Nach evangelischen Grundsätzen gilt: Nur wer auch evangelisch ist, darf in einer evangelischen Einrichtung arbeiten. Aufgeschrieben ist dies in Paragraf drei der „Loyalitätsrichtlinie“, die die EKD 2005 erlassen hat. Doch man muss nicht in entchristlichte Gebiete des Ostens gehen, um festzustellen: Eingehalten wird dieser Grundsatz nicht. Stattdessen macht man überaus rege davon Gebrauch, dass ausnahmsweise auch einmal ein nichtevangelischer Christ als Pfleger oder als Ärztin tätig werden darf.
Auf diese Weise wird das Prinzip umgekehrt: Was als Grundsatz formuliert ist, um das Evangelische an einer Einrichtung deutlich zu machen, wird vielfach nicht eingehalten. Das ist nicht nur ein theologisches Problem, sondern es wird auch ein juristisches, weil man sich an seine eigenen Regeln nicht hält. Daher sollte die evangelische Kirche umdenken und aus der Ausnahme den Grundsatz machen: Die Kirchenzugehörigkeit spielt grundsätzlich keine Rolle für die Tätigkeit in einer evangelischen Einrichtung - außer dort, wo man wirklich nicht auf sie verzichten kann.
Dies alles ist kein Kleinkram, der nur wenige Menschen betrifft. Neben weiteren großen freien Trägern wie dem Roten Kreuz oder der Arbeiterwohlfahrt und neben zahlreichen Kleinstanbietern sind es vor allem die Diakonie und die Caritas, die in Deutschland soziale Dienstleistungen anbieten: von Pflegeleistungen über Kindererziehung bis hin zu Jugendhilfe, und ganz besonders die Arbeit in vielen evangelischen Krankenhäusern. Verallgemeinernd gesprochen sind „die“ Kirchen mit ihren diakonischen und karitativen Einrichtungen heute, nach der öffentlichen Hand, der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland überhaupt. Das war nicht immer so: Ursprünglich begannen die Kirchen sehr bescheiden, diakonische Aufgaben übernahmen eher ehrenamtlich tätige Menschen. Doch nach und nach kam es zu einer Professionalisierung, die Zahl der Beschäftigten wuchs. Immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehörten nicht mehr der evangelischen Kirche an: Sie sind katholisch, muslimisch oder gar nicht religiös, weil sie es nie waren oder aus einer Kirche ausgetreten sind.
Daraus erwuchs bald die Frage, welche Anforderungen man denn an diejenigen stellen soll, die in einer kirchlichen Einrichtung arbeiten: Muss der Pfleger in einem evangelischen Krankenhaus, muss die Erzieherin in einem diakonischen Kindergarten der evangelischen Kirche angehören? Müssen sie sich auch „loyal“ gegenüber den kirchlichen Glaubensgrundsätzen verhalten? Müssen sie so leben, wie es kirchlich „recht“ ist?
Diese Fragen sind vor dem Hintergrund zweier grundsätzlicher Überlegungen zu sehen. Zum einen werden kirchliche Einrichtungen aus theologischer Sicht aufgrund eines besonderen Auftrags tätig. Getreu dem Motto „Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht sofort auch dasselbe“ gilt insofern: Zwar erbringen beispielsweise auch städtische Pflegeeinrichtungen pflegerische Leistungen, aber nur kirchliche verfolgen dabei einen originär christlichen Auftrag, nämlich die Erfüllung des Dienstes am Nächsten. Wenn es aber einer evangelischen Einrichtung immer auch darum geht, den Auftrag Jesu Christi zu erfüllen und das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen, dann stellt sich die Frage, welches Profil diese Einrichtung haben muss: Wann und wodurch wird sie denn zu einer christlichen Einrichtung? Dadurch, dass sie grundsätzlich nur evangelische Angestellte hat? Oder kann sie ihren Dienst auch mit Menschen erfüllen, die einer anderen oder gar keiner Religion angehören, ohne dass dies ihrem Profil schadet? Dies sind vor allem auch theologische Fragen, denen sich die Kirche stellen muss (vergleiche dazu Stephan Schaede, zeitzeichen 11/2014).
