Bremsklotz Kirche

Warum sich die evangelische Kirche mit der Mitbestimmung von Frauen so schwer tat
Der Schweizer Ernst Keiser (1894–1960) gestaltete 1920 dieses Wahlplakat. Foto: Museum für Gestaltung Zürich
Der Schweizer Ernst Keiser (1894–1960) gestaltete 1920 dieses Wahlplakat. Foto: Museum für Gestaltung Zürich
Frauen stellten schon im 19. Jahrhundert die Mehrheit der Gottesdienstgemeinde und leisteten den größten Teil der kirchlichen Sozialarbeit. Doch in Kirchenvorständen und Synoden waren ausschließlich Männer stimmberechtigt. Wie sich das änderte, schildern Kristin Bergmann und Antje Buche.

Um das Recht für Frauen, die Politik aktiv und passiv mitgestalten zu können, wurde in Deutschland und in vielen anderen Ländern jahrzehntelang gekämpft. In Deutschland kam die Forderung nach dem Frauenwahlrecht bereits in der 1848-er Revolution auf und wurde spätestens um die Jahrhundertwende zu einem bestimmenden gesellschaftlichen Thema. Das kirchliche Wahlrecht war ein wichtiger Nebenschauplatz dieser Auseinandersetzungen. Die Kirche war nahezu der einzige Raum jenseits des heimischen Herdes, der Frauen offenstand. Sie stellten schon damals die Mehrheit des Gottesdienstpublikums und leisteten den größten Teil der kirchlichen Sozialarbeit. Mitentscheidungsrechte hatten sie dennoch nicht. In Kirchenvorständen, Synoden und bei der Pfarrerwahl waren ausschließlich Männer stimmberechtigt.

Wegen der starken Präsenz der Frauen war die Forderung nach dem kirchlichen Frauenwahlrecht besonders brisant. Frauenrechtlerinnen hegten die Erwartung, dass sich das Wahlrecht in der Kirche schneller würde durchsetzen lassen. Der Ausschluss der Frauen schien hier noch schwieriger legitimierbar zu sein als im staatlichen Bereich, zu dem Frauen keinen Zugang hatten. Zuerst eingefordert wurde das kirchliche Stimmrecht vom Deutschen Verein für Frauenstimmrecht, der der bürgerlichen Frauenbewegung angehörte. Wenige Monate später forderte der Deutsch-Evangelische Frauenbund (DEF) mit einer Eingabe das kirchliche Frauenstimmrecht. In den nächsten Jahren folgten viele weitere Eingaben des DEF sowie lokal engagierter evangelischer Frauenvereine an die mehr als dreißig Landeskirchen. Das Kalkül, dass sich das kirchliche Frauenstimmrecht schneller als das politische Wahlrecht erringen lassen würde, ging allerdings nicht auf. Tatsächlich betätigte sich die Kirche eher als Bremsklotz denn als Motor des Frauenstimmrechts. Ein Blick auf die tonangebenden Kreise der Kirche in der Kaiserzeit zeigt, warum dies so war.

Das Wahlrecht war zentrale Forderung und Kristallisationspunkt der Frauenbewegung, die – neben der Arbeiterbewegung – die bedeutendste soziale Bewegung im 19. Jahrhundert darstellte. Im Zuge der sozialen und demokratischen Bewegung um die 1848-er Revolution waren auch die spezielle gesellschaftliche Lage der Frauen und ihr Ausschluss aus dem politisch-öffentlichen Bereich in den Vordergrund gerückt. Während die proletarische Frauenbewegung gegen die schlimme soziale Lage der Arbeiterinnen in Werkstätten, Fabriken und Haushalten kämpfte, ging es der bürgerlichen Frauenbewegung um Bildungsmöglichkeiten und um eine eigenständige materielle Existenzmöglichkeit. Außer der Eheschließung war für bürgerliche Frauen nur der (Hilfs-)Lehrerinnen-Beruf mit einer standesgemäßen Lebensführung vereinbar. Das herrschende Frauenbild, gegen das die Frauenbewegung aufbegehrte, umriss der Historiker Heinrich von Treitschke so: „Der eigentliche Beruf des Weibes wird zu allen Zeiten das Haus und die Ehe sein. Sie soll Kinder gebären und erziehen. Ihrer Familie soll sie den lauteren Quell ihrer fühlenden, liebevollen Seele spenden.“

