ich erhebe meine Stimme für die Zivilbevölkerung, für die Menschen, die sonst nicht gehört werden", sagt Jebanesan.

Kirchliches Engagement

Daneben gibt es viele weitere engagierte Mitglieder, durch die sich die Methodistische Kirche zu einer Kirche entwickelt hat, die sich für Evangelisierung und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen engagiert. Unterstützt von langjährigen Partnern im Ausland wie der Vereinten Evangelischen Mission in Wuppertal und dem Kirchenkreis Dortmund. "Unsere Lehre ist kontextuell und eine Art Befreiungstheologie", erklärt der Leiter des ökumenischen Theologischen Kollegs in Kandy, Jerome Sahabandhu. "Neben den klassischen Fächern stehen bei uns Frieden und Gerechtigkeit, Gesellschaft und Kultur oder soziale Bewegungen auf dem Lehrplan."

Während der Kriegsjahre hat die Methodistische Kirche ihre ethnische Vielfalt als Chance begriffen und sich neben der Sozialarbeit für Flüchtlinge, Traumatisierte oder Tsunami-Opfer auch um Versöhnung bemüht. Unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Betroffenen, die zumeist Buddhisten, Hindus oder Muslime sind. Vielleicht ist die gesellschaftliche Bedeutung der Kirche auch deshalb weit größer, als ihre Mitgliederzahl es vermuten lässt - und sie wächst. Insgesamt bilden die Christen in Sri Lanka jedoch nur eine Minderheit von 7,5 Prozent, die meisten von ihnen sind Katholiken.

Zentrale Bedeutung für eine demokratische Zukunft wird jetzt die Aufarbeitung der langen Kriegszeit haben, vor allem der mutmaßlichen Kriegsverbrechen auf beiden Seiten in den letzten drei Kriegsmonaten. Allein in dieser Zeit sollen nach UN-Schätzungen mehr als 40.000 Zivilisten bei unvorstellbaren Gräueln ums Leben gekommen sein, Menschenrechtler wie Niran Anketell sprechen von mehr als 100.000 Toten. Die Regierung ihrerseits hat zwar den Bericht einer eigenen Aussöhnungskommission vorgelegt, streitet aber Kriegsverbrechen ab. Große Erleichterung gab es deshalb über eine Resolution des UN-Menschenrechtsrates Ende März 2012, die Sri Lanka auffordert, die Empfehlungen der Kommission umzusetzen und Kriegsverbrechen aufzuklären.

Amtliches Siegel

Das sei "ein erster Schritt" zu Versöhnung, Heilung und mehr Demokratie, meint der Nationale Christenrat, dem auch die Methodisten angehören, während die Regierung in Colombo die Resolution empört als Einmischung und "kolonialistisch" zurückweist. Es sei nicht zu erwarten, dass die Regierung sich nun eines Besseren besinnt, meint der Wissenschaftler Theodor Rathgeber vom Lobbynetzwerk "Sri Lanka Advocacy", aber es sei eine Stärkung für Kritiker, die eine Aufklärung und Demokratisierung vorantreiben wollen: "Sie haben jetzt das amtliche Siegel, dass sie nichts Unrechtes tun, insbesondere keinen Landesverrat begehen", urteilt der Experte.

"Peace begins with a Smile", verkündet der Aufkleber auf einem der dreirädrigen knallbunten Motorradtaxis in Colombo, die das Straßenbild überall in Sri Lanka prägen: "Frieden beginnt mit einem Lächeln." Im Norden würde dieser Aufkleber wohl zum Ladenhüter werden, denn dort weiß jeder, dass es weit mehr braucht, um die Wunden der Vergangenheit zu heilen.

Information

Sri Lanka Advocacy ist ein Internet-Magazin, das von einer gemeinsamen Initiative mehrerer Hilfswerke und Entwicklungsorganisationen herausgegeben wird.

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Nina Waldorf

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