Doch ragt auch, zum anderen, ein rechtlicher Aspekt hinein: Darf denn ein Arbeitgeber bei seinen Mitarbeitern überhaupt nach der Religionszugehörigkeit differenzieren? Ein weltlicher Arbeitgeber darf dies nämlich gerade nicht: Paragraf sieben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verbietet es, nach diesem Kriterium Unterscheidungen vorzunehmen. Die religiöse Einstellung eines Beschäftigten geht den Arbeitgeber nichts an. Er darf etwa nicht katholische oder muslimische Bewerber wegen ihres Glaubens zurückweisen.
Für kirchliche Arbeitgeber gilt etwas anderes. Nach Paragraf neun AGG ist ihnen genau das erlaubt. Sie dürfen entscheiden, welche religiösen Anforderungen sie an diejenigen stellen, die bei ihnen beschäftigt sind: ob sie Mitglied der eigenen Kirche sein müssen oder zumindest einer christlichen Religionsgemeinschaft angehören sollen. Darüber hinaus dürfen sie sogar in bestimmtem Maße verlangen, dass sich die bei ihr tätigen Menschen „loyal“ gegenüber den eigenen Glaubenssätzen verhalten. Zwar darf jeder Arbeitgeber beispielsweise erwarten, dass seine Arbeitnehmer sich nicht offen gegen ihn stellen – ein gewisses Maß an Loyalität steht auch ihm zu. Doch geht ihn nichts an, was seine Arbeitnehmer in ihrer Freizeit tun. Das ist bei einem kirchlichen Arbeitgeber anders. Begründet auf dem im Grundgesetz verankerten Selbstbestimmungsrecht, gesteht die Rechtsordnung den Kirchen zu, dass sie ein besonderes Maß an Loyalität erwarten dürfen.
Sie dürfen also auch die Zugehörigkeit zur eigenen Kirche verlangen. Doch darf eine Differenzierung nach der Religion in keinem Fall willkürlich erfolgen. Willkürlich wäre es aber, wenn die Kirche eine Kirchenzugehörigkeit von dem einen Mitarbeiter verlangt, von einem anderen, der eine vergleichbare Tätigkeit ausübt, hingegen nicht. Sie kann nicht in dem einen Kindergarten muslimische Erzieherinnen bedenkenlos einstellen, in dem anderen nicht.
Hat sich die Kirche aber eine eigene Regel gegeben, muss sie sich auch daran halten: Wenn sie einen Grundsatz formuliert, dem zufolge nur evangelische Menschen bei ihr arbeiten sollen, ist es willkürlich, wenn dies in der Praxis nicht berücksichtigt wird. Das wird dann auch dauerhaft vor Gerichten keinen Bestand haben. Der Gesetzgeber kann zwar Regeln mit Ausnahmemöglichkeiten festschreiben, muss sich an diesen dann aber messen lassen.
Die vom Grundgesetz und dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eingeräumten rechtlichen Möglichkeiten hat die EKD dazu veranlasst, in der „Loyalitätsrichtlinie“ festzulegen, welche Anforderungen für die Mitarbeit in kirchlichen Einrichtungen gelten sollen. Für die Frage, welche Anforderungen an die Beschäftigten im Hinblick auf die Kirchenmitgliedschaft zu stellen sind, kam es zu einer Regelung, die nach dem Muster „Grundsatz-Ausnahme“ verfährt. So ist in ihrem Paragraf drei verankert, dass „die berufliche Mitarbeit in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie grundsätzlich die Zugehörigkeit zu einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland oder einer Kirche voraus(setzt), mit der die Evangelische Kirche in Deutschland in Kirchengemeinschaft verbunden ist“. Dieser Grundsatz gilt jedoch nur für Tätigkeiten in Verkündigung, Seelsorge, Unterweisung oder Leitung ohne jede Einschränkung. In allen anderen Bereichen darf ausnahmsweise auch ein nichtevangelischer Mensch tätig werden, sofern er einer christlichen Kirche angehört. Und wenn auch ein solcher nicht gefunden werden kann, darf ausnahmsweise sogar ein nichtchristlicher Mensch tätig werden. Doch die klare Aussage steht: Grundsätzlich muss ein in der Kirche tätiger Mensch evangelisch sein.