Dieses Leitbild war auch in der evangelischen Kirche vorherrschend. Die große Mehrheit der Protestanten und Protestantinnen war dem preußischen Obrigkeitsstaat eng verbunden und stand demokratischen Neuerungen und der „modernen Welt“ ablehnend gegenüber. So stellten Evangelische im Kaiserreich einen überproportional hohen Anteil an den gesellschaftlichen Eliten. Auch in den Kerngemeinden bestimmten konservative Strömungen das Klima. Dem kirchlichen Frauenwahlrecht und erst recht dem politischen Wahlrecht standen diese Gruppen ebenso ablehnend gegenüber wie anderen Forderungen nach Gleichberechtigung der Geschlechter. Theologisch begründet wurde diese Haltung zum einen mit dem „Paulinischen Schweigegebot“ in 1. Korinther 14. Zum anderen wurde mit einer „Schöpfungsordnung“ argumentiert, die polare Geschlechtscharaktere und damit auch unterschiedliche Aufgaben von Mann und Frau unverrückbar festschreibe.

Herrschende Frauenfeindlichkeit

Protagonistinnen der Frauenbewegung hielten dem den „christlichen Geist der Liebe, der Freiheit und der Gerechtigkeit“ entgegen und wiesen auf eine tiefe innere Verwandtschaft von Protestantismus und Frauenbewegung hin. Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm appellierte an ihre Leserinnen und Leser, „zwischen dem wirklichen Christentum und seiner getrübten kirchlichen Ausgestaltung“ zu unterscheiden, die zu einem erheblichen Teil an der in der Gesellschaft herrschenden Frauenfeindlichkeit schuld sei.

Erst in den 1890-er Jahren öffneten sich Teile der evangelischen Kirche vorsichtig der Frauenfrage. So setzte eine Frauengruppe durch, dass 1895 erstmals eine Frau Hauptrednerin auf dem im Jahre 1890 ins Leben gerufenen Evangelisch-sozialen Kongress war. Dieser Vortrag widmete sich den sozialen Problemen der Zeit und hatte sich auch die Aufgabe gesetzt, „die Frauenfrage auf dem Hintergrunde der modernen sozialen Gestaltungen von einem echt evangelischen Gesichtspunkt aus“ zu behandeln. Die Rednerin Elisabeth Gnauck-Kühne (siehe auch zz 3/2017), eine der ersten deutschen Sozialwissenschaftlerinnen, referierte über die Lage der Frauen. Mindestens so bedeutend wie das Thema selbst war, dass durch die Rede Gnauck-Kühnes das „Paulinische Schweigegebot“ durchbrochen wurde. Wie schwer diese Sensation wog, lässt sich an den internen Auseinandersetzungen ersehen, die unter anderem zum Austritt von Mitgliedern führten. Auch in der weit gefächerten evangelischen Presselandschaft löste die Rede Gnauck-Kühnes heftigen Streit aus. Doch eine innerkirchliche Diskussion ließ sich nun nicht mehr vermeiden. 1899 modifizierten die Leitsätze der Inneren Mission die Haltung der Kirche zur Rolle der Frau. Die Leitsätze waren zwar weit davon entfernt, Forderungen der Frauenbewegung aufzunehmen. Sie schwächten die bisher postulierte strikte Verneinung öffentlichen Auftretens von Frauen aber deutlich ab. Das „Paulinische Schweigegebot“ wurde nun so interpretiert, dass es nur noch für die „sakrale Sphäre“ Bedeutung hatte. Die Unterordnung der Frau unter den Mann wollten die Leitsätze jetzt nur noch „auf die Ehe beschränkt“ wissen. Hinter dieser Kurskorrektur stand zum einen der Wunsch, der schnell erstarkenden bürgerlichen und proletarischen Frauenbewegung eine christliche Alternative entgegenzustellen. Zum anderen wollten kirchliche Funktionsträger das große Potenzial der kirchentreuen Frauen noch stärker für die diakonische Arbeit gewinnen.

Ebenfalls 1899 entstanden zwei große evangelische Frauenorganisationen: der Deutsch-evangelische Frauenbund (DEF) und die Evangelische Frauenhilfe. Beide Frauengruppen gehörten zum konservativen Flügel des Protestantismus. In der Frage des Stimmrechts für Frauen waren sie allerdings tief gespalten. Als Frauenverband des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins war die Frauenhilfe darauf ausgerichtet, Frauen für das ehrenamtliche karikative Engagement zu rekrutieren. Dem öffentlichen Auftreten von Frauen erteilten die tonangebenden – selbstverständlich männlichen – geistlichen Leiter der Frauenhilfe eine klare Absage. Das schloss die Ablehnung sowohl des politischen Wahlrechts als auch des kirchlichen Stimmrechts für Frauen ein.

