Ja, es geht

Holzschnitzelöfen und anderes
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Geht es auch anders? Ja, es geht auch anders - und viele sind schon losgegangen, lautet die Botschaft dieses Buches.

"Aber sind es nicht letztlich doch versprengte Einzelne - liebenswerte und skurrile Spinner, die es nie und nimmer aus der Nische heraus schaffen werden? Kann so etwas übertragen werden aufs 'große Ganze'?" Am Ende ihres Buches stellt Annette Jensen die Frage, die alle stellen.

Viel spricht dafür, dass, was im Kleinen gelingt, auch im Großen möglich ist - vor allem aber nötig sei, meint Jensen nach zahlreichen Begegnungen mit diesen "Spinnern", die sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz besucht hat. Es gibt überall in der Wirtschaft Bestrebungen, den Zwängen der globalen Produktion und Vermarktung zu entkommen - ob bei Landwirten oder Programmierern, und selbst im Finanzsektor. Die Erfolge zeigen, dass eine dezentral orientierte Ökonomie langfristig effizienter ist als Großstrukturen - und deshalb zukunftsfähig.

Für die Leserinnen und Leser des Buches: Wir steigern das Bruttosozialglück. Von Menschen, die anders wirtschaften und besser leben ist die Beantwortung der Frage, ob die "Spinner" obsiegen werden - oder doch der ganz normale Wahnsinn - allerdings nicht entscheidend. Denn um das Buch mit Gewinn zu lesen, reicht eine Frage aus: Geht es auch anders?

Ja, es geht, lautet die Antwort, die Annette Jensen auf über zweihundert lebendig geschriebenen Seiten gibt. Sie stellt uns kluge, besonnene und mutige Unternehmer und Initiativen vor. Sie schildert die Risiken, die viele von ihnen eingegangen sind - und die Rendite, die sie nun einfahren.

In Jühnde bei Göttingen beteiligte sich das halbe Dorf daran, eine Biogasanlage, ein Blockheizkraftwerk und einen Holzhackschnitzelofen zu bauen. Sie ersetzen 300. 000 Liter Erdöl pro Jahr. Drei Viertel der Haushalte beziehen Bioenergie und sparen im Winter mehrere hundert Euro Heizkosten. "Das rechnet sich - und es lebt sich besser", sagt ein Bauer: "Im Dorf ist es interessanter geworden. Anderswo reden die Leute übers Wetter, bei uns über die gemeinsame Anlage."

Zwischenüberschrift

Jensens Gesprächspartner verschweigen aber auch die Rückschläge und Widersprüche nicht: Im genossenschaftlichen Dorfladen muss es im Winter Tomaten geben, sonst gehen die Leute in den Supermarkt. Ein österreichischer Schuhfabrikant, der auf kurze Transportwege setzt, bezieht sein Leder aus der Türkei, weil es keine Gerbereien mehr gibt. Jensen: "Anders als die Zerstörung regionaler Strukturen ist ihr Wiederaufbau ein zäher und langwieriger Prozess."

In den fünf großen Abschnitten des Buches - Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Produktion, und Banken - liefert Jensen jeweils eine fundierte Darstellung des Wirtschaftszweigs und seiner Probleme: eine Landwirtschaft, die Natur zerstört, aber den Hunger nicht besiegen kann, eine Finanzwirtschaft, die Werte vernichtet, immer mehr Verkehr, dem die Ziele abhanden gekommen sind.

Welchen Sinn hat es, fragt Jensen, ein Stück Butter durch halb Europa zu fahren? In den Fünfzigerjahren verbrauchte ein Deutscher pro Jahr im Schnitt 6,6 Kilogramm Butter. Sie kam aus der nächstgelegenen Molkerei. Heute sind es 6, 4 Kilogramm von überall her. Ökologisch ist das ein Rückschritt.

Das Energie-Kapitel ist das Hoffnungskapitel des Buches. An der Energiewende entscheidet sich, ob mit dem Atomausstieg das Ende der Großversorgerstrukturen eingeleitet wird. Annette Jensen verfolgt als Journalistin schon zwei Jahrzehnte, wie Kohle, Erdöl und Atomkraft entzaubert wurden. Kleine alternative Versorger gibt es längst - aber werden sie ihre Chance bekommen? Darauf hat die Politik entscheidenden Einfluss - und die "Anti-Atomkraftbewegung", sagt Jensen: "Sie muss sich weiterentwickeln zu einer Pro-Energiewende-Bewegung."

Geht es auch anders? Ja, es geht auch anders - und viele sind schon losgegangen, lautet die Botschaft dieses Buches. Jedes Kapitel enthält Hinweise auf Internet-Seiten und Kontaktadressen. Ein "Herzensanliegen" sei ihr dieses Buch gewesen, sagt die Autorin, die sich auf Nachhaltigkeitsthemen spezialisiert hat. Sie ist - mitten in der Krise - optimistisch: "Da ist eine Bewegung in Gang gekommen, die stärker ist, als sie selbst es weiß."

Annette Jensen: Wir steigern das Bruttosozialglück. Von Menschen, die anderswirtschaften und besser leben. HerderVerlag, Freiburg i. Br. 2011, 238 Seiten, Euro 16,95.

Bettina Markmeyer

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