Mit diesem Ansatz könnte man rechtlich gut leben, würde er denn praktiziert. Doch die tatsächliche Lage steht mit den Vorgaben der Richtlinie nicht in Einklang. Das in Paragraf drei zum Ausdruck kommende Regel-Ausnahme-Verhältnis wird nicht umgesetzt: Es sind nämlich nicht, wie eigentlich vorgesehen, „grundsätzlich“ alle Mitarbeiter in evangelischen Einrichtungen evangelisch, häufig ist es nicht einmal mehr die Hälfte. Das gilt besonders, aber nicht mehr nur, im Osten Deutschlands. Überraschend ist das nicht: Wenn der Anteil der evangelischen Christen in der Bevölkerung kontinuierlich sinkt und wie schon jetzt in einigen Gebieten vor allem Ostdeutschlands, die Zehnprozentmarke unterschreitet, ist naheliegend, dass man nicht mehr genug evangelische Menschen findet, die in den eigenen Einrichtungen tätig werden können. Dies führt im Ergebnis dazu, dass zwar die Loyalitätsrichtlinie ein klares Vorgehen formuliert, dieses aber in der Praxis nicht eingehalten wird.
Missbrauchtes Recht
Aus juristischer Sicht ist dies unhaltbar: Wenn eine Rechtsgemeinschaft ihre eigenen Regelungen de facto nicht mehr anwendet, ist der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht weit, gerade dort, wo es um das auch diskriminierungsrechtlich relevante Merkmal der Religionszugehörigkeit geht: Denn den Kirchen ist es zwar im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eröffnet, ihre Beschäftigte anhand des Merkmals „Religion“ auszuwählen. Wenn sie dies aber tun, müssen sie davon auch frei von Willkür Gebrauch machen, sonst missbrauchen sie ihr Recht. Die Gefahr der Willkür besteht jedoch dort, wo zwar eine Bestimmung wie Paragraf drei der Loyalitätsrichtlinie eine Regelung vorsieht, diese aber flächendeckend in der Praxis nicht mehr eingehalten wird. Wenn der Grundsatz löchrig wird wie ein Schweizer Käse, ist er rechtlich nichts mehr wert. Gerade die Entwicklung der Rechtsprechung in den vergangenen Jahren macht deutlich, dass staatliche Gerichte dies so nicht mehr akzeptieren werden.
Das heißt konkret: Die derzeitige Vorgabe der Loyalitätsrichtlinie, grundsätzlich nur evangelische Menschen einzustellen, wäre mit dem Diskriminierungsrecht vereinbar – wenn sie auch umgesetzt würde. Dadurch, dass indes in vielen Einrichtungen zu einem großen Prozentsatz nicht evangelische Beschäftigte tätig werden, droht die Kirche ihr Recht zu verspielen, anhand der Religionszugehörigkeit auszuwählen.
Es gibt daraus mindestens zwei mögliche Schlussfolgerungen. Entweder belässt man es bei der bisherigen klaren Regelung, hält sich dann aber auch daran. Dann müsste man wirklich „grundsätzlich“ nur evangelische Menschen beschäftigen und (wirklich) nur ausnahmsweise anders- oder nicht gläubige. Es ist selbstverständlich, dass es dann keine Einrichtungen mehr geben kann, wo etwa 40 Prozent oder mehr als die Hälfte nichtevangelische Menschen arbeiten. Rechtlich wäre das eine klare Lösung, die diskriminierungsrechtlich vertretbar wäre – und auch insofern einen gewissen Charme hätte, als man den prägenden evangelischen Charakter einer Einrichtung unter anderem verlässlich darauf stützen könnte, dass in ihr (grundsätzlich) nur Kirchenmitglieder tätig sind.
