Nicht mehr wie früher

Vom Tauschen und Verwandeln in Südafrikas Städten und der Provinz
"Nicht jeder macht den Wandel mit." – Ladenlokal in KwaZulu-Natal. Fotos: Tanja Jeschke
"Nicht jeder macht den Wandel mit." – Ladenlokal in KwaZulu-Natal. Fotos: Tanja Jeschke
Sie wollte ihrer Adoptivtochter Marulla das Land ihrer Herkunft zeigen. Deshalb reiste die Schriftstellerin Tanja Jeschke gemeinsam mit ihrer Familie nach Südafrika. Sie traf auf Menschen, die die Welt noch immer in Schwarz und Weiß einteilen und doch versuchen, sich der veränderten Lage anzupassen.

Im 19. Jahrhundert wurden Missionare von verschiedenen Missionsgesellschaften in ferne Länder geschickt, damit sie den Menschen dort beibrachten, wie man seinen Gott wechselt und den Glauben austauscht: den falschen Gott des Heidentums gegen den wahren Gott der Bibel. Die Missionare selbst tauschten das seit Generationen eingeübte Leben in ihrer Heimat ein gegen ein neues Leben unter völlig fremden Bedingungen. Ein abenteuerlustiger und in tiefer Frömmigkeit gewagter Totalwechsel der Existenz war das, ein "Glaubenswagnis", oft begleitet von starkem Heimweh, denn ihr Vaterland blieb unerreichbar, der Tausch war endgültig, es gab nur Briefe, ein paar Fotos.

Hermann Hesse, der große Lobpreiser der Wandlung, dessen 50. Todestag in diesem Jahr begangen wurde, ist Spross einer solchen Missionarsfamilie, sein Vater hatte Süddeutschland gegen Indien getauscht.

Mein eigener Vater entstammt der Familie eines Afrika-Missionars. Der norddeutsche Erweckungsprediger Louis Harms hatte ihn um 1860 dazu bekehrt, Beruf und Kontinent zu wechseln: Missionar statt Schneider, Zululand statt Lüneburger Heide.

Hermann Hesses Schwester hieß Marulla, ebenso wie unsere Tochter, die wir 2004 in Johannesburg adoptierten. Und weil wir Marulla ihr Geburtsland zeigen wollten, die afrikanischen Orte, an denen ihre Vorfahren gewirkt und gelebt haben - die einen als Missionare, die anderen als Missionierte - tauschten wir unser kostbarstes Hochzeitsgeschenk ein gegen Flugtickets nach Südafrika: Ein Original-Aquarell, das Hermann Hesse an Karfreitag 1945 gemalt und meinen Großeltern Elisabeth und Albrecht Goes geschenkt hatte. Es ließ sich in genug bare Münze verwandeln, so dass wir im August 2012 in Johannesburg auf dem Oliver R. Tambo International Airport landeten, dessen alter Name Jan Smuts dem politischen Wandel zum Opfer gefallen ist.

Die Farben der Haut

Was bleibt übrig von der alten Haut, wenn sie die Bedeutung ihrer Farbe verloren hat? Wie können Menschen aus ihrer Haut heraus? Schon bei unserer Ankunft wird eins klar: Noch immer sind es die Farben der Haut, die die Geschichten dieses Landes schreiben.

"Heute Nachmittag kommt Angelina", erzählt uns meine Tante, als wir beim Infostand am Flughafen auf den Mann warten, der uns den Mietwagen liefern soll. "Angelina ist als Kind früher oft zu meiner Mutter gekommen. Meine Mutter hat ihr die Schulbücher bezahlt." Jetzt ist klar, dass Angelina schwarz ist. "Ihre Eltern waren Trinker. Meine Mutter hat sich damals um sie gekümmert. Sie lebt jetzt hier in Pretoria und hat ein Pflegekind, dessen Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen. Das Pflegekind hat heute Geburtstag. Meine Töchter und ich richten für Angelina und das Mädchen immer die Geburtstage aus."

Diese Geschichte handelt von der ehemaligen Apartheid und ihren Auswirkungen bis heute. Sie spielt auf dem Oliver Tambo Airport und zeigt, wie die weißen Geburtstagstischdeckerinnen bei der schwarzen Angelina etwas gut machen wollen.

