Ökostrom von der Kirche

Windräder der mitteldeutschen Landeskirche sollen Gemeinden und Diakonie mit Energie versorgen
Der Wind weht, wo er will, aber man kann ihn nutzen. Foto: epd/ Steffen Schellhorn
Der Wind weht, wo er will, aber man kann ihn nutzen. Foto: epd/ Steffen Schellhorn
Die Evangelische Kirche von Mitteldeutschland hat ein ehrgeiziges Ziel: Sie will den Strom, den sie in ihren Gemeinden und diakonischen Einrichtungen verbraucht, selbst erzeugen und dabei das Klima schützen. Ein eigenes Stromlabel ist in Planung. Kann das ein Vorbild auch für andere Landeskirchen sein?

Thomas Wicks Finger kreist suchend über der Landkarte, dann findet er sein Ziel, zwischen dem Thüringischen Sömmerda und der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Wick, Sachbereichsleiter Landwirtschaft bei der Evangelischen Kirche von Mitteldeutschland (EKM), zeigt auf das Städtchen Olbersleben: „Hier wird es stehen.“ Das siebte Windrad der Landeskirche soll in diesen Tagen, also Ende Juni 2018, in Betrieb gehen. Knapp 5,5 Millionen Euro dürfte es am Ende gekostet haben, 80 Prozent davon kommen als Kredit von einer der evangelischen Banken, der Rest von der Landeskirche. Doch nach zehn bis fünfzehn Jahren werden diese Kosten eingespielt sein. Und auch über diesen Zeitraum hinaus, nämlich zwanzig Jahre lang, garantiert das Erneuerbare Energiengesetz (EEG) feste Vergütungen, zu denen der Strom aus diesem Windrad in das Netz gespeist wird. „Das Geld aus den kirchlichen Eigenmitteln wird mit jährlichen Ausschüttungen von mindestens vier Prozent gut verzinst und wird bis zum Ende der Laufzeit vollständig zurück erstattet sein“, sagt Wick.

Doch es geht der Landeskirche nicht vorrangig um Renditen, sondern um ein klimapolitisches Ziel: Der jährliche Energieverbrauch der Kirchengemeinden und kirchlichen Verwaltungen soll durch selbst produzierten Windstrom gedeckt, also ins Netz eingespeist werden. 33 Millionen Kilowattstunden sind das im Jahr, dazu braucht man sieben Windräder. Dieses Ziel wäre also erreicht. Denn es stehen ja bereits sechs evangelische Strommühlen im EKM-Gebiet auf kirchlichen oder gepachteten Flächen in Windparks in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Nimmt man aber die diakonischen Einrichtungen im Bereich der Landeskirche noch hinzu, wächst der Strombedarf auf 57 Millionen Kilowattstunden. Das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von rund 14.000 Vier-Personenhaushalten hierzulande. Um den zu decken, müssen noch weitere Räder gebaut oder erworben werden, 13 bis 16 Windkraftanlagen sollen es am Ende sein. Die Landeskirche geht davon aus, dass dieses Ziel bis Ende 2018 erreicht ist Insgesamt investiert der für das gesamte Projekt gegründete EKM-Stromverbund, eine Tochter der Landeskirche mit drei Mitarbeitern, etwa 55 Millionen Euro. Technisch gewartet und betrieben werden die Windräder allerdings nicht aus dem Landeskirchenamt, sondern von externen Dienstleistern in den Windparks vor Ort.

Reich an Flächen

Dass die Landeskirche überhaupt in die Produktion von Strom einsteigt, ist eine Folge der Kampagne „Klimawandel - Lebenswandel“ mit der die EKM 2011 in vielen unterschiedlichen Vortrags-, Diskussions- und Schulungsveranstaltungen Fragen des Klimaschutzes nachging. „Auch die Landessynode hat sich mit dem Thema beschäftigt und gefragt, was wir als Kirche im größeren Stil für den Klimaschutz tun könnten“, sagt Friedemann Kahl, Pressesprecher der Landeskirche in Magdeburg. In der Synode sei dann die Idee entstanden, den selbstverbrauchten Strom durch Windräder zu produzieren. Denn die Kirche in Mitteldeutschland besitzt viele Flächen, die sie auch schon vor 2011 an Betreiber von Windparks verpachtet hatte. Rund 130 Mühlen von anderen Investoren drehen sich auf kirchlichen Feldern der EKM.

Da lag es nahe, selber als Betreiber in das Geschäft einzusteigen, auch wenn Windparks schon lange nicht mehr unumstritten sind. Während die einen vor allem ästhetische Argumente gegen die „Verspargelung der Landschaft“ ins Feld führen, verweisen die anderen auf mögliche Gefahren für Mensch und Tier: Vögel sterben durch den Rotorenschlag, Menschen fühlen sich durch Schall- und Lichtemissionen sowie Verschattungen beeinträchtigt. Deshalb sei es wichtig, dass die Standorte genau geprüft und mit den Anwohnern und Kirchengemeinden vor Ort gesprochen werden muss, sagt Wick. „Mit den einen dann etwas mehr, mit den anderen weniger.“ Zu großen Konflikten sei es aber bislang nicht gekommen.

Im Gegenteil, die Erfahrungen waren bislang so positiv, dass die Landeskirche nun weitere Projekte in Angriff nimmt. Zunächst die Errichtung weiterer Windanlagen, um den eigenen Strombedarf zu decken. Dabei muss sie allerdings anders kalkulieren als bisher. Denn durch eine Novelle des Erneuerbaren Energiengesetzes sollen die Förderkosten für den Ökostrom, die jeder Stromkunde über die so genannte EEG-Umlage bezahlt, begrenzt werden. Das funktioniert grob gesagt so: Die Bundesnetzagentur schreibt Strommengen aus, für deren Erzeugung sich die Betreiber von Windanlagen oder Solarkraftwerken bewerben können. Das preisgünstigste Angebot erhält den Zuschlag, und der jeweilige Betreiber muss dann innerhalb einer bestimmten Frist die Windanlage errichten. Für den Stromverbund bedeutet das, dass mit einem sehr spitzen Bleistift gerechnet werden muss und dass nur mit überdurchschnittlichen Ertragsstandorten ein wirtschaftlicher Betrieb abgesichert werden kann.

Doch in Magdeburg denkt man noch einen Schritt weiter. Bisher wird der produzierte Strom ja nur ins Netz eingespeist, künftig will die EKM diesen über einen externen Dienstleister selbst vermarkten. Zum Jahreswechsel soll ein eigenes Stromprodukt vorgestellt werden, das dann von interessierten Kunden genutzt werden kann. Grüner Strom aus regionalen kirchlichen Windmühlen - das könnte vor allem Kirchengemeinden und kirchliche Einrichtungen in Mitteldeutschland interessieren. „Mit 50 bis 60 Millionen Kilowattstunden produzierten Stroms sind wir eine kleine Nummer im Bereich der Direktvermarktung“, sagt Wick. Dennoch ergäben erste Berechnungen und Erhebungen, dass man den kirchlichen Abnehmern „ein attraktives und konkurrenzfähiges Stromprodukt anbieten kann.“

Kein Kerngeschäft

Doch ist das alles überhaupt gerechtfertigt? Hat Kirche nicht ganz andere gesellschaftliche und seelsorgerliche Aufgaben als Strom zu produzieren und zu verkaufen? „Es ist völlig klar, unser Kerngeschäft ist ein anderes“, sagt Pressesprecher Kahl. „Aber es ist eine logische Folge unseres Umgangs mit kirchlichen Flächen.“ Schon vor 200 Jahren sei Land im Kirchenbesitz verpachtet worden, um mit dem Ertrag die kirchliche Arbeit in den Gemeinden und diakonischen Einrichtungen zu finanzieren. „Der Bau und Betrieb von Windkraftanlagen ist im besten Sinne ein ‚Mit-der-Zeit-gehen‘.“

Auch der Umweltbeauftragte der EKD Hans Diefenbacher hält die Produktion von Ökostrom auf kirchlichen Flächen und Gebäuden grundsätzlich für „eine gute Idee“, die unter bestimmten Voraussetzungen auch in anderen Landeskirchen umsetzbar sei. Die konkrete Realisierung solcher Wind- oder Solarstromprojekte hänge aber unter anderem davon ab, dass den Kirchen entsprechende Flächen mit ausreichendem Wind oder Sonnenschein zu Verfügung stünden. „Doch auch, wo das nicht der Fall ist, gibt es Möglichkeiten, zum Beispiel die Beteiligung an Energiegenossenschaften“, sagt Diefenbacher. So wurde bereits 2009 in der Evangelischen Akademie Bad Boll die Ökumenische Energie-Genossenschaft Baden-Württemberg gegründet. Konkreter Anlass war die Errichtung einer Photovoltaik-Anlage auf dem Gästehaus der Akademie. Grundsätzlich will die Genossenschaft aber dazu beitragen, das große Potenzial von Dächern in diakonischen Einrichtungen, etwa bei Heimen, Tagungsstätten, Verwaltungsgebäuden und Krankenhäusern, für die Erzeugung von Sonnenstrom zu nutzen.

Die Minimallösung, die für jede Kirchengemeinde möglich ist: Den eigenen Stromverbrauch mit Ökostrom zu decken. Die Synode der Landeskirche Hessen-Nassau (EKHN) hat jüngst ihre Gemeinden und Einrichtungen zum Bezug von Ökostrom und Biogas über zentral geschlossene Lieferverträge mit Energieunternehmen verpflichtet. Dadurch erhofft sich die EKHN neben finanziellen Einsparungen eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes um 34 Prozent gegenüber 2005.

Die Versorgung mit Ökostrom sei einer der leichteren großen Schritte auf dem Weg zu einer besseren Klimabilanz, sagt Diefenbacher, der Leiter des Arbeitsbereiches Frieden und Nachhaltige Entwicklung bei der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (fest) in Heidelberg ist. Die FEST berät Landeskirchen bei Erstellung und Umsetzung von Klimaschutzkonzepten. In 14 von 20 Landeskirchen liege dieser bereits vor. Doch um das von der EKD-Synode formulierte Ziel von 40 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 zu schaffen, werde die Umstellung auf Ökostrom nicht ausreichen. „Dazu müssen zum Beispiel auch die Themen Mobilität, Beschaffung und Ernährung in kirchlichen Einrichtungen angegangen werden.“

Auch in der Evangelischen Kirche von Mitteldeutschland verfolgt man weiterreichende Pläne über die Stromproduktion und den Vertrieb hinaus. Denn Windmühlen produzieren bisweilen mehr Strom, als das Netz aufnehmen kann und müssen dann abgestellt werden. Sinnvoller wäre es, den Strom zu speichern, etwa in Batterien von Elektro-Fahrzeugen. Tatsächlich ist das für den EKM-Stromverbund eine mögliche Option, zumal im Kirchenkreis Egeln im Südharz seit Februar 2017 ein Modelprojekt läuft. Hier werden VW-Golfs mit Elektromotor als Dienstfahrzeuge getestet. Auf acht bis zehn Fahrzeuge soll die Flotte wachsen, der Versuch soll über vier Jahre laufen. In dieser Zeit soll sich zeigen, wie praxistauglich so ein Auto zum Beispiel für einen Pfarrer oder Pfarrerin auf dem Land ist und ob die E-Mobilität am Ende wirklich eine bessere Umweltbilanz bringt.

Stephan Kosch

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