Dagegen spricht jedoch zum einen, dass dies möglicherweise sehr weitreichende Konsequenzen hätte, fände man nicht genügend evangelische Beschäftigte: Dann müsste man erwägen, Einrichtungen mangels Personals zu schließen. Dies aber widerspricht dem eigenen Auftrag, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen. Zum anderen dürfte ein solches Vorgehen häufig dazu führen, Menschen zum Eintritt in die Kirche zu bewegen, nur um einen Arbeitsplatz zu erhalten. Das wäre sicher ebenso wenig im Sinne der evangelischen Prägung eines Hauses.
Besser wäre daher ein anderer Weg, der auf einer Umdrehung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses beruht. Es wäre überzeugender, Paragraf drei der Richtlinie so zu formulieren, dass nur noch in einem eng zu definierenden Bereich die Mitgliedschaft in einer evangelischen Kirche zwingend ist. Dies gilt beispielsweise für bestimmte Beschäftigte, beispielsweise für die, die in der Verkündigung tätig sind oder etwa in der Seelsorge. Für alle anderen Beschäftigten wäre die Kirchenzugehörigkeit nicht mehr erforderlich. Ihnen würde man nur noch auferlegen, dass sie in ihrem Arbeitsverhältnis anerkennen, dass sie für einen kirchlichen Arbeitgeber tätig sind. Das bedeutet eine grundlegende Verschiebung: Der Pfleger in einem Krankenhaus etwa muss nach diesem Lösungsvorschlag nicht mehr Mitglied der Kirche sein. Aber er muss sich vertraglich verpflichten, den kirchlichen Auftrag zu beachten und die ihm übertragenen Aufgaben im Sinne der Kirche zu erfüllen. Das schließt beispielsweise ein, dass er Patienten nicht in Glaubensfragen in Richtung auf seine eigenen, nicht evangelischen Überzeugungen hin beeinflusst oder bekehrt. Auch muss er Patienten in einen Gottesdienst begleiten – was von einem Pfleger in einem nichtkirchlichen Haus vermutlich nicht verlangt werden könnte.
Dieser Vorschlag stellt eine Umkehrung des bisherigen Regel-Ausnahme-Verhältnisses dar. Er entgeht der Gefahr des Willkürvorwurfs, die davon ausgeht, dass man eine eigene Regel nicht anwendet. Er spiegelt zudem die Wirklichkeit und trägt dem Umstand Rechnung, dass man für die vielen Aufgaben in der Kirche nicht mehr genug kirchlich gebundenes Personal findet. Damit gibt er zumindest eine Teilantwort auf eine der herausragenden Fragen kirchlich-diakonischen Handelns.
Doch kann auch er nicht die wirklich entscheidende Frage beantworten: Wie kann man ein christliches Profil in einer Einrichtung sichtbar werden lassen? Was unterscheidet ein evangelisches von einem weltlichen Krankenhaus? Sind es die Mitarbeitenden? Sicher auch. Aber nicht die bloß formale Kirchenmitgliedschaft dieser Mitarbeitenden. Weil es aber rechtlich nicht mehr zu halten ist, diese Mitgliedschaft zu verlangen, sollte man dieses Erfordernis für den Regelfall aufgeben und nur noch für bestimmte Beschäftigte vorschreiben.
Information
Unter dem Titel „Kirchenzugehörigkeit als Voraussetzung zur Begründung und Aufrechterhaltung eines Arbeitsverhältnisses in der evangelischen Kirche“ ist eine „epd-Dokumentation“ mit den Referaten eines Fachgesprächs zum Thema erschienen, das am 13. Mai 2015 in Berlin stattfand. Bezug unter Telefon: 069/58 098-191 oder per Mail.
Jacob Joussen
Jacob Joussen
Jacob Joussen ist Professor für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der Ruhr-Universität Bochum.