Denn das Gewissen beißt zu, das Bewusstsein, für das Leben der Schwarzen auf eine bestimmte schuldhafte Weise verantwortlich zu sein. Hört zu, so löffeln wir unsere Suppe aus.

Kindliches Bevorzugtsein

Wir warten immer noch auf unseren Mietwagenmann. Irgendwie kommt meine Tante jetzt auf ihren Gärtner zu sprechen. "Er kriegt jedes Mal auch zu essen von mir", sagt sie. Wir nicken. Es ist also wieder ein Schwarzer von dem sie erzählt. "Sie sind ja jetzt verwöhnt", fügt sie dann hinzu. In einem beinahe liebevollen Ton. Verwöhnt wie ein Kind, um das man sich eben zu kümmern hat.

Sie - das sind immer die Schwarzen. Die früher nicht so verwöhnt waren, als sie nicht das hatten, was für die Weißen selbstverständlich war. Als die Weißen noch die Verwöhnten waren, mit Swimmingpool, billigen Arbeitskräften, großen Häusern.

Jetzt, wo auch die Schwarzen dran sind, vermissen viele Weiße das Gefühl kindlichen Bevorzugtseins. Sie müssen plötzlich teilen mit Geschwistern. Aber wer sind die Eltern?

"Er arbeitet. Und dann bleibt er solange sitzen, bis das Essen kommt. Eher geht er nicht." Und nach einer kleinen bedeutsamen Pause sagt sie plötzlich: "Er ist ein guter Mann."

Eine Art Rechtfertigung?

Vielleicht will sie sich beschwichtigen, ihren elterlichen Ärger über seinen Anspruch damit besänftigen, dass es sich immerhin um einen guten Mann handelt, der von ihr Essen will. Wir dürfen ihn nicht schlecht finden, denn er ist schwarz.

Jetzt kommt er endlich, unser Mann. Ziemlich zu spät. Ein Schwarzer. Über seinem Erscheinen schwebt ein Klischee: Schwarze haben eben ein anderes Zeitgefühl. Er kommt zu spät, denn er ist schwarz.

Er ist schmächtig, trägt eine Kappe. Ich mache meiner Tante gegenüber eine Bemerkung auf Deutsch, spreche von "dem Mann", meine Tante korrigiert sofort: "Du meinst den Schwarzen." Ich verstumme irritiert, dann sagt sie: "Er sieht freundlich aus."

Eine Art Rechtfertigung? Wieder ist ein Tausch geschehen: Die Hautfarbe und das freundliche Aussehen haben die Plätze gewechselt. Früher sah der Mann vielleicht freundlich aus, war aber schwarz. Heute handelt es sich um einen Menschen, dessen Freundlichkeit seine "Hautfarbe wett macht". Seine Freundlichkeit muss für wichtiger befunden werden. Etwas anderes zu denken ist abgeschafft worden. Die Tauschbemühung ist aufrichtig. Meine Tante ist bereit, den Mann ganz zu akzeptieren. Aber dafür muss sie ihn rechtfertigen. Wir fahren durch Johannesburg, über uns ein knallblauer Himmel, das Sonnenlicht brilliert wie tausend Diamanten. An der Ampel tanzt einer einen flotten Step, mitten auf der Kreuzung. Am Feldrand der Autobahn in Richtung Pretoria gehen Menschen entlang. Selbstverständlich sind sie schwarz, sie gehen geduldig und zügig zugleich. Vermutlich haben sie noch einen weiten Weg vor sich.

Verlassene Kammer

Meine Tante wohnt mit ihrer Familie in einem langgestreckten Bungalow in einem der Wohnviertel Pretorias, durch die abends die Autos der gut bewaffneten Security fahren. Eine prächtige Palme steht neben dem Swimmingpool im großen Garten. Hinter der Garage auf dem Hof befindet sich ein kleiner Anbau. Hier hat bis vor kurzem noch Franzina gewohnt, die fast dreißig Jahre im Haus geholfen hat. Sie ist jetzt zu ihren Kindern nach Mamelodi gezogen, in das Township im Osten Pretorias. Die Tür zu ihrer verlassenen Kammer steht offen. Ich werfe einen Blick hinein. Hier ist nur Platz für ein Bett. Das Waschbecken so groß wie ein Hochglanzmagazin, das Klo in einem winzigen Gang dahinter. Am Fenster verblasste Vorhänge, ein paar Kartons stehen herum. An der Wand lehnt eine alte Matratze.

Als ich vor zwanzig Jahren hier war, hat Franzina noch das Abendessen gemacht. Jetzt steht meine Tante selbst am Herd. Ein Rollenwechsel. Macht sie jetzt alles allein, frage ich mich, oder hat sie wie früher noch Hilfen außer dem Gärtner? Doch, ab und zu kommt Anna, eine freundliche Schwarze mit einem Kopftuch und einem langen Rock. Sie gibt mir die Hand und stellt sich vor: "I am Anna. Where is Traudl?"

Traudl ist der Vorname meiner Tante. Franzina hat sie nie beim Vornamen genannt, dreißig Jahre nicht.

Warten auf Adoptiveltern: Kinder im Heim „The Love of Christ Ministries“.
Warten auf Adoptiveltern: Kinder im Heim „The Love of Christ Ministries“.

Marullas Kinderheim liegt südlich von Johannesburg auf dem Land. Überall brennt das Gras nieder, um die Erde wieder fruchtbar zu machen. Kohlschwarze Flächen zwischen rotgelben Feldern, Eukalyptusbäume, Blechhütten. Unser Auto ruckelt über den steinigen Feldweg, an Stacheldrähten entlang, und da ist das Schild: tlc - The Love of Christ Ministries. Das Heim, das 1993 von Thea Jarvis gegründet wurde, ist ein "Glaubenswagnis": Es lebt von Spenden. Der Staat gibt keinen Pfennig für diese Kinder, von denen die meisten aus dem Baragwanath Hospital, dem drittgrößten der Welt, hierher gebracht werden. Denn wohin sonst mit ihnen? Die meisten haben niemanden. Sie lagen einfach da, auf dem Feld, in öffentlichen Toiletten, Mülleimern. Oder wurden nach der Entbindung im Hospital zurückgelassen. Jetzt werden sie hier von jugendlichen Freiwilligen aus aller Welt versorgt und warten auf Adoptiveltern aus Dänemark, Holland und Österreich. Deutschland ist inzwischen nicht mehr dabei.

Thea Jarvis hat fünf leibliche Kinder und neunzehn adoptiert. Die beiden Söhne, die sie vor zwanzig Jahren als elende Würmchen aus einem Hospital einfach mit nach Hause genommen hat, sind inzwischen exzellente Studenten der Jura und Soziologie. Der Wechsel der Existenz - ihnen ist er gelungen.

"Nutze es"

An der Tür zu den Neugeborenen hängt ein Zettel: "Nimm, was immer Du brauchst und nutze es!" Und darunter eine Auswahl zum Abreißen und Mitnehmen: Geduld, Vergebung, Mitleid, Liebe, Gnade ... Die guten Eigenschaften stehen jedem zur Verfügung, bitte schön, man muss sich ihrer nur bedienen.

Auch in den Gemeinschaftsräumen hängen Tafeln mit Bibelworten, Aufzählungen von christlichen Tugenden. Wie auf einem Schaubild für das Management einer Firma sind sie in Kästen und Kreisen einander zugeordnet - damit die Mitarbeiter vor Augen haben, worum es hier geht, und sich dabei immer wieder ihrer eigenen Motivation versichern können.

"Diese gewaltige Aufgabe", erklärt uns Thea Jarvis, "lässt sich nur bewältigen durch die radikale Unterordnung unter christliche Werte in Bezug auf alles: auf Finanzen, persönlichen Besitz, Zeit, Beziehungen. Anders geht es immer auf Kosten der Kinder." Ihr Ehemann hat sie vor Jahren wegen einer jungen Volontärin verlassen. Die Last der Verantwortung trägt sie jetzt gemeinsam mit ihren beiden Töchtern Pippa und Joana. Auch Joanas Mann hat die Flucht ergriffen.

Omo und Zahnpasta

Denn nicht jeder macht den Wandel mit. Am deutlichsten wird das auf dem Land in der Provinz KwaZulu-Natal, rund um Paulpietersburg. Hier stehen noch die uralten Stores: dunkle, altmodische Läden des Landhandels, seit hundert Jahren unverändert. Im Geschäft von Braunschweig, einer kleinen deutschen Gemeinde, ragen sogar noch die Holzregale zur Decke, die mein Urgroßvater getischlert hat. Und noch immer gibt es zwei getrennte Eingänge zu zwei getrennten Ladenräumen: einen für die Weißen, einen für die Schwarzen. Das scheint hier niemanden zu stören, es wurde einfach nur nicht geändert. Die Waren sind in beiden dieselben: Omo-Waschmittel, Zahnpasta, Seife, Bonbons, Maismehl, Chips, Werkzeug. Und ganz wichtig draußen die einzige Zapfsäule, an der die Farmer der Gegend tanken. Sie steht dort seit siebzig Jahren.

Mitten in der Pampa bei Lüneburg stoßen wir auf eine deutsche Fleischerei. Das Geschäft boomt. Die Deutschen fahren meilenweit von überall her, um hier ihr Grillfleisch zu holen. Die Frau an der Kasse heißt Gudrun und duzt uns. Verwandt sind die Deutschen hier sowieso alle irgendwie.

Weißer und schwarzer Stein

Auf dem Friedhof von Elandskraal liegt sie begraben, die Familie des Missionars. "Umfundisi wetu" steht auf seinem Grabkreuz: Unser lieber Lehrer. Er predigte in zwei Kirchen, in einer für die Weißen und in einer für die Schwarzen. Die für die Weißen war aus weißem Stein, die für die Schwarzen aus schwarzem. Solcher Absurdität muss Marulla jetzt nicht mehr begegnen. Zu zeigen, wie scharf das Messer der Apartheid gewesen ist, vermag allein die Sprache. Eine Farmersfrau, bei der wir wegen einer Übernachtung anfragen, hat mitbekommen, dass Marulla adoptiert und schwarz ist. "Das macht nichts", sagt sie, "sie kann trotzdem hier schlafen."

Die Nachfahren des Umfundisi haben berufliche Häutungen vollzogen. Mein Onkel F. war vor der Wende in Südafrika 1994 wohlhabender Besitzer einer Bekleidungsfirma. Seither versucht er es mit dem Geigenbau, und samstags backt er Kuchen vor einem Shopping Center. Mein Onkel B. arbeitete als Deutschlehrer, fuhr dann aber zeitweise noch mit dem Lieferwagen über Land, um Hundefutter zu verkaufen, weil das Geld nicht langte.

Hochdynamisch ist dieses Südafrika und auf geradezu explosive Weise unkonventionell. Das mag auch daran liegen, dass Schwarze sich nicht uniformieren lassen. Natürlich tragen auch sie Uniformen, zum Beispiel als Sicherheits- oder Bankangestellte. Aber das hindert sie nicht daran, in ihrer Mittagspause ausgestreckt auf einem Grasstück an einer Kreuzung zu schlafen, mit weit geöffneten Armen, während um sie herum der Verkehr braust.

Pfannkuchen und Abendkleider

Wer zur Veränderung bereit ist, wird kreativ. Wie die Frau in Paulpietersburg, in deren Haus wir durch ein Schild am Gartenzaun gelockt werden: Pfannkuchen. Aber auch Abendkleider, Blusen, Seidenschals kann man bei ihr erstehen, selbstgeschneidert hängen sie neben unserem Tisch an den Ständern, von Fett-Schwaden durchzogen.

Als wir beim Abschied schon draußen beim Auto stehen, kommt meine Tante aufgebracht herausgelaufen. "Warum habt ihr eure Betten nicht abgezogen? Das macht die Anna nicht! Sie ist dafür nicht zuständig. Es ist hier nicht mehr so wie früher. Die Schwarzen machen nicht mehr alles."

Da bricht es aus ihr heraus, das heiße Eisen dieses ständig gegenwärtigen Themas. "Und mein Bruder ist unmöglich", faucht sie. "Er lässt seine Schwarze immer noch die Koffer zum Auto tragen!" Das ist es, was sie uns sagen will: Hier hat sich alles verändert. Habt ihr das gemerkt?

Tanja Jeschke: Ein Kind fliegt davon. Roman. Horlemann Verlag, Berlin 2011, 222 Seiten, Euro 19,80.

Tanja Jeschke

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