Der Zug lässt Eisenhüttenstadt hinter sich und fährt weiter Richtung Cottbus. Nächste Station: Neuzelle. Die winterlichen Bäume mit ihren kahlen Ästen geben den Blick frei auf den über siebzig Meter hohen Glockenturm und den schmucken ocker und weißen Anstrich der katholischen Stiftskirche St. Marien. Sie ist das Zentrum der ehemaligen Zisterzienserabtei Kloster Neuzelle, die im Südosten Brandenburgs liegt, zwischen Schlaubetal und der Oder-Neiße-Mündung, fast vollständig erhalten und musterhaft restauriert. 1268 von Markgraf Heinrich von Meißen gestiftet, erfuhr das Kloster im 17. und 18. Jahrhundert seinen barocken Ausbau. Lässt man das Eingangsportal hinter sich und betritt den Stiftsplatz, fällt der Blick auf das alte Kutschstallgebäude: das Museum „Himmlisches Theater“. Drinnen, wo früher Kutschen und Pferde untergebracht waren, hüten die Neuzeller seit genau einem Jahr ihren einzigartigen Schatz: die Neuzeller Passionsdarstellungen vom Heiligen Grab aus dem 18. Jahrhundert.
Viel Wissenswertes erfährt der Besucher im Vorraum, über die Kulissenbeleuchtung im 17. Jahrhundert, über die Jesuiten, die nach dem Trienter Konzil 1563 religiöses Theater entwickelt haben, über Heilige Gräber und auch über die Passionsgeschichte. Durch einen kurzen Tunnel gelangt der Besucher in den Neubau, der in den ehemaligen Weinberg des Klosters hineingesetzt ist.
Und nun die Passionsdarstellungen im Halbdunkel. An der Stirnseite das in großen Lettern auf die Wand projizierte Jesaja-Wort: „Sein Grab wird herrlich sein.“ Links die mehr als sechs Meter hohe Theaterkulisse mit dem Bühnenbild „Stadt“, rechts das Bühnenbild „Garten“. In der Stadt Jerusalem wird die Szene „Kreuztragung“ gezeigt, im Garten Gethsemane der „Judaskuss“. Hier steht im Zentrum eine Figurengruppe um Jesus, der in rot und blau gekleidet ist, und Judas im gelben Gewand. Davor sind Figurengruppen wie „Kain und Abel“ und „Joab tötet Abner“ platziert. Oder König David mit der Harfe auf dem Rücken. Ihm zu Füßen heißt es: „Ich habe den Weg Deiner Gebote gelaufen.“ Oder Sauls Selbstmord mit dem Spruch „Darum sind wir vom Weg der Wahrheit irrgegangen“. Zwischendrin steht ein kleiner Putto, ein so genannter Deutgeist. Er weist hin auf „Liebet eure Feinde, thut gutes denen, die euch haßen“.
Aufwändig gearbeitete lebensgroße Figuren aus Holz und Leinwand, bemalt mit verschiedenen Schichten faszinieren den Betrachter und vermitteln den Eindruck, man sei Teil des Geschehens. Sie machen die biblischen Geschichten sinnfällig und werden in den Szenen ergänzt mit theologischen Kommentaren und Bildtypologien aus dem Alten Testament. Zu den einzelnen Szenen hatte man damals Beschreibungen gedruckt, die wie ein Theaterprogramm zu lesen waren.
Wie kommt dieses barocke Kleinod nach Neuzelle? In Auftrag gab das Theater mit seinen insgesamt fünf Bühnenbildern und 15 Szenen der Zisterzienser-Abt Gabriel vor über 260 Jahren. Er entschied über die Ausstattung der Stiftskirche mit dem Kulissenheiligengrab, das 239 Teile umfasste. Und der böhmische Künstler Joseph Felix Seifrit zeichnet als „Pictor et Architectus“ verantwortlich; er hat sich mit zwei Monogrammen und Signaturen auf den Figuren verewigt: 9. und 10. April (Karfreitag und Karsamstag) des Jahres 1751.
An diese Vergangenheit erinnert das Himmlische Theater in Neuzelle und wird jedes Jahr neu gegenwärtig, nicht nur wie früher in der Passionszeit, sondern das ganze Jahr.
Information
Stiftung Stift Neuzelle, Stiftsplatz 7, 15898 Neuzelle, Öffnungszeiten des Museums täglich von 10 bis 18 Uhr mit Audioguide, Ansprechpartner: Museumsleiter Martin Salesch, Telefon 033652/6102.
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte
Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.