Demgegenüber verstand sich der DEF als Teil der Frauenbewegung. Er hatte eine autonome Organisationsstruktur ohne männliche Leitung. In seiner Programmatik nahm die Forderung nach gleichberechtigter Partizipation an der kirchlichen Selbstverwaltung einen zentralen Platz ein. 1908 schloss sich der DEF dem Bund deutscher Frauenvereine an und wurde damit formal Teil der bürgerlichen Frauenbewegung. Das politische Wahlrecht lehnte der DEF allerdings ausdrücklich ab. Hierfür spielten in erster Linie wohl taktische Gründe eine Rolle. Als deutsch-national ausgerichteter Bund fürchtete er, dass das politische Wahlrecht die Sozialdemokratie stärken und den „Interessen des Vaterlandes“ zuwiderlaufen könnte. Als der Bund deutscher Frauenvereine 1917 das Frauenwahlrecht forderte, trat der DEF aus dem Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung aus.

Zunehmender Druck

Durch die beharrlich getätigten Eingaben des DEF kam die Forderung nach dem Frauenstimmrecht allmählich in die landeskirchlichen Synoden. Zwar blieben die anfänglichen Versuche, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, meist erfolglos. Denn oft wurden die Eingaben nicht weiter behandelt oder an ein anderes Gremium überwiesen. Da der gesellschaftliche und innerkirchliche Druck weiter zunahm, konnte man sich einer Auseinandersetzung mit dem Frauenwahlrecht jedoch nicht dauerhaft verschließen. Die Synodendebatten wurden in der Regel ausgesprochen kontrovers geführt: Befürworter des Frauenwahlrechts argumentierten mit der überwiegend von Frauen geleisteten diakonischen Arbeit und der zentralen Bedeutung dieser Arbeit für die Kirche. Theologisch wurde auf Galater 3,28 abgehoben und die Gottesebenbildlichkeit beider Geschlechter betont.

Die Gegner beriefen sich weiterhin auf eine vermeintlich vorgegebene „Schöpfungsordnung“, nach welcher die Frau dem Mann klar untergeordnet sei. Auch das „Paulinische Schweigegebot“ in 1. Korinther 14, wurde stets angeführt. Die angebliche Unfähigkeit der Frauen wurde mit „wissenschaftlichen“ Untersuchungen und Argumenten zu belegen versucht. Zudem äußerten Synodale nicht selten ihre Sorge um den Gemütszustand der Frauen. Sie seien den Erregungen von Wahlkämpfen nicht gewachsen oder verlören auf diese Weise nicht nur ihre Weiblichkeit, sondern auch das Recht, von Männern in angemessener Weise behandelt zu werden.

Gegen das kirchliche Frauenstimmrecht positionierten sich auch Frauen in der Kirche, die an ihrer „gottgewollten Position“ nichts auszusetzen hatten. Überhaupt löste die Vorstellung, dass als natürlich empfundene Geschlechterunterschiede aufgehoben werden sollten, auch damals bei verschiedenen Gruppen erhebliche Ängste aus und führten zu radikaler – zum Teil hasserfüllter – Abwehr. 1912 gründete sich der Deutsche Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation. Unter dem Wahlspruch „Echte Männlichkeit für den Mann, echte Weiblichkeit für die Frau!“ kämpfte die Organisation gegen die politische Mitbestimmung von Frauen, aber auch gegen weibliche Erwerbstätigkeit, gleichberechtigte Bildungschancen und die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen. Dass der Bund über einen starken protestantischen Flügel verfügte, zeigt, wie nachdrücklich Frauenrechte auch in Teilen der Kirche abgelehnt wurden.

Als mit der Gründung der Weimarer Republik die Frauen 1918 das politische Wahlrecht erhielten, gab es das kirchliche Stimmrecht immer noch nicht. Erst durch die Einführung des politischen Wahlrechts kam es in den meisten Landeskirchen oft nolens volens zu Veränderungen. Viele Landeskirchen entschieden sich, den Frauen das Recht auf Mitentscheidung beim Erlass der durch den Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments notwendig gewordenen Änderungen der Kirchenverfassungen nicht länger vorzuenthalten. Eine Selbstverständlichkeit war das Frauenwahlrecht in der evangelischen Kirche aber längst nicht. Als die bayerische Landessynode 1956 über die Einführung des passiven Wahlrechts für Frauen diskutierte, bekundete ein Synodaler: „Wir wissen ja alle, dass nun eben mal Mann und Frau nebeneinander bestehen, dass das Wesen, die Gaben, die Aufgaben der beiden vollständig voneinander verschieden sind und dass man nicht vielleicht von einer Abwertung sprechen darf, wenn man der Frau nicht alles das einräumen will, was man dem Mann nun einmal bestimmungsgemäß eingeräumt hat.“

Erst seit 1967 besitzen Frauen in allen Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland das gleiche Wahlrecht wie Männer.

Kristin Bergmann / Antje